Webentwicklung

Architekturfalle: Wie viel Modularität verträgt ein System?

In einem modernen, hell erleuchteten Büro arbeiten mehrere Entwickler entspannt an ihren Laptops, während ein großes, transparentes Whiteboard im Hintergrund komplexe Architekturdiagramme mit modularen Bausteinen zeigt – das Bild strahlt kreative Konzentration, Zusammenarbeit und die warmen Sonnenstrahlen des Vormittags aus.

Modularität gilt als zentrales Paradigma moderner Softwarearchitektur. Doch je komplexer ein System wird, desto häufiger lauern neue Fallstricke. Besonders in der Webentwicklung zeigt sich: Zu viel des Guten kann der Skalierbarkeit und Wartbarkeit schaden – ein Dilemma, das man besonders klar am Beispiel von Angular erkennen kann.

Modularität als Heilsversprechen – mit Schattenseiten

Der modulare Aufbau von Softwaresystemen ermöglicht es, komplexe Anwendungen in kleinere, wartbare Einheiten zu gliedern. Diese Trennung von Verantwortlichkeiten erleichtert theoretisch Testing, Wiederverwendbarkeit und Teamarbeit. Im Frontend-Bereich hat dieses Prinzip mit Frameworks wie Angular, React oder Vue.js eine neue Popularität erreicht.

Angular hebt Modularität dabei besonders hervor: Mit sogenannten NgModules lassen sich Feature-Bereiche, Shared Libraries oder Routing-Strukturen kapseln. Das Framework fördert klare Schnittstellen und soll durch modulare Trennung zur langfristigen Wartbarkeit beitragen. Doch gerade hier beginnt ein Spannungsfeld: Je feingranularer die Architektur, desto höher die organisatorische und technische Komplexität.

Modularitätsfallen in Angular: Eine Fallstudie

Angular-Projekte mit einer Laufzeit von mehreren Jahren zeigen häufig typische Symptome übertriebener Modularität. Ein Beispiel: In einem Enterprise-Projekt mit über 60 separaten NgModules führte die feine Zersplitterung zu langen Build-Zeiten, veralteten Querverweisen und redundanten Services, die nur schwer gewartet werden konnten.

Die Initialidee, systematisch aufzuteilen, wurde dort zur Hypothek. Häufig genannte Problembereiche:

  • Hoher Overhead: Jedes neue Modul benötigt Konfiguration, Setup und eigene Tests. Bei Dutzenden Modulen steigt der Gesamtaufwand exponentiell.
  • Verlorene Übersichtlichkeit: Wenn verschiedene Module sich auf globale States oder gemeinsam genutzte Services beziehen, wird die Datenflussnachverfolgung unübersichtlich.
  • Fehlende Trennung trotz Modularisierung: In vielen Teams werden Abhängigkeiten zwischen Modulen nicht durch saubere Schnittstellen, sondern durch direkte Importe gelöst – ein Architektur-Anti-Pattern.

Ein häufig übersehener Aspekt: Die vermeintlich saubere Modularität leitet Entwickler oft dazu an, Probleme zu „überschichten“, statt zu lösen. Die Folge sind „Microfrontends“, deren Pflegeaufwand den Nutzen übersteigen kann.

Statistik: Build-Komplexität und Wartbarkeit

Laut einer Studie von Bitrise aus dem Jahr 2024 leiden 48 % der befragten Frontend-Teams an zu langen CI/CD-Buildzeiten. Besonders Angular-Projekte mit mehr als 30 NgModules zeigten überdurchschnittlich lange Build-Zeiten von >20 Minuten. Quelle: Bitrise State of CI/CD 2024.

Zusätzlich ergab der State of JavaScript 2023 Report, dass 37,2 % der Angular-Entwickler Modularität als größte Herausforderung im Projektmanagement einstufen – noch vor State Management und Performanceoptimierung.

Wie viel Modularität ist produktiv – und wo ist die Grenze?

Modularität ist kein Selbstzweck. Statt einer möglichst hohen Anzahl isolierter Bausteine sollten die gesamtarchitektonischen Ziele im Vordergrund stehen: Verständlichkeit, Wartbarkeit, Wiederverwendbarkeit und Performance.

Eine Vorlage bietet hier das Domain-driven Design (DDD). Gekoppelt mit modularer Softwareentwicklung lassen sich sogenannte „Bounded Contexts“ schaffen, in denen einzelne Module eine fachlich motivierte Trennung erhalten – nicht nur eine technische.

Auch das Prinzip der Monorepos kann helfen, Modularität effizienter umzusetzen: Mit Tools wie Nx oder Lerna wird die Verwaltung vieler Funktionen innerhalb eines Repositories vereinfacht und gemeinsam verwaltbar.

Praktische Empfehlungen für die richtige Modularität:

  • Vermeide die Zersplitterung in zu kleine Module. Ein Modul sollte eine eigene Fachverantwortung (Use Case) kapseln – nicht bloß eine Komponente.
  • Nutze technische Hilfsmittel zur Visualisierung von Modulabhängigkeiten (z. B. dep-graph in Nx), um Kreisläufe zu erkennen und zu vermeiden.
  • Schule dein Team in Architekturprinzipien wie dem SOLID-Prinzip und achte auf disziplinierte Trennung von Zuständigkeiten.

Alternative Denkmodelle: Komponentenorientierung vs. Service-Orientierung

Ein Blick auf erfolgreiche Projekte zeigt: Weniger kann mehr sein. Statt unzählige Facetten in NgModules zu verpacken, setzen moderne Frontends vermehrt auf einfachere Komponentenhierarchien in Verbindung mit isolierten Services. Dieser stärker komponentenorientierte Ansatz verbessert Testbarkeit und reduziert die Hürde für neue Teammitglieder.

Besonders React hat durch sein komponentenzentriertes Denken diesen Trend befeuert. Die Devise lautet: Modular denken, aber pragmatisch abgrenzen – ebenso funktional wie fachlich.

Best Practices aus der Praxis

Große Angular-Projekte erfolgreicher Unternehmen wie Google, Red Bull oder SAP nutzen strukturierte Feature-Folder-Strukturen anstelle unabhängiger NgModules. Die dafür genutzten Patterns wie „Smart-Dumb Components“, „Barrel-Files“ oder geteilte Services helfen, Modularität überschaubar zu halten.

Zudem empfiehlt es sich, Modularität als architektonische „Evolutionslinie“ zu verstehen: Eine Architektur sollte nicht auf Maximalmodularität zum Projektstart setzen, sondern mit dem Umfang der Anwendung organisch wachsen.

Fazit: Modularität mit Maß – nicht mit Maxime

Modularität bleibt ein zentrales Prinzip nachhaltiger Webentwicklung. Aber sie darf kein Dogma werden, das durch übertriebene Anwendung zur Architekturfalle wird. Wer Modularität an fachlichen Grenzen – nicht an Ordnerstrukturen – orientiert, und evolutionär statt dogmatisch vorgeht, schafft wartbare, erweiterbare Systeme mit Zukunft.

Welche Modularisierungsstrategien haben sich in euren Projekten bewährt? Welche Stolpersteine habt ihr erlebt? Teilt eure Erfahrungen mit uns in den Kommentaren oder diskutiert mit unserer Community auf Discord und LinkedIn.

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