Ein neuer transatlantischer Handelsdeal zwischen der EU und den USA bringt frischen Wind in den digitalen Sektor: Der pauschale 15 %-Zollsatz soll fast alle Exportgüter betreffen, aber die IT-Branche könnte dennoch profitieren. Weniger Handelsbarrieren, mehr Standardisierungspotenzial, aber auch neue Herausforderungen in Sachen Datenschutz – was genau steckt hinter dem Deal, und was bedeutet das für europäische Tech-Unternehmen?
Der Hintergrund: Vom Zollstreit zum Kompromiss
Im jahrzehntelangen Handelskonflikt zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten hat sich 2025 ein bemerkenswerter Wendepunkt ergeben: Nach intensiven Verhandlungen einigten sich beide Seiten auf einen gemeinsamen Zollausgleich. Statt einseitiger Strafzölle der USA auf bis zu 35 % kommt nun ein pauschaler, abgestufter Zollsatz von 15 % für nahezu alle EU-Exportgüter zur Anwendung.
Branchen wie Flugzeug- und Maschinenbau, Halbleiterfertigung und Bereiche mit hoher technischer Kooperation bleiben weiterhin von Zöllen weitgehend befreit. Auch digitale Dienstleistungen sowie bestimmte Hardwarekomponenten sind zur Erleichterung des beidseitigen Marktzugangs teilweise zollfrei gestellt.
Die Maßnahme ist Teil eines umfassenden wirtschaftspolitischen Pakets, das auch die Stärkung des gemeinsamen Trade and Technology Council (TTC) umfasst. Ziel ist es, die transatlantische technologische Zusammenarbeit zu vertiefen – insbesondere in den Bereichen künstliche Intelligenz, Quantencomputer, Datensicherheit und künftige digitale Standards.
Erleichterter Handel: Neue Marktchancen für Tech-Unternehmen
Auf den ersten Blick könnte ein allgemeiner 15 %-Zollsatz nachteilig erscheinen. Doch im Vergleich zu bestehenden oder angedrohten Handelsbarrieren bietet der Deal für IT-Firmen klare Vorteile: Die Kalkulierbarkeit steigt, geplante Preisanstiege bleiben moderat, und die gegenseitige politische Anbindung stabilisiert das Handelsumfeld.
Gerade kleine und mittelständische Technologiefirmen profitieren von der erhöhten Planungssicherheit. Dem Digitalverband Bitkom zufolge exportieren bereits heute über 65 % der deutschen ITK-Unternehmen in die USA – ein Anteil, der mit reduzierten Hürden weiter steigen dürfte (Quelle: Bitkom, Exportstudie 2024).
Auch auf US-Seite setzen Dienstleister zunehmend auf europäische Märkte. Laut Statista stiegen die US-Exporte digitaler Dienstleistungen in die EU im Jahr 2024 um 11,3 % auf knapp 162 Milliarden US-Dollar. Mit dem Deal ist für 2026 ein weiteres Wachstum von über 8 % zu erwarten (Quelle: Statista, Digital Trade Outlook 2025).
Digitalprojekte und Infrastruktur: Die EU investiert in US-Technologie
Teil des Pakets ist auch eine gegenseitige Investitionsvereinbarung. Die EU verpflichtet sich unter anderem, in den nächsten fünf Jahren rund 23 Milliarden Euro in US-basierte digitale Infrastruktur und Softwarelösungen zu investieren – unter anderem im Rahmen von Smart-City-Initiativen, 5G-Ausbau und cloudbasierten Verwaltungsplattformen.
Für US-Tech-Giganten wie Microsoft, Amazon Web Services oder Palantir eröffnet dies neue Wachstumsfelder in Europa. Gleichzeitig erhalten europäische Unternehmen Zugang zu innovativen Technologien und Partnerschaften, etwa im Bereich SaaS, KI-gestützte Datenanalyse oder Edge-Computing-basierte Industrieanwendungen.
Die Schaffung gemeinsamer Standards steht dabei im Zentrum. Besonders im öffentlichen Sektor sollen Projekte künftig auf interoperablen, transatlantisch anerkannten Architekturen aufbauen – ein entscheidender Schritt zur Harmonisierung von IT-Lösungen innerhalb globaler Lieferketten.
Handelsplattform TTC: Regulierung und Standardisierung im Fokus
Der Trade and Technology Council (TTC), ein bereits 2021 eingerichtetes bilaterales Gremium, rückt nun erneut in den Mittelpunkt: Seine Aufgaben wurden erweitert, sein Budget aufgestockt und seine strategische Rolle gestärkt. Laut EU-Kommission soll der TTC künftig aktiv an der Entwicklung gemeinsamer Richtlinien etwa für sichere KI-Systeme, Datenportabilität oder Cyberresilienz mitwirken.
Bereits im Frühjahr 2025 wurde ein vorläufiger Rahmen für Interoperabilitätsstandards im Bereich künstliche Intelligenz finalisiert – ein potenziell wegweisendes Projekt, das künftig sowohl regulatorische Anforderungen als auch Marktzugangsbedingungen beeinflussen wird. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf dem Aufbau eines „Secure Transatlantic Data Flow Framework“ als Nachfolger von Privacy Shield und dem Data Privacy Framework.
Für europäische IT-Unternehmen ergibt sich damit eine stärkere Einbindung in internationale Regelsetzungsprozesse – aber auch die Notwendigkeit, regulatorische Entwicklungen eng zu beobachten und ihre Compliance-Strukturen anzupassen.
Herausforderung Datenschutz: Transatlantische Datenflüsse bleiben kritisch
Trotz aller Fortschritte bleibt eines der größten Spannungsfelder bestehen: der Schutz personenbezogener Daten im transatlantischen Raum. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in den letzten Jahren gleich mehrere Datenschutzabkommen (u. a. Safe Harbor, Privacy Shield) gekippt hat, herrscht Unsicherheit über die langfristige Tragfähigkeit bilateraler Datenabkommen.
Datenschutzorganisationen wie NOYB (None of Your Business) und der Chaos Computer Club (CCC) warnen bereits davor, dass neue Lösungen ohne hinreichende rechtliche Absicherung erneut vor dem EuGH scheitern könnten. Unternehmen befinden sich daher in einer fortdauernden Grauzone – besonders wenn sie sensible Nutzerdaten in US-Cloudsystemen verarbeiten.
Der neue Deal sieht diesbezüglich zwar engere Abstimmungsmechanismen vor, konkrete Regelungen bleiben allerdings vage. Deshalb müssen IT-Firmen weiterhin besonderes Augenmerk auf datenschutzkonforme Verträge, Verschlüsselungsstrategien und Datenminimierung legen.
Praxis-Tipps für Tech-Unternehmen
Wie können europäische IT-Unternehmen konkret vom neuen Deal profitieren, ohne regulatorische Risiken außer Acht zu lassen? Die folgenden Empfehlungen bieten Orientierung:
- Exportstrategien neu bewerten: Prüfen Sie, welche Ihrer Dienstleistungen und Produkte unter den neuen Bedingungen günstiger oder einfacher in die USA exportiert werden können. Überdenken Sie bestehende Vertriebsmodelle und setzen Sie gezielt auf Zollvorteile.
- Regulatorische Entwicklungen beobachten: Etablieren Sie interne Prozesse zur systematischen Überwachung transatlantischer Regulierungsvorhaben, z. B. durch Mitarbeit in Verbänden oder Legal-Compliance-Abteilungen.
- Datensicherheitskonzepte stärken: Investieren Sie in DSGVO-konforme Architektur, Datenverschlüsselung auf Transport- und Speicherungsebene sowie Auditierbarkeit aller Datenflüsse – besonders bei Nutzung von US-basierten Cloud-Anbietern.
Fazit: Ein strategisches Fenster mit Risiken und Chancen
Der 15 %-Zolldeal zwischen EU und USA könnte den transatlantischen Technologiehandel dauerhaft vereinfachen – vorausgesetzt, politische Stabilität und regulatorische Fortschritte gehen Hand in Hand. Für die IT-Branche bedeutet dies: mehr Chancen auf neue Märkte, aber auch komplexere Anforderungen in Datenschutz und Standardisierung.
In einem zunehmend geopolitisch fragmentierten Weltmarkt bietet das EU-USA-Abkommen ein seltenes Signal der Kooperation – insbesondere in Bereichen wie KI, Cybersecurity und digitale Infrastruktur. Europäische Firmen sind gut beraten, die neue Dynamik proaktiv zu nutzen und ihre transatlantische Präsenz strategisch auszubauen.
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