Europa strebt nach digitaler Souveränität – ein Ziel, das nicht zuletzt durch gezielte Investitionen in Rechenzentren und Supercomputer greifbarer wird. Zwei Leuchtturmprojekte in Manchester und Leipzig markieren zentrale Punkte auf diesem Weg. Doch wie fügen sie sich in die umfassende Strategie zur technologischen Unabhängigkeit Europas ein?
Technologische Souveränität als strategisches Ziel Europas
In einer zunehmend polarisierten Weltwirtschaft gewinnt der Begriff der technologischen Souveränität in europäischen Entscheidungskreisen an Bedeutung. Die Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern bei Schlüsseltechnologien wie Cloud-Infrastruktur, Hochleistungsrechnen (HPC) oder künstlicher Intelligenz (KI) gilt als strategische Schwachstelle. Die Europäische Kommission hat daher bereits 2020 in ihrer Digitalstrategie betont, digitale Schlüsselkompetenzen selbstständig aufbauen und kontrollieren zu wollen.
Ein zentrales Instrument in dieser Strategie sind Rechenzentren und Supercomputer, die nicht nur Daten speichern, sondern enorme Rechenleistung für komplexe Simulationen und KI-Anwendungen liefern. Gemeinsam mit Industrie, Forschung und öffentlicher Hand sollen leistungsfähige europäische Infrastrukturen entstehen, die im globalen Wettbewerb bestehen können.
Manchester: Digital Futures mit europäischem Anspruch
Im Vereinigten Königreich wurde mit dem „Digital Futures“-Hub in Manchester ein ambitioniertes Großprojekt gestartet, das wegweisend für die europäische Tech-Szene ist – trotz des Brexits. Das Zentrum ist Teil der britischen Initiative zum Aufbau einer nationalen HPC-Strategie und beherbergt unter anderem den Supercomputer ARCHER2, einer der derzeit leistungsfähigsten Rechner Europas.
Mit dem Digital Futures-Hub schlägt Manchester eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und industrieller Anwendung. Die Rechenzentrumsinfrastruktur ist eng mit Universitäten, Start-ups sowie globalen Akteur:innen aus Wirtschaft und Wissenschaft vernetzt. Ziel ist es, Schlüsselbereiche wie Klimamodellierung, Arzneimittelforschung oder Materialwissenschaften zu transformieren und Innovationen zu beschleunigen.
Leipzig: Europas schnellster Supercomputer LUMI-Q
Deutlich näher an der EU-Strategie verortet ist das Rechenzentrumsprojekt LUMI-Q in Leipzig, Teil des Rahmenprogramms EuroHPC. Der geplante Exascale-Supercomputer, ein Gemeinschaftsprojekt unter anderem mit Finnland, Belgien und Italien, soll bis 2026 in Betrieb gehen. Er nutzt Quantenbeschleuniger, um Rechenleistung auf ein neues Niveau zu heben.
LUMI-Q entsteht am Leipziger Standort des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) und ist ein zentraler Baustein im Plan, Europa zur „Compute Powerhouse“ zu machen. Die Investitionen belaufen sich auf rund 500 Millionen Euro, finanziert durch EU-Mittel und nationale Beiträge. Bereits jetzt zählt das laufende LUMI-System in Finnland mit über 550 Petaflops zur Top 3 der weltweit leistungsfähigsten Supercomputer (Quelle: Top500.org, 2024).
Laut EuroHPC sollen bis 2030 mindestens zwei Exascale-fähige Rechenzentren in der EU betrieben werden. Leipzig und Bologna sind hierfür gesetzt.
Rahmenbedingungen: Förderpolitik, Marktlogik und Sicherheit
Der Ausbau solcher Infrastrukturen wäre undenkbar ohne politische Rückendeckung. Die EU hat mit der „Digital Europe“-Strategie sowie dem Aufbau des European High-Performance Computing Joint Undertaking (EuroHPC JU) ein umfangreiches Instrumentarium geschaffen. EuroHPC JU bündelt Ressourcen der EU-Kommission, Mitgliedstaaten und Industriepartner, um innovative HPC- und Quantenlösungen zu entwickeln.
Die Verfügbarkeit souveräner Cloud-Infrastrukturen, wie sie auch mit GAIA-X verfolgt wird, spielt ebenfalls eine Rolle. Dabei steht nicht nur digitale Leistungsfähigkeit im Fokus, sondern auch Datensouveränität und Cybersicherheit. Gerade bei sensiblen Anwendungsbereichen in den Life Sciences oder dem Verteidigungsbereich lässt sich Rechenpower im Ausland nur eingeschränkt sinnvoll nutzen.
Wirtschaftliche Relevanz auf dem globalen Markt
2023 belief sich der globale Markt für High-Performance Computing auf etwa 46 Milliarden US-Dollar und soll bis 2030 auf über 71 Milliarden USD anwachsen (Quelle: GrandViewResearch, 2024). Auch in Europa wächst das Segment rasant. Besonders gefragt sind Rechenressourcen aus vertrauenswürdigen Quellen – ein Trend, von dem europäische Anbieter profitieren könnten.
China, die USA und Japan dominierten bislang das HPC-Ranking. Doch mit LUMI, Leonardo (Italien) und MareNostrum5 (Spanien) positioniert sich Europa nun in der Weltspitze. Die strategische Entscheidung, Know-how und Infrastruktur lokal zu bündeln, könnte langfristig Innovations- sowie Wirtschaftskraft auf dem Kontinent stärken.
Einbindung in strategische Allianzen und Forschung
Initiativen wie die European Cloud Federation oder das Destination Earth-Programm zeigen, wie eng Infrastruktur- und Forschungsvorhaben inzwischen verzahnt sind. Speziell bei der Klimamodellierung reicht herkömmliche Rechenleistung nicht mehr aus. Die Vision eines digitalen Zwillings der Erde, der auf Modellen von LUMI oder Leonardo basiert, zeigt die Notwendigkeit komplementärer Systeme.
Gleichzeitig entsteht eine neue Forschungslogik, bei der Infrastruktur, KI und Quantencomputing Hand in Hand gehen. „Es geht nicht mehr um einzelne Supercomputer, sondern um die Orchestrierung eines europäischen Ökosystems“, sagte Dr. Ingve Björnson, Technologieberater bei HLRS Stuttgart, jüngst auf dem ISC 2025.
Empfehlungen für den Aufbau oder die Migration europäischer IT-Infrastrukturen
- Lokal denken, europaweit skalieren: Partnerschaften mit EuroHPC oder nationalen Initiativen wie NFDI schaffen Skaleneffekte und Zugang zu Förderung.
- Investition in Nachhaltigkeit: Energieverbrauch und CO₂-Bilanz eines Rechenzentrums werden zum Wettbewerbsfaktor. Grüne Kühlung, Energiemix und ISO-Zertifizierungen sind entscheidend.
- Frühzeitige Sicherheitsarchitektur: Datenschutz, Verschlüsselungstechnologien und Resilienz gegenüber Cyberrisiken sollten von Anfang an eingeplant werden – idealerweise nach ENISA-Leitlinien.
Schlussbetrachtung: Europas digitale Infrastruktur als Chance
Die gezielten Investitionen in Rechenzentren und Supercomputing sind mehr als technische Großprojekte – sie sind Ausdruck des europäischen Willens zur Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter. Manchester und Leipzig markieren nur zwei Eckpfeiler dieser Entwicklung. Entscheidend wird sein, ob die strategische Verzahnung von Politik, Forschung und Wirtschaft gelingt.
Nur wenn Europa seine digitalen Infrastrukturen nicht nur aufbaut, sondern aktiv für Innovation, Sicherheit und Nachhaltigkeit nutzt, wird aus einem technischen Vorsprung auch geopolitischer Einfluss. Wir laden unsere Community ein: Wie sehen Sie die Zukunft Europas als Technologie-Standort? Diskutieren Sie mit uns!