Eine künstliche Intelligenz, die in Sekundenschnelle Hunderttausende Seiten regulatorischer Vorschriften analysiert und entscheidet, welche davon überflüssig sind – genau das plant der US-Investor und Tech-Unternehmer David “Doge” Sacks: Mit KI will er bis zu 50 Prozent der US-Regulierungen abschaffen. Doch wie realistisch ist dieses ambitionierte Vorhaben?
Künstliche Intelligenz als Hebel zur Deregulierung
Die Diskussion um den Einsatz von KI in der öffentlichen Verwaltung ist nicht neu. Doch Sacks’ Vision geht deutlich weiter. Sein Plan: Mit Hilfe einer eigens trainierten Large Language Model (LLM)-Plattform sollen zehntausende Vorschriften, Richtlinien und Gesetze der US-Bundesbehörden im Schnellverfahren analysiert, klassifiziert und gegebenenfalls zur Abschaffung vorgeschlagen werden. Ziel sei laut Sacks, die Effizienz zu erhöhen, Innovation zu fördern und Bürokratiekosten massiv zu senken.
Erstmals öffentlich vorgestellt wurde die Idee bei einem Panel auf der “All-In Summit 2024”, auf dem Sacks erklärte, man könne mit Hilfe einer offenen, verifizierbaren AI-Infrastruktur etwa die Hälfte aller föderalen Regeln auf redaktioneller und juristischer Ebene eliminieren. Grundlage dafür seien historische Gesetzesdaten sowie öffentlich zugängliche Regulierungsdatenbanken wie das Federal Register und das Code of Federal Regulations (CFR).
Zwischen Idealismus und technischer Machbarkeit
Doch die Umsetzung eines solch komplexen Projekts wirft zahlreiche Fragen auf – nicht zuletzt rechtlicher und technischer Natur. Eine Analyse des RAND Corporation Policy Lab zeigt, dass allein das US-Regelwerk über 180.000 einzelne Vorschriften umfasst, verteilt über mehr als 3000 Abschnitte und Themenbereiche. Die Komplexität dieser Regeldichte ist enorm.
Technisch wäre es möglich, ein Foundation-Modell wie GPT-4 oder Claude mit juristisch annotierten Daten zu finetunen und damit Vorschriften anhand vordefinierter Kriterien wie Relevanz, Wirkung oder zeitlicher Gültigkeit zu klassifizieren. Viele der bestehenden Open-Source-Modelle wie Mistral, LLama 3 oder Falcon lassen sich bereits auf rechtliche Domänen spezialisieren – etwa durch Anwendungsmethoden wie Retrieval-Augmented Generation (RAG), Few-Shot-Learning oder semantisches Clustering.
Vorteile: Effizienz, Transparenz und Demokratisierung
Die Vorstellung, dass eine KI jährlich Milliarden Seiten regulatorischer Texte durchforsten kann, ist nicht nur faszinierend, sondern ökonomisch attraktiv. Nach Angaben des Competitive Enterprise Institute beliefen sich die jährlichen regulatorischen Kosten der USA im Jahr 2022 auf rund 1,939 Billionen US-Dollar – mehr als die gesamten Einnahmen aus der US-Einkommensteuer im selben Jahr. Eine gezielte Ausdünnung ineffizienter oder veralteter Vorschriften könnte erhebliche fiskalische wie unternehmerische Entlastung mit sich bringen.
Ein weiterer Vorteil wäre der potenzielle Nutzen für die Demokratie: Mit öffentlich zugänglichen, KI-unterstützten Analysewerkzeugen könnten Bürger, NGOs und Startups leichter nachvollziehen, welche Regeln wie interpretiert und angewendet werden – und sich ggf. für Reformen engagieren. Auch für Startups und KMU wäre eine Verschlankung der Vorschriften Gold wert, denn gemäß einer SBA-Studie von 2023 entstehen kleinen Unternehmen im Schnitt 36 Prozent höhere Kosten pro Regelungseinheit im Vergleich zu Großunternehmen.
Kritische Stimmen und strukturelle Fallstricke
Kritiker befürchten allerdings, dass eine »Deregulierung per Knopfdruck« erhebliche Risiken birgt. Regulierungen schützen Gesundheit, Umwelt und soziale Standards – ihre Überprüfung erfordert nicht nur juristisches, sondern auch politisches Augenmaß. Juristen wie Prof. Susan Dudley von der George Washington University warnen davor, dass Algorithmen nicht in der Lage seien, normative oder ethisch fundierte Entscheidungen korrekt auszubalancieren. Die Gefahr: Was technisch als redundant erscheint, könnte gesellschaftlich wertvoll sein.
Zudem ist der Regulierungsapparat in den USA stark fragmentiert. Änderungen erfordern meist parlamentarische Zustimmung oder Genehmigung durch Aufsichtsbehörden. Eine KI kann hier bestenfalls Empfehlungen oder Bewertungen liefern, aber keine autonom rechtsgültigen Entscheidungen treffen.
Realistische Machbarkeit – oder politisches Wunschdenken?
Die Realisierbarkeit hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab: Datenqualität und Governance-Struktur. Zwar existiert mit dem Electronic Code of Federal Regulations (eCFR) ein digitalisiertes, tagesaktuelles Regulierungs-Repository. Doch viele föderale Regeln enthalten Querverweise, Ausnahmen oder sind bewusst vage formuliert – was eine semantische Analyse erschwert.
Die Autoren einer Studie der Stanford RegLab-Initiative kommen daher zu dem Fazit, dass ein hybrider Ansatz – Kombination aus KI-Modell und menschlicher Review-Ebene – langfristig erfolgversprechender ist. Die eigens entworfene AI Policy Inspection Engine (AIPI) wurde 2024 erfolgreich in Pilotprojekten beim Department of Veterans Affairs eingesetzt, um Doppelerfassungen und regulatorische Redundanzen zu identifizieren.
Politische Dynamiken: KI zwischen Fortschritt und Paralyse
Politisch polarisiert sich das Feld stark. Während konservative Think Tanks wie das Hudson Institute KI als deregulatives Werkzeug feiern, warnen progressive Gruppen wie das Center for American Progress vor einer „technokratischen Entdemokratisierung“. Die zentrale Frage lautet: Wer trainiert das Modell mit welchen Daten und Zielvorgaben? Denn eine KI kann nur so objektiv sein, wie die ihr beigebrachten Normen es zulassen.
Reale Use Cases: KI in der US-Regulierungslandschaft
Bereits heute setzen einige US-Behörden KI zur Optimierung ihrer Prozesse ein. Das Environmental Protection Agency (EPA) nutzt ML-Modelle zur Prognose von Umweltbelastungen. Die Federal Trade Commission (FTC) erprobt KI-gestützte Analyse-Tools zur Erkennung monopolistischer Muster in Unternehmenszusammenschlüssen. Diese Ansätze zeigen: Der KI-Einsatz ist nicht nur konzeptionell möglich, sondern im Praxistest angekommen.
Empfehlungen für eine verantwortungsbewusste Implementierung
Damit KI-basierte Regulierungsanalysen kein dystopisches Schattenregime hervorbringen, sondern echten Mehrwert liefern, sind klare Rahmenbedingungen entscheidend. Experten empfehlen daher:
- Multidisziplinäre Kontrolle: Einführung von hybriden KI-Governance-Gremien aus Technik, Recht, Ethik und Zivilgesellschaft.
- Open-Source-Transparenz: Nutzung nachvollziehbarer, auditierbarer KI-Modelle anstatt von Black-Box-Architekturen.
- Pilotprojekte statt Komplettumbau: Zunächst sektorale Tests (z. B. in Umweltrecht oder Gesundheit) vor nationalem Rollout durchführen.
Fazit: Visionär, aber nicht ohne Risiko
Die Idee, regulatorische Effizienz mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz zu steigern, hat enormes Potenzial – sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. Doch der Weg dorthin ist komplex und voller Fallstricke. KI kann Muster erkennen, Redundanzen aufspüren und Transparenz schaffen. Aber sie ersetzt keine politische Debatte und keine rechtsstaatlichen Verfahren.
Technologisch spricht viel dafür, dass der KI-Einsatz in der Verwaltung massiv an Fahrt gewinnt. Doch für eine echte Transformation braucht es mehr als Modelle – es braucht Vision, Verantwortung und institutionelle Lernbereitschaft. Vielleicht ist Sachs’ Deregulierungs-KI nicht die endgültige Antwort, aber sie könnte ein Weckruf für eine smartere, modernere Regierungsführung sein.
Was denkst du: Sollte KI über Gesetze mitentscheiden dürfen? Welche Regeln würdest du abschaffen – und welche brauchen wir dringender denn je? Diskutiere jetzt mit der Community.