Mit der Übernahme von VMware hat Broadcom 2023 einen Paradigmenwechsel eingeläutet – nicht nur in seinem Produktportfolio, sondern auch in seiner Partner- und Distributionsstrategie. Der Konzern richtet sein Cloud-Geschäft radikal neu aus. Warum Broadcom nun verstärkt auf große Distributoren setzt und was das für die globale IT-Infrastruktur bedeutet, beleuchten wir in diesem Fachartikel.
Vom Chip-Giganten zum Infrastruktur-Schwergewicht
Lange war Broadcom primär als führender Halbleiterhersteller bekannt. Doch seit einigen Jahren verfolgt das Unternehmen eine aggressive Expansions- und Diversifikationsstrategie, die sich vor allem auf Softwarelösungen für Unternehmen konzentriert. Die Übernahmen von CA Technologies (2018), Symantec Enterprise (2019) und zuletzt VMware (2023, Kaufpreis: rund 69 Milliarden US-Dollar) markieren zentrale Meilensteine in diesem Wandel.
Mit VMware wird Broadcom zugleich zu einem dominanten Akteur in der Cloud- und Virtualisierungsinfrastruktur. VMware war bislang für sein starkes Partner-Ökosystem bekannt – insbesondere für die enge Einbindung kleiner und mittelständischer Reseller (VARs). Diese Struktur verändert sich nun fundamental.
Der Strategiewechsel: Fokus auf große Distributoren
Seit Anfang 2024 hat Broadcom offiziell bestätigt, dass viele bisherige Partnerverträge mit kleineren Resellern nicht verlängert oder nicht erneuert wurden. Stattdessen setzt der Konzern nun auf den Vertrieb seiner VMware-Produkte über große, weltweit aktive Distributoren wie Arrow Electronics, TD SYNNEX und Tech Data.
Dieser Kurswechsel folgt einer klaren Logik der Skalierung: Broadcom will mit möglichst wenigen, aber dafür hochprofessionellen Partnern global agieren. Durch die Bündelung von Lizenzen, Support und Schulungsangeboten bei diesen Distributoren kann Broadcom die Komplexität seines Channel-Geschäfts drastisch reduzieren – ein erklärtes Ziel des Managements um CEO Hock Tan.
Zugleich erhofft sich Broadcom, über zentrale Distributoren eine konsistentere Preisgestaltung, höhere Margensicherheit und einen besseren Schutz geistigen Eigentums zu erreichen. Insbesondere nach der VMware-Übernahme gilt es, Lizenzverpflichtungen und vertragliche SLA-Strukturen einheitlich umzusetzen.
Was bedeutet das für Endkunden und IT-Dienstleister?
Für Unternehmen, die VMware-Produkte einsetzen, bringt der Strategiewechsel sowohl Herausforderungen als auch neue Chancen. Der Vertrieb über wenige Distributoren bedeutet zusätzliche Abhängigkeiten – aber auch potenziell einfachere Beschaffungsprozesse, gebündelte Dienstleistungen und klarere Preismodelle.
Kleinere IT-Dienstleister, die sich auf VMware spezialisiert hatten, berichten allerdings über sinkende Margen, erschwerten Zugang zu Angeboten sowie eingeschränkte Support-Zugänge, wie eine Umfrage des European Channel Partner Network 2024 zeigte: 67 % der befragten Händler gaben an, dass sie seit dem Broadcom-Umbau ihre Geschäftsbeziehung zu VMware evaluierten oder beendet hätten.
Auch in DACH ist der Effekt spürbar: Laut Zahlen des IT-Branchenverbands Bitkom aus Q2/2025 berichten 42 % der Systemhäuser von höheren Betriebskosten und erhöhtem Beratungsaufwand durch die Umstellung der VMware-Lizenzmodelle unter Broadcom.
Die Cloud-Strategie von Broadcom: Konsolidierung statt Chaos
Broadcoms Cloud-Vision ist geprägt von einem klaren Fokus: Komplexität reduzieren, Prozesse konsolidieren, Rendite maximieren. Nach der VMware-Übernahme kündigte Broadcom an, das gesamte Lizenzmodell auf Subscription Only umzustellen. Das bedeutet: Keine unbefristeten Lizenzen mehr, stattdessen jährliche oder mehrjährige Laufzeitmodelle, zentral verwaltet durch Distributoren.
Das Unternehmen positioniert sich damit gegenüber Hyperscalern wie AWS, Microsoft Azure und Google Cloud nicht als direkter Konkurrent, sondern als Enabler für hybride Cloud-Szenarien. VMware-Technologien wie vSphere, vSAN und NSX sollen es Kunden ermöglichen, ihre Rechenzentren zukunftssicher und cloud-kompatibel zu gestalten – ohne den vollständigen Umzug in Public-Cloud-Umgebungen.
Broadcom setzt dabei verstärkt auf größere Kunden, Enterprise-Segmente und strategische Partnerschaften mit Hyperscalern, anstatt auf breite Aufstellung durch ein fragmentiertes VAR-Netzwerk zu vertrauen.
Praxis-Tipps für Unternehmen und IT-Verantwortliche:
- Überprüfen Sie Ihre bestehenden VMware-Lizenzen und sprechen Sie frühzeitig mit autorisierten Distributoren über neue Support- und Lizenzmodelle.
- Nutzen Sie die Gelegenheit zur Konsolidierung Ihrer Hybrid-/Private-Cloud-Strategie mit Fokus auf langfristige Subscription-Konzepte.
- Erwägen Sie Alternativen zu VMware-Technologien (z. B. KVM, Proxmox oder Hyper-V), falls Kostendruck und Abhängigkeiten zu groß werden.
Weltweite Auswirkungen: Standardisierung mit Risiken
Broadcoms zentralisierte Strategie verändert nicht nur das Verhältnis zu Resellern, sondern hat das Potenzial, globale Marktmechanismen zu beeinflussen. Eine einheitliche Lizenz- und Preisstruktur bringt internationale Transparenz, aber auch weniger Flexibilität für regionale Partner.
Vor allem in Märkten mit herausfordernder Infrastruktur – etwa in Afrika, Südostasien oder Teilen Südamerikas – berichten Systemhäuser von Schwierigkeiten bei der Implementierung der neuen Modelle. Die Abwesenheit lokaler Broadcom-Partner macht schnelle technische Hilfestellung oft unmöglich.
Gleichzeitig profitiert Broadcom in stabilen Märkten wie Nordamerika und Europa von besserer Compliance und stärkeren Erlösströmen. Laut einer Analyse von Gartner aus Mai 2025 verzeichnete Broadcom im 1. Quartal nach dem VMware-Deal ein Umsatzplus von 24 % im Bereich Enterprise-Software – unter anderem dank der Konzentration auf Key Accounts und zentralisierte Distribution.
Bewertungen und Kritik: Zwischen Effizienz und Monopolisierung
In Fachkreisen ist der Strategiewechsel Broadcoms nicht unumstritten. Zwar loben viele Analysten die betriebswirtschaftliche Klarheit des Modells, gleichzeitig mehren sich Stimmen, die von einer potenziellen Monopolisierung sprechen. Kleinere Anbieter finden kaum noch Zugang zum Broadcom-Ökosystem, während Enterprise-Kunden faktisch gezwungen werden, über ausgewählte Distributoren zu agieren.
„Die Gefahr liegt in der Intransparenz auf der letzten Meile. Kunden verlieren den Bezug zur Technik, wenn nur noch Lizenzpakete über mehrere Zwischenhändler verkauft werden“, warnt Alina Reichenberger, Channel-Expertin beim Analystenhaus PAC.
Ein weiteres Problem: Innovationen entstehen häufig aus dem Mittelstand. Wenn dieser vom Vertriebsmodell ausgeschlossen wird, könnte das auf lange Sicht die Innovationsdynamik im VMware-Ökosystem beeinträchtigen – gerade in Bereichen wie Edge Computing, KI-gestützten Infrastrukturen oder Container-Orchestrierung mit Tanzu.
Fazit: Kurs auf Klarheit – mit Nebengeräuschen
Broadcoms strategischer Umbau ist ein Kraftakt. Der Schwenk hin zu großen Distributoren und das neue Cloud-orientierte Businessmodell haben das Ziel, Prozesse zu standardisieren, Margen zu sichern und den globalen Markt effizient zu bedienen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ergibt das Vorgehen Sinn – aus technischer und partnerschaftlicher Perspektive bleibt jedoch Klärungsbedarf.
Für Enterprise-Kunden eröffnet sich eine neue, klar strukturierte Welt hybrider IT-Infrastrukturen. Für kleine Partner kann der Schritt aber das Ende einer langjährigen VMware-Partnerschaft bedeuten. Der Markt wird sich erst langfristig an die neue Realität anpassen müssen.
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