Google galt lange als leuchtendes Beispiel für eine innovative Unternehmenskultur. Doch ehemalige Mitarbeiter und aktuelle Entwicklungen zeichnen ein anderes Bild: Interne Spannungen, schrumpfende Innovationskraft und ein schleichender Kulturverfall. Was ist bei Google passiert – und was bedeutet das für die Zukunft des Unternehmens?
Vom Pionier zur Bürokratie: Der Kulturwandel bei Google
Als Google in den frühen 2000er-Jahren durchstartete, war das Unternehmen nicht nur technologisch, sondern auch kulturell ein Vorreiter. Flache Hierarchien, 20-Prozent-Projekte für eigene Ideen und die Philosophie „Don’t be evil“ prägten das Selbstverständnis der Belegschaft und zogen kreative Köpfe aus aller Welt an.
Doch inzwischen berichten ehemalige Mitarbeitende von einem deutlichen Bruch mit dieser Kultur. Einer von ihnen ist Praveen Seshadri, ein ehemaliger Engineering Director bei Google Cloud, der sich in einem viel beachteten Medium-Beitrag (Februar 2023) kritisch zum Zustand des Unternehmens äußerte. Sein Fazit: Google sei „von Bürokratie, kurzsichtigen Prioritäten und einem toxisch sicheren Status quo gelähmt“.
Besonders drastisch beschreibt Seshadri eine neue interne Dynamik: Innovationen würden zunehmend durch Prozesse ausgebremst, micromanagement und interne Politik stünden im Vordergrund. Die Risikobereitschaft, die einstige Vorzeigeprojekte wie Gmail oder Google Maps möglich machte, sei durch eine rigide Managementstruktur ersetzt worden.
Sinkende Innovationskraft: Weniger Mut, mehr Kontrolle
Die Innovationskrise bei Google ist messbar. Während Unternehmen wie OpenAI mit ChatGPT oder Nvidia mit hochspezialisierter KI-Hardware den Takt in der Tech-Welt angeben, hinkt Google mit eigenen Produkten wie Bard (jetzt Gemini) oder PaLM 2 in der Wahrnehmung vieler Entwickler und Nutzer hinterher. Obwohl Google technisch nach wie vor stark aufgestellt ist, scheint die Umsetzung und Marktpositionierung neuer Ideen ins Stocken geraten zu sein.
Das bestätigte auch ein Bericht von The Information (März 2024), der interne Kommunikationsprobleme und abgebrochene Projekte bei Google DeepMind dokumentierte. Mehrere ambitionierte KI-Projekte seien aufgrund uneinheitlicher Ziele und managergetriebener Reorganisationen eingestellt worden.
Eine aktuelle interne Umfrage (Q1/2025, laut Business Insider) zeigt, dass die Zufriedenheit unter Googlern inzwischen auf einem historischen Tiefstand liegt: Nur 48 % der befragten Mitarbeiter gaben an, ihre Arbeit als „sinnstiftend“ zu empfinden – 2019 waren es noch 74 %.
Kulturverlust auf Kosten der Mitarbeitermotivation
Eine innovative Kultur benötigt Vertrauen, Autonomie und psychologische Sicherheit. Genau diese Grundlagen wurden laut mehreren ehemaligen Google-Mitarbeitern schrittweise unterminiert. Diverse Glassdoor-Bewertungen aus den Jahren 2023 und 2024 sprechen von steigender „Meeting-Overload“, „Entscheidungsparalyse“ und mangelndem Vertrauen in die Führungsspitze.
Hinzu kommen Umstrukturierungen und Entlassungswellen, insbesondere im Jahr 2023, als Google rund 12.000 Stellen strich – die größte Kündigungsrunde in der Firmengeschichte. Diese Maßnahmen hatten laut einer Analyse von CNBC (Januar 2024) nicht nur kurzfristige Budget-Effekte, sondern beeinflussten auch die Loyalität und Risikobereitschaft der verbleibenden Teams massiv negativ.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die zunehmende Remote-First- bzw. Hybridstrategie. Zwar bleibt Google offiziell bei einem „3-Tage-im-Büro“-Modell, doch die physische Entkopplung scheint die einst starke Netzwerkkultur und kollektive Kreativität zu schwächen. Laut einer Studie von Stanford Economics (Oktober 2024) wirken sich hybride Arbeitsmodelle besonders stark auf die Innovationsleistung crossfunktionaler Teams aus.
Die Konkurrenz schläft nicht: Amazon, Meta und Microsoft im Vergleich
Im Vergleich zu anderen Big-Tech-Unternehmen fällt Googles Kulturveränderung stärker negativ auf. Microsoft beispielsweise hat es unter CEO Satya Nadella geschafft, eine kollaborative, wachstumsorientierte Unternehmenskultur zu etablieren und gleichzeitig massive Investitionen in KI-Innovation (etwa über OpenAI) zu tätigen. Die Mitarbeiterzufriedenheit bei Microsoft lag laut Comparably im Jahr 2024 bei 77 %, gegenüber 56 % bei Google.
Auch Amazon, bekannt für seine rigorose Leistungskultur, hat Innovationen wie Amazon Web Services (AWS) und KI-gesteuerte Logistiksysteme frühzeitig skaliert – mit sichtbarem Erfolg. Meta wiederum scheint sich trotz turbulentem Metaverse-Fokus neu zu stabilisieren: Interne Programme zur Förderung interner Entrepreneurship brachten 2024 mehrere neue B2B-Produkte hervor.
Google hingegen wirkt zunehmend reaktiv statt visionär: Viele Tech-Analysten bezeichnen den Launch von Gemini als Antwort auf die Erfolgsgeschichte von ChatGPT – nicht als originären Durchbruch.
Was Unternehmen daraus lernen können
Der Fall Google zeigt deutlich, dass technologische Exzellenz allein nicht genügt. Ohne eine gesunde, innovationsfreundliche Unternehmenskultur drohen selbst den besten Tech-Konzernen Agilitätsverlust und Relevanzprobleme.
- Culture first: Unternehmen sollten Kulturmetriken wie psychologische Sicherheit, Feedback-Kultur und Autonomiewahrnehmung regelmäßig messen und ernst nehmen.
- Dezentralisieren statt zentralisieren: Innovationsinitiativen gedeihen oft besser, wenn sie unabhängig von Konzernzentralen agieren können.
- Mut zur Talentbindung: Statt Top-Talente durch Bürokratie zu frustrieren, sollten Freiräume und Entrepreneur-in-Residence-Programme geschaffen werden.
Insbesondere in der KI-getriebenen Transformationsphase ist kulturelle Anpassungsfähigkeit kein Soft Skill, sondern ein harter Erfolgsfaktor.
Der Blick nach vorn: Kann sich Google erneut erfinden?
Viele hoffen auf eine kulturelle Kehrtwende. Die neue Alphabet-Struktur mit stärkeren Handlungsspielräumen einzelner Units wie DeepMind oder Google X könnte ein Hebel sein. Externe Marktdynamiken – etwa der steigende Druck durch KI-Innovationen – könnten ebenfalls zu einem Umdenken führen.
Letztlich wird Google sich fragen müssen, ob es noch die Bedingungen schafft, in denen kreative Köpfe groß denken dürfen. Wenn das gelingt, könnte der Tech-Gigant zurück in die Rolle des Kulturpioniers finden.
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