Japans Küsten beobachten ein ökologisches Phänomen mit wirtschaftlicher Tragweite: Der Rückgang einer essenziellen Algenart bedroht nicht nur die marine Biodiversität, sondern auch die Produktion eines der beliebtesten Snacks des Landes. Doch jetzt kommt Hilfe aus einem unerwarteten Sektor – der Künstlichen Intelligenz. Ein Technologieunternehmen setzt modernste KI ein, um die bedrohten Algenpopulationen zu überwachen und zu schützen.
Die bedrohte Alge und ihr Einfluss auf Japans Lebensmittelwirtschaft
Die Rede ist von der Algensorte Susabi-nori (Porphyra yezoensis), einer essbaren Rotalge, die vor allem in der Präfektur Chiba im Osten Tokios angebaut wird. Sie ist ein grundlegender Bestandteil von nori, getrockneten Algenblättern, die als Umhüllung für Sushi weithin bekannt sind – aber auch als Gewürz auf Kartoffelchips Verwendung finden. Besonders die beliebte „Nori-Shio“-Geschmacksrichtung galt in Japan lange als Zugpferd der Snackindustrie.
Seit mehreren Jahren jedoch sinkt die Verfügbarkeit des hochwertigen nori dramatisch. Hauptgrund: steigende Wassertemperaturen durch den Klimawandel stören die zarte Balance, in der die Alge gedeiht. Laut Angaben des japanischen Ministeriums für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei ist die Gesamtproduktion von getrocknetem nori seit 2017 um über 30 % zurückgegangen (MAFF Japan, 2024).
Die Auswirkungen reichen weit: Große Lebensmittelhersteller wie Calbee wurden 2024 gezwungen, ihre Nori-Chips vom Markt zu nehmen – ein emotionaler Schock für viele Konsumenten und ein wirtschaftlicher Schlag für die gesamte Lieferkette.
Wie Künstliche Intelligenz zum Schutz der Algen beiträgt
Vor diesem Hintergrund hat das japanische KI-Unternehmen NTT Data in Zusammenarbeit mit lokalen Fischereigenossenschaften ein ambitioniertes Projekt ins Leben gerufen, um mit Hilfe maschinellen Lernens dem Algensterben entgegenzuwirken. Mithilfe von Unterwasserdrohnen, speziellen Sensoren und einem satellitengestützten Monitoring-System sammelt die KI in Echtzeit Umweltdaten zu Wassertemperatur, Strömungen, Salzgehalt und Schadstoffbelastung.
Die gewonnenen Daten werden automatisch von einem Deep-Learning-Modell ausgewertet, das Wachstumsbedingungen prognostiziert, Risiken frühzeitig erkennt und Empfehlungen für Fischereien und Algenfarmen ableitet. So können gezielt Schutzvorkehrungen getroffen werden – etwa durch Veränderung der Züchtungsstandorte, gezielte Ernteperioden oder sogar künstliche Beschattungsmaßnahmen bei hoher Sonneneinstrahlung.
Diese datengestützte Landwirtschaft, auch bekannt als „Smart Aquaculture“, gewinnt global an Bedeutung. Laut MarketsandMarkets wird der weltweite Markt für KI-gestützte Aquakultur bis 2027 auf 2,2 Milliarden US-Dollar wachsen – bei einer jährlichen Wachstumsrate von rund 24 %.
Ein Wendepunkt für Nachhaltigkeit und Biodiversität
Das Projekt von NTT Data zeigt eindrucksvoll, dass Technologie nicht nur industrielle Prozesse effizienter gestalten, sondern auch konkrete Umweltprobleme adressieren kann. Die Überwachung und Unterstützung bedrohter Arten zählt zu den wachstumsstärksten Einsatzgebieten von „KI in der Umwelttechnik“ – und das mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Studien legen nahe, dass rund 60 % aller Meeresalgenarten durch den Klimawandel in ihrer geografischen Verteilung bereits verschoben wurden (Nature Climate Change, 2023).
KI-gesteuerte Schutzsysteme können helfen, diese Entwicklungen besser zu verstehen und aktiv mitzugestalten. So entwickeln Forscher der Hokkaido University derzeit Modelle zur Reproduktion und Wiederansiedlung bestimmter Algensorten in tieferen, kälteren Gewässerzonen – auf Basis von KI-gestützter Simulation der Strömungsdynamik und Temperaturverläufe.
Von der Kartoffelchips-Krise zur technologischen Innovation
Calbee selbst, als betroffener Produzent, entwickelte infolge der Krise gemeinsam mit Start-ups wie AlgaeNote eine eigene Interventionskampagne. Dabei kommt ein Machine-Learning-Modell zum Einsatz, das Verträge mit regionalen Algenbauern automatisiert prüft, Risikoindikatoren berechnet und bei drohenden Engpässen rechtzeitig substitutionsbereite Alternativen empfiehlt. Durch kluge Datenanalyse gelang es dem Unternehmen sogar, neue Lieferbeziehungen aufzubauen und kleinere, weniger bekannte Algenarten in den Produktzyklus zu integrieren – ein Schritt hin zu mehr Resilienz in der Lieferkette.
Neben dem akuten Krisenmanagement entstehen durch diese Situation auch neue Forschungsfelder. Die Universität Tokio erforscht derzeit gemeinsam mit dem RIKEN-Institut einen sogenannten „virtuellen Ozean“ – ein digitales Simulationsmodell, das KI, Satellitendaten und historische Klimaarchive vereint, um Veränderungen im marinen Ökosystem vorherzusagen.
Praktische Ansätze: So kann KI im Umweltschutz sinnvoll eingesetzt werden
Die bisherigen Erkenntnisse lassen sich in konkrete Handlungsmaßnahmen überführen, die sowohl politische Entscheidungsträger als auch Unternehmen und Organisationen sofort umsetzen können:
- Satellite Monitoring in Echtzeit: Aufbau globaler Datenarchitekturen mit KI-gestützter Auswertung zur Überwachung von Küstenlinien, Wassertemperaturen und Biodiversitätsindikatoren.
- Frühwarnsysteme für landwirtschaftliche und aquatische Systeme: Entwicklung von Prognosemodellen zum Management klimabedingter Risiken in der Lebensmittelproduktion.
- Förderung von KI-Partnerschaften: Öffentliche und private Forschungsförderung zur Entwicklung anwendungsorientierter Umwelt-AI-Thesen sowie Pilotprojekte im maritimen Naturschutz.
Fazit: Technologie als Katalysator für ökologischen Wandel
Der Fall der bedrohten Nori-Algen zeigt eindrucksvoll, dass künstliche Intelligenz weit mehr leisten kann, als betriebliche Effizienz zu steigern. Sie kann als aktives Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel dienen – vorausgesetzt, wir setzen sie gezielt, verantwortungsvoll und interdisziplinär ein. Smarte Algorithmen allein retten keine Arten. Doch die Kombination aus wissenschaftlicher Forschung, wirtschaftlichem Willen und technologischem Know-How eröffnet neue Chancen im Spannungsfeld zwischen Biodiversität, Ernährungssicherheit und Innovation.
Die Community ist gefragt: Welche weiteren Einsatzmöglichkeiten seht ihr für KI im Umwelt- und Artenschutz? Welche Projekte kennt ihr, die erfolgreich Technologie und Ökologie kombinieren? Diskutiert mit uns in den Kommentaren und teilt euer Wissen, um neuen Ideen Raum zu geben.