Gefälschte Fünf-Sterne-Bewertungen, unerwartete Pakete im Briefkasten und unbekannte Händleradressen – hinter einem unscheinbaren Phänomen auf Amazon steckt eine systematische Betrugsmasche: Brushing. Der Trick zielt darauf ab, Produkte künstlich aufzuwerten – zum Schaden von Verbrauchern und ehrlichen Anbietern. Doch wie genau funktioniert Brushing und wie können sich Käufer dagegen schützen?
Was ist Brushing? Der Trick hinter dem Bewertungsbetrug
Brushing ist eine betrügerische Marketingpraxis, bei der Händler auf Online-Marktplätzen wie Amazon fingierte Bestellungen generieren, um gefälschte positive Bewertungen zu hinterlassen. Dabei wird ein echtes Amazon-Konto – oft das eines ahnungslosen Dritten – genutzt, um vermeintliche Käufe zu tätigen. Die Produkte werden anschließend tatsächlich an die Adressen der Opfer geschickt. Ziel: Das Ranking und die Sichtbarkeit des Produkts durch positive Rezensionen zu manipulieren.
Besonders perfide ist, dass Brushing nicht illegal aussieht. Denn technisch betrachtet hat ein Kauf stattgefunden, ein Versand wurde veranlasst – nur basiert alles auf einer fingierten Grundlage. Oft erhalten Empfänger ein Paket mit billiger Ware wie USB-Kabeln, Handyhüllen oder Kosmetikprodukten, die sie nie bestellt haben. Gleichzeitig taucht auf dem betreffenden Verkäuferprofil eine begeisterte Bewertung auf – unter dem fremden Namen des Empfängers.
So funktioniert der Brushing-Betrug – Schritt für Schritt erklärt
Die Mechanik hinter dem Brushing ist ausgeklügelt und lässt sich in mehreren Phasen beschreiben:
- Beschaffung realer Adressdaten: Händler oder deren Dienstleister kommen an reale Namen und Adressen – etwa durch Datenlecks oder durch Aufkauf von Informationen aus dem Darknet.
- Erstellung fingierter Käufe: Über Fake-Konten oder kompromittierte Accounts wird die Bestellung ausgelöst – meist mit kostenlosen oder extrem rabattierten Produkten.
- Versand günstiger Ware: Um Amazons Versandnachweis zu erfüllen, wird tatsächlich ein Produkt an die Opferadresse geschickt.
- Hinterlassen gefälschter Bewertungen: Nach der Zustellung veröffentlichen die Betrüger selbst oder über ein gefälschtes Kundenkonto eine positive Rezension.
Diese Praxis verstößt zwar gegen Amazons Richtlinien, bleibt aber oft unentdeckt – vor allem, weil Empfänger die Pakete behalten dürfen und sich zunächst wundern, aber keinen Schaden erleiden. Doch der eigentliche Schaden entsteht auf systemischer Ebene: für das Bewertungssystem, die Markttransparenz und den Kundenvertrauensschutz.
Warum Händler auf Brushing setzen
Im hart umkämpften E-Commerce ist Sichtbarkeit alles. Amazon belohnt Produkte mit vielen positiven Bewertungen durch bessere Platzierung in den Suchergebnissen. Händler, vor allem aus Fernost, greifen deshalb vermehrt auf Brushing-Strategien zurück, um den Algorithmus auszutricksen.
Eine 2023 veröffentlichte Studie von Pattern Insights zeigte, dass Produkte mit mindestens 4,3 Sternen über 2,5-mal häufiger angeklickt werden als solche mit weniger Bewertungspunkten. Laut einer Analyse von PowerReviews (2021) verlassen sich 99% der Online-Käufer auf Bewertungen – 70% davon sagen, dass sie ohne Bewertungen ein Produkt nicht kaufen würden.
Das macht Brushing zu einem effektiven, wenngleich unethischen Hebel. Manche Händler beauftragen spezialisierte Agenturen oder nutzen interne Marketingteams, um tausende falsche Bestellungen international zu streuen. Besonders kritisch: Laut einem Bericht der Washington Post von 2022 schätzte man, dass bis zu 30% aller Produktrezensionen auf Amazon manipuliert sein könnten – ein Großteil davon durch Brushing.
Risiken für Verbraucher
Oberflächlich betrachtet erscheinen gebrushte Rezensionen harmlos – schließlich erhalten Empfänger ein kostenloses Produkt. Doch das hat weitreichende Folgen:
- Vertrauensverlust: Wenn Kunden erkennen, dass sie Rezensionen nicht trauen können, sinkt das Vertrauen in Online-Plattformen.
- Manipulierte Kaufentscheidungen: Gefälschte Bewertungen führen zu Fehlkäufen, schlechter Qualität oder Sicherheitsrisiken – etwa durch nicht geprüfte Elektronikgeräte.
- Missbrauch persönlicher Daten: Dass Betrüger Zugang zu realen Adressdaten haben, ist ein klares Datenschutzproblem. Opfer wissen selten, woher ihre Daten stammen.
Besonders gefährlich wird es bei sicherheitsrelevanten Produkten wie Kindersitzen, medizinischem Zubehör oder Elektronik. In solchen Fällen rettet normalerweise das Bewertungssystem Leben – wird es jedoch manipuliert, drohen reale Schäden.
Amazon und der Kampf gegen gefälschte Bewertungen
Amazon investiert massiv in die Bekämpfung von Bewertungsbetrug. Laut dem Amazon Brand Protection Report 2023 identifizierte das Unternehmen über 200 Millionen mutmaßlich betrügerische Bewertungen und sperrte mehr als 1,5 Millionen Verkäuferkonten. Zudem arbeitet Amazon mit Regierungs- und Verbraucherbehörden weltweit zusammen, etwa mit der Federal Trade Commission (FTC) oder dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv).
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe maschineller Lernverfahren werden Rezensionen, Bestellmuster und Account-Aktivitäten analysiert. Verdächtige Muster – etwa identische Formulierungen oder auffällige Versandadressen – werden automatisch markiert. Dennoch bleibt das System fehleranfällig, wie der hochdynamische Markt zeigt: Auf jeden geschlossenen Exploit folgt ein neuer Trick.
Seit 2024 greift Amazon zudem verstärkt zivilrechtlich durch und verklagt Anbieter von Fake-Review-Diensten, wie aktuelle Fälle gegen Fivestar Marketing in den USA oder ReviewExpress in Singapur zeigen. Einige Länder ziehen nach: In Großbritannien wurde 2023 erstmals ein Brushing-Dienst zu Schadensersatz und Datenschutzstrafen verurteilt.
Wie können sich Verbraucher schützen?
Obwohl Plattformen wie Amazon kontinuierlich gegen Brushing vorgehen, bleibt auch der Nutzer in der Verantwortung. Die folgenden Tipps helfen Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich vor gefälschten Bewertungen und Brushing-Paketen zu schützen:
- Misstrauen bei Paketen ohne Bestellung: Bei unerwarteter Lieferung eines Amazon-Pakets ohne eigene Bestellung sollte man sofort den Kundenservice informieren und das Konto auf verdächtige Aktivitäten prüfen.
- Bewertungen kritisch prüfen: Einseitig positive Rezensionen ohne Detailtiefe, viele nahezu identische Bewertungen oder plötzlicher Bewertungsanstieg können Indizien für Brushing sein.
- Kaufentscheidungen diversifizieren: Nicht allein auf Bewertungen verlassen – auch Produktbeschreibungen, Hersteller, Rückgaberichtlinien und unabhängige Testberichte heranziehen.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) rät zudem zur Aktivierung der Zwei-Faktor-Authentifizierung auf Amazon-Konten – das erschwert den Missbrauch persönlicher Zugänge durch Dritte.
Der Einfluss auf den Online-Handel – ein strukturelles Risiko
Brushing ist mehr als eine lästige Masche – es ist ein Symptom eines strukturellen Problems des E-Commerce. Wenn die Logik des algorithmisch gesteuerten Marketings nur auf Bewertungen basiert, entsteht ein gefährlicher Anreiz zur Manipulation. Besonders kleinere Anbieter ohne Marketingbudgets geraten dabei ins Hintertreffen.
Experten wie Prof. Dr. Eike Albrecht von der BTU Cottbus-Senftenberg warnen in einem Interview mit der WirtschaftsWoche: „Die Glaubwürdigkeit digitaler Plattformen ist ein öffentliches Gut – die Manipulation von Kundenbewertungen zerstört dieses Vertrauen systematisch.“
Langfristig kann das Misstrauen gegenüber Online-Bewertungen zu weniger Kaufbereitschaft, sinkender Effektivität von Ranking-Systemen und erhöhtem Bedarf an externen Prüfsiegeln führen. Plattformen wie Amazon geraten dabei zunehmend unter politische Regulierung – auch seitens der EU, etwa mithilfe des Digital Services Act (DSA), der ab 2024 greift.
Fazit: Wachsamkeit schützt – gemeinsam gegen Brushing
Brushing ist eine der subtilsten, aber gefährlichsten Betrugsformen des Online-Zeitalters. Es greift die Grundpfeiler des E-Commerce an: Vertrauen, Transparenz und Fairness. Wer versehentlich Teil eines Brushing-Netzwerks wird, ist Opfer – aber auch Mitwirkender an einer Bewertungslüge.
Umso wichtiger ist die gemeinsame Verantwortung: Plattformen müssen transparenter agieren, Händlerregelwerke verschärfen und Verbraucher aufklären. Nur wenn technologische Mittel, politische Regulierung und aufgeklärte Nutzer zusammenwirken, lässt sich der Schattenwirtschaft des Bewertungsbetrugs wirksam Einhalt gebieten.
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