Mit der Ankündigung eines Rechenzentrums in Gigawatt-Dimension betritt Manchester die nächste Stufe der digitalen Infrastruktur. Das Projekt vereint Hochleistungs-IT mit nachhaltiger Energieversorgung – und wirft zentrale Fragen zur Zukunft urbaner Energie- und Rechenzentren auf.
Ein Projekt der Superlative: Das geplante Gigawatt-Rechenzentrum in Manchester
Manchester, lange Zeit Aushängeschild der britischen Industrie, positioniert sich derzeit neu als globaler Hotspot für digitale Infrastruktur. Der geplante Bau eines Rechenzentrums mit einer Leistungsaufnahme von bis zu 1 Gigawatt (GW) durch die Unternehmen Carlton Power und den in UK ansässigen Hyperscale-Entwickler Peridot zeigt den ambitionierten Charakter des Vorhabens. Das Projekt, dessen Realisierung bis 2030 angestrebt wird, soll im rund 6,5 Hektar großen „Trafford Low Carbon Energy Park“ entstehen – einem Areal, das bereits als Standort für Wasserstoff- und Batteriespeicherlösungen vorgesehen ist.
Die Dimensionen sind beeindruckend: Zum Vergleich – ein typisches hyperskalierbares Rechenzentrum liegt in der Regel im Bereich von 100 bis 300 Megawatt IT-Last. Microsofts geplantes Rechenzentrum in Bad Homburg (Deutschland) liegt beispielsweise bei ca. 200 MW. Das nun in Manchester geplante Zentrum soll bis zu fünfmal so groß werden.
Warum lokal erzeugte Energie zum Gamechanger wird
Herzstück des Projekts ist die direkte Kopplung mit lokal produzierter erneuerbarer Energie, insbesondere aus grünem Wasserstoff und Solarstrom. Der „Trafford Energy Park“ bietet hierfür eine perfekte Grundlage. Carlton Power plant dort unter anderem eine Elektrolyseanlage mit einer Kapazität von bis zu 200 MW zur Wasserstoffproduktion – gespeist durch Solar- und Windenergie sowie ergänzende Batterieanlagen.
Die Vorteile dieser lokalen Energieversorgung sind vielschichtig:
- Reduzierte Netzlast: Durch die On-Site-Energieerzeugung wird die Last auf das überregionale Energienetz verringert – ein entscheidender Faktor angesichts wachsender Nachfrage.
- Geringere Übertragungsverluste: Lokal erzeugter Strom muss nicht über weite Strecken transportiert werden. Das spart Energie und reduziert CO₂-Emissionen.
- Verbesserte Versorgungssicherheit: Eigene Energieparks machen Rechenzentren unabhängiger von Strompreisschwankungen und Netzausfällen.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Elektrifizierung, insbesondere durch den Hochlauf von KI-Workloads und digitalen Dienstleistungen, wird dieser integrierte Ansatz als langfristiger Vorteil gesehen.
Infrastruktur am Limit: Herausforderungen für Manchester
Ein Rechenzentrum dieser Größenordnung ist nicht ohne komplexe Herausforderungen realisierbar. Die Energieversorgung ist nur ein Baustein. Ebenso entscheidend ist die Netzanbindung an Glasfaser-Backbones, der Zugang zu qualifizierten Fachkräften und die Kühlung der Anlagen.
Insbesondere beim Thema Netzkapazität steht Großbritannien derzeit unter kritischer Beobachtung: Der britische Netzbetreiber National Grid hat bereits in mehreren Studien vor Kapazitätsengpässen im Übertragungsnetz gewarnt. In Regionen wie London oder Slough wurden neue Rechenzentrumsprojekte vorübergehend gestoppt, da der Netzanschluss nicht ausreichend gesichert war.
Manchester versucht dem mit der Entwicklung neuer Substationen und dem Ausbau bestehender Leitungen entgegenzuwirken. Bereits jetzt werden Leitungen in die entstehenden Rechenzentrumsflächen rund um Trafford Park gelegt. Gleichzeitig setzt man auf Kooperationen mit Network Rail und regionalen Stadtwerken, um Synergien auszuschöpfen.
Doch auch die gesellschaftliche Akzeptanz spielt eine Rolle: Die zunehmende „Industrialisierung“ städtischer Räume durch riesige Rechenzentren wird kritisch verfolgt. Hier sind Transparenz und nachhaltige Stadtentwicklung gefragt.
Europäische Vergleichsprojekte: Wie steht Manchester im Wettbewerb?
In Europa gibt es derzeit nur wenige vergleichbare Rechenzentrumsprojekte in dieser Leistungsklasse. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen zeigt:
- Norwegen/Dänemark: Apple und Google betreiben in Skandinavien große Rechenzentren mit über 500 MW, jedoch verteilt auf mehrere Areale. Hier punktet besonders die Kombination aus Wasserkraft und günstigen Temperaturen.
- Deutschland: Der neue Digitalpark Rhein-Main (u.a. von CloudHQ) ist auf bis zu 300 MW Leistung ausgelegt. Allerdings sorgen hier Strompreise und Genehmigungsverfahren für längere Planungszeiträume.
- Irland: Dublin war lange der Hotspot für Hyperscaler, stößt jedoch inzwischen an regulatorische und infrastrukturelle Grenzen. Der irische Energieversorger EirGrid hat temporär einen Stopp für Neuanschlüsse beschlossen.
Im Vergleich dazu bietet Manchester mit seiner industriegeprägten DNA, vorhandenem Raumangebot und politischer Unterstützung ein hohes strategisches Potenzial. Die Kombination aus grünem Wasserstoff und Digitalinfrastruktur gilt europaweit als zukunftsweisend.
Ein aktueller Bericht des Marktforschungsunternehmens Arizton Market Research prognostiziert, dass der britische Rechenzentrumsmarkt bis 2029 mit einer jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 8,6 % expandieren wird – getrieben von Initiativen wie der in Manchester.
Nachhaltigkeit als USP: Zwischen Anspruch und Machbarkeit
Manchester positioniert sich mit seinem Energiepark-Ansatz bewusst als Vorreiter im Bereich klimafreundlicher Digitalisierung. Doch wie tragfähig ist dieses Modell?
Ein zentraler Aspekt: Der Einsatz von grünem Wasserstoff als Energiequelle. Dieser gilt als klimaneutrale Alternative zu Gas oder Diesel, wenngleich der Wirkungsgrad der Umwandlungskette (Strom – Wasserstoff – Strom) bislang unter 40 % liegt. Experten wie Prof. Dr. Nilay Shah vom Imperial College London sehen dennoch großes Potenzial – insbesondere in Form von Hybridmodellen, bei denen Stromüberschüsse gespeichert und flexibel für Industrie und IT-Infrastruktur genutzt werden können.
Ein weiterer Aspekt sind Smart-Grid-Technologien, die eine flexible Lastverteilung zwischen Rechenzentrum, Batterie und Netz ermöglichen. Hierbei liefern Modelle aus China und Japan erste Erfolgsbeispiele, etwa die Selbstregulierung von Cloudplattformen auf Basis von Echtzeit-Energiepreisen.
Entscheidend ist jedoch auch die Kühlung: Bei bis zu 1 GW Leistung entstehen massive Energiemengen, die effizient abgeführt werden müssen. Deshalb setzen die Entwickler auf Direct-to-Chip-Lösungen, eine höhere Rackdichte (bis zu 100 kW) und die Nutzung von Abwärme für lokale Wärmeverbünde – ein Konzept, das u.a. in Stockholm erfolgreich erprobt wurde.
Für die Umsetzung dieser innovativen Ansätze gibt es klare Handlungsempfehlungen:
- Frühzeitige Verzahnung von Energie- und Stadtentwicklungsplanung.
- Förderung hybrider Energiekonzepte (PV, Wind, Wasserstoff, Batteriespeicher).
- Einbindung regionaler Stakeholder zur Sicherung von Akzeptanz und Fachpersonal.
Aktuelle Zahlen unterstreichen die Relevanz: Laut einer Studie der International Energy Agency (IEA) könnten Rechenzentren bis 2030 weltweit bis zu 8 % des gesamten Strombedarfs ausmachen (Quelle: IEA, 2023).
Ausblick: Modellprojekt für Europas digitale Resilienz
Das Gigawatt-Rechenzentrum in Manchester steht nicht nur für ein technisches Großprojekt, sondern für einen Paradigmenwechsel: Von reinen Cloudstandorten hin zu digital-energetischen Knotenpunkten. Die Kopplung von Erzeugung, Speicherung und IT-Verbrauch innerhalb eines integrierten Campus-Modells könnte künftig Standard werden.
Wenn das Projekt wie geplant umgesetzt wird, könnte Manchester zum Vorbild für nachhaltige Digitalisierung in Ballungsräumen werden – eine Blaupause für Frankfurt, Amsterdam oder Paris, die heute noch mit Netzengpässen und regulatorischen Unsicherheiten kämpfen.
Gleichzeitig betont das Projekt die Chancen sektorübergreifender Innovation: Nur wenn Energie- und IT-Wirtschaft enger zusammenarbeiten, lassen sich zukunftsfähige Lösungen entwickeln.
Die Zukunft urbaner Rechenzentren liegt in der Sektorkopplung – Manchester geht hier mutig voran.
Fazit: Beteiligung gefragt – wie Stakeholder von dieser Entwicklung profitieren können
Gigawatt-Rechenzentren wie das in Manchester zeigen eindrucksvoll, wie Digitalisierung und Energiewende zusammen gedacht werden können. Für Stadtplaner, Energieversorger, Hyperscaler und die Tech-Community ergeben sich daraus entscheidende Handlungsfelder – von der Infrastrukturplanung über regulatorische Innovationen bis hin zur Klimaresilienz.
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