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Stromversorgung in Rechenzentren: Warum Verfügbarkeitsklassen entscheidend sind

Ein strahlend hell erleuchteter Serverraum mit modernen Rechenzentren, in dem Techniker konzentriert und freundlich zusammenarbeiten, während warmes Tageslicht durch große Fenster fällt und die hochmoderne Infrastruktur in lebendigen, realistischen Details zeigt.

In einer Ära, in der digitale Dienste rund um die Uhr verfügbar sein müssen, ist die unterbrechungsfreie Stromversorgung von Rechenzentren keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit. Wer Ausfälle vermeiden will, muss die Bedeutung von Verfügbarkeitsklassen kennen und sich auf hohe Standards verlassen können. Dieser Artikel zeigt, warum die richtige Klassifizierung über Erfolg und Ausfallsicherheit entscheidet.

Warum Stromverfügbarkeit das Rückgrat moderner Infrastruktur ist

Ob kritische Finanztransaktionen, Produktionsprozesse oder öffentliche Dienste – ein Rechenzentrum ist das Herz digitaler Ökosysteme. Laut einer Studie des Uptime Institute aus dem Jahr 2023 geben 60 % der befragten Unternehmen an, dass die Hauptursache für nicht-geplante Ausfälle im Rechenzentrum auf Ausfälle der Stromversorgung zurückzuführen ist. Stromausfälle verursachen nicht nur wirtschaftlichen Schaden, sondern gefährden im schlimmsten Fall Menschenleben, etwa in medizinischen Einrichtungen oder bei Verkehrsmanagementsystemen.

Die Verfügbarkeit der Stromversorgung zählt somit zu den zentralen Leistungsindikatoren der Infrastruktur. Sie stellt sicher, dass Server, Storage-Komponenten, Netzwerke und Klimatisierungssysteme stets funktionsfähig sind. Jede Unterbrechung kann massive Folgen haben – laut IBM und dem Ponemon Institute lag der durchschnittliche finanzielle Schaden eines Rechenzentrumsausfalls 2023 bei rund 9.000 US-Dollar pro Minute.

Verfügbarkeitsklassen und ihre technische Bedeutung

Um die Ausfallsicherheit von Rechenzentren strukturiert einzuordnen, haben sich weltweit verschiedene Klassifikationssysteme etabliert. In Europa ist insbesondere die Norm EN 50600-2-2 maßgeblich, die Architekturen zur Stromversorgung in vier sogenannte Availability Classes (AC) einteilt. Diese Klassen helfen Planern und Betreibern, den erforderlichen Schutzbedarf und Maßnahmenumfang zu definieren:

  • Verfügbarkeitsklasse 1 (AC 1): Einfaches System ohne Redundanz. Kein Schutz gegen Ausfälle.
  • Verfügbarkeitsklasse 2 (AC 2): Minimale Redundanz. Teilschutz bei Defekten einzelner Komponenten.
  • Verfügbarkeitsklasse 3 (AC 3): Vollständig redundante Stromversorgung mit automatischer Umschaltung. Schutz vor Einzelfehlern.
  • Verfügbarkeitsklasse 4 (AC 4): Höchstverfügbarkeit. Fehlerresistenz gegen mehrfache Ausfälle. Komplett wartungsfähige Systeme im Vollbetrieb.

Neben EN 50600 kommt in der Praxis häufig auch das Tier-System des Uptime Institute zum Einsatz (Tier I–IV), das ähnlich aufgebaut ist. Beide Ansätze verfolgen dasselbe Ziel: Klar definierte, messbare Anforderungen für maximale Betriebssicherheit.

Sicherheitsstandards und Normen im Fokus

Neben EN 50600 gibt es weitere Standards, die Rechenzentrumsbetreiber bei der Stromversorgung beachten müssen. Dazu zählen:

  • IEC 60364-5-54: Internationale Norm zur Erdung von elektrischen Anlagen – relevant für Ausfallsicherheit.
  • VDE-AR-N 4105: Technische Anschlussregeln für Niederspannung – wichtig bei Generatoranlagen.
  • ISO/IEC 22237: Nachfolger von EN 50600– entwickelt als globaler Standard für Rechenzentrumssysteme.

Diese Normen helfen dabei, Infrastrukturen so zu planen, dass sie nicht nur technisch und organisatorisch sicher sind, sondern auch gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Gerade bei internationalen Multi-Tenant-Rechenzentren ist die Normenkonformität ein entscheidender Compliance-Faktor.

Redundanzkonzepte: Die Basis jeder Hochverfügbarkeit

Zentrale Instrumente zur Gewährleistung der Stromverfügbarkeit sind Redundanzkonzepte – also die bewusste Vermeidung von Single Points of Failure. Je nach Risikoprofil und Zielverfügbarkeit kommen etwa folgende Strategien zum Einsatz:

  • USV-Systeme (unterbrechungsfreie Stromversorgungen): Überbrücken kurzfristige Schwankungen oder Ausfälle im Netz.
  • Diesel-Notstromaggregate: In Kombination mit USV sichern sie Stromversorgung bei langanhaltenden Ausfällen.
  • Verteilte elektrische Pfade: Trennung in A- und B-Stränge mit automatischer Lastumschaltung.

Der richtige Mix ist entscheidend: Während Tier-IV-Rechenzentren mit mindestens 2N-Redundanz konzipiert sind, nutzen kleinere Betreiber häufig N+1-Systeme, bei denen eine Komponente zusätzlich vorhanden ist (z. B. ein extra Generator).

Ein Beispiel aus der Praxis: Das Rechenzentrum LEW TelNet in Augsburg wurde 2024 mit AC 4 nach EN 50600 zertifiziert. Dabei kamen nicht nur rückspeisefähige Bypass-USVen zum Einsatz, sondern auch Tri-Power-Architekturen mit 100 %-iger Lastteilung – ein State-of-the-Art-Modell für hochkritische Infrastrukturen.

Monitoring, Frühwarnsysteme und Predictive Maintenance

Technik allein garantiert jedoch keine Hochverfügbarkeit. Systeme müssen kontinuierlich überwacht und gewartet werden. Smarte Sensorik und KI-gestützte Diagnosetools unterstützen das Facility-Team heute bei:

  • zustandsbasierter Wartung von USV- und Generatoranlagen
  • Monitoring von Spannungsschwankungen und Temperatur
  • vorausschauender Austausch kritischer Komponenten

Viele Unternehmen kombinieren diese Funktionen mit einer Asset-Tracking-Lösung und einem zentralen Dashboard, um ihre Risikoanalyse zu optimieren. Predictive Maintenance verringert nicht nur die Ausfallwahrscheinlichkeit, sondern spart mittel- bis langfristig auch Betriebskosten.

Drei Empfehlungen für Betreiber

  • Schaffen Sie Transparenz: Führen Sie regelmäßige Verfügbarkeitsanalysen und Risikoabschätzungen durch – nicht nur auf technischer, sondern auch auf organisatorischer Ebene.
  • Nutzen Sie modulare Systeme: Erhöhen Sie schrittweise die Verfügbarkeitsklasse, basierend auf dem tatsächlichen Bedarf und zukünftigen Wachstumsplänen.
  • Dokumentieren Sie lückenlos: Eine klar strukturierte Dokumentation der Energieversorgung und Wartungsvorgänge erleichtert Audits und Zertifizierungen.

Globale Trends: Nachhaltigkeit und Microgrids

Mit wachsendem Energiebedarf steigt auch der ökologische Druck. Moderne Rechenzentren setzen deshalb vermehrt auf nachhaltige Energiekonzepte. Laut dem Data Centre Energy Report 2024 (eco/Borderstep Institut) beziehen mittlerweile 39 % der deutschen Rechenzentren ihren Stromanteil aus erneuerbaren Energien. In Skandinavien liegt dieser Anteil bereits bei über 90 %.

Ein spannender Trend ist die Integration von Microgrids – also lokalen, intelligenten Stromnetzen, die erneuerbare Energien, Batteriespeicher und Steuerungseinheiten kombinieren. Microgrids verbessern nicht nur die Energieeffizienz, sondern erhöhen auch die Resilienz gegenüber Netzausfällen. Erste Pilotzentren, u. a. von Equinix und AWS, haben in Europa bereits erfolgreiche Testszenarien durchgeführt.

Fazit: Verfügbarkeit ist kein Selbstläufer

Die Stromversorgung in Rechenzentren bleibt ein zentrales Thema mit hoher technologischer und wirtschaftlicher Relevanz. Ohne präzise Planung, moderne Redundanzrollen und konsequentes Monitoring lassen sich die hohen Anforderungen nicht erfüllen. Verfügbarkeitsklassen wie AC 4 bieten eine wichtige Orientierung bei der Investitionsentscheidung und Kundenkommunikation.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Klassifizierung und Umrüstung Ihrer Strominfrastruktur gemacht? Teilen Sie Ihre Best Practices und Herausforderungen mit der Community – wir freuen uns über Ihre Kommentare und Insights!

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