Der Online-Handel boomt – doch nicht alles, was glänzt, ist auch vertrauenswürdig. Hinter auffällig positiven Bewertungen und scheinbar seriösen Händlerprofilen verbergen sich mitunter betrügerische Praktiken, die das Vertrauen von Konsumenten und die Integrität ganzer Plattformen bedrohen. Eine besonders hinterhältige Masche: der sogenannte Brushing-Betrug.
Brushing: Wenn Pakete ohne Bestellung kommen
Der Brushing-Betrug zählt zu den eher unbekannten, aber äußerst wirksamen Manipulationstechniken im E-Commerce. Dabei verschicken Händler scheinbar grundlos kostenlos bestellte Waren an ahnungslose Empfänger – allerdings mit einem perfiden Hintergedanken: Sie nutzen die damit erzeugten Versanddaten, um gefälschte, meist überragende Produktbewertungen zu erstellen. Auf Plattformen wie Amazon, eBay oder Temu profitieren diese Händler von einem verbesserten Ranking und mehr Sichtbarkeit – zulasten des echten Wettbewerbs und der Verbrauchertransparenz.
Wie eine 2023 von der Better Business Bureau veröffentlichte Analyse belegt, wurden allein in den Vereinigten Staaten über 1.200 Fälle von Brushing innerhalb von zwölf Monaten gemeldet – Tendenz steigend. Besonders kritisch: Da in vielen Fällen ein echter Versand stattfindet, fällt es Plattformen schwer, die Aktivität als betrügerisch zu erkennen.
Der psychologische Effekt gefälschter Bewertungen
Positive Rezensionen haben eine immense psychologische Wirkung. Laut einer Bitkom-Studie aus dem Jahr 2024 vertrauen 78 % aller deutschen Online-Käufer auf Kundenbewertungen, bevor sie ein Produkt erwerben. Der Brushing-Betrug nutzt diesen Umstand skrupellos aus. Gerade bei günstigen Massenprodukten aus Überseemärkten, wo Markenbindung weniger wichtig ist, können manipulierte Bewertungen den entscheidenden Kaufimpuls geben.
Und damit nicht genug: Viele Konsumenten betrachten unerwartete Lieferungen zunächst als harmlos oder sogar erfreulich – was die Betrugsmasche noch gefährlicher macht. Denn wer die Ware nutzt, gibt dem Händler sogar unbeabsichtigt einen zusätzlichen Anschein von Legitimität.
Die Rolle der Plattformen: Verantwortung oder Vermeidung?
Online-Marktplätze spielen eine ambivalente Rolle. Einerseits profitieren sie wirtschaftlich vom schnellen Warenumsatz und positiven Kundenerlebnissen – metrisch oft durch Sternebewertungen gemessen. Andererseits sind sie gesetzlich und moralisch verpflichtet, betrügerische Aktivitäten zu unterbinden. Hier zeigt sich eine gefährliche Grauzone.
So gab es immer wieder Kritik an Amazons Review-System. Zwar implementiert der Konzern seit 2021 vermehrt KI-gestützte Prüfmechanismen und Labels wie „Verifizierter Kauf“, doch die Effektivität bleibt umstritten. Laut einem Bericht von Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2024) war fast jede fünfte untersuchte Bewertung auf großen Plattformen potenziell manipuliert.
Ein Blick auf neue, kleinere Plattformen zeigt, dass mehr Transparenz möglich ist. Einige Anbieter kennzeichnen Bewertungen mit Zeitstempeln, Herkunftsangaben oder Nutzerprofil-Levels. Andere setzen auf Blockchain-basierte Systeme zur lückenlosen Nachverfolgung von Transaktionen und Rezensionen. Der Standard aber ist das nicht – noch nicht.
Händlerstrategien: Zwischen legalem Marketing und ethischer Grauzone
Natürlich ist es nicht jede Form von Bewertungsförderung automatisch verdächtig. Viele Händler investieren in sauberes Reputationsmanagement: Sie bitten Kunden aktiv um Feedback, bieten Gutscheine für Produktrezensionen an oder arbeiten mit Influencern zusammen. Schwierig wird es dort, wo der Anreiz das Urteil verzerrt oder gar eine Bewertung vorformuliert wird.
Insbesondere der chinesische Markt ist bekannt für aggressive Brushing-Strategien. Ein Report von FINN Partners Asia (2023) zeigt, dass über 30 % untersuchter Händler auf Plattformen wie AliExpress oder Temu mindestens zeitweise auf Brushing zurückgriffen. Auch Dropshipping-Modelle sind hier besonders anfällig, da sie kaum kontrollierte Logistikinfrastruktur benötigen.
Für Konsumenten ist es extrem schwer zu unterscheiden, ob eine Bewertung legitim ist. Eine 5-Sterne-Rezension mit Standardtext kann von einem echten oder gefälschten Käufer stammen. Plattformen wie Fakespot oder ReviewMeta bieten Hilfe, stoßen aber bei geschlossenen Marktplätzen an technische Grenzen.
Praktische Tipps: So schützt man sich vor manipulierten Bewertungen
Verbraucher sind dem System nicht hilflos ausgeliefert – mit kritischer Aufmerksamkeit und passenden Tools lässt sich der Schaden begrenzen.
- Bewertungen verifizieren: Achte auf das Label „Verifizierter Kauf“ und auf zeitlich gestaffelte Bewertungsdaten.
- Ungewöhnliche Bewertungen prüfen: Viele gleichlautende Einträge, generische Formulierungen und extrem hohe Bewertungen innerhalb kurzer Zeitpunkte deuten auf Manipulation hin.
- Externe Tools nutzen: Webseiten wie Fakespot oder ReviewMeta analysieren Amazon-Bewertungen automatisch und filtern verdächtige Rezensionen heraus.
Regulatorische Entwicklungen im Online-Handel
Auch politische Institutionen haben das Problem erkannt. Mit dem Inkrafttreten des Digital Services Act (DSA) der EU im Februar 2024 sind große Plattformen verpflichtet, manipulative Inhalte transparenter offenzulegen und sogenannte „Dark Patterns“ proaktiv zu verhindern. Dazu zählen auch irreführende Bewertungen und Brushing-Taktiken.
Die Bundesnetzagentur prüft derzeit, inwiefern Marktplätze beim Versand nicht bestellter Waren haftbar gemacht werden können. Bisher ist das Brushing rechtlich eine Grauzone. Für die betroffenen Empfänger solcher Sendungen empfiehlt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), keinerlei Reaktion zu zeigen und die Produkte nicht zu verwenden.
Vertrauen neu denken: Die Zukunft des sicheren Online-Handels
Der E-Commerce ist längst kein Neuland mehr – doch mit steigender Relevanz wächst auch die Verantwortung aller Akteure. Händler müssen sich ethisch positionieren, Plattformen aktiv Risiken eindämmen, Konsumenten kritisch hinterfragen und der Gesetzgeber für klare Rahmenbedingungen sorgen. Nur in diesem Zusammenspiel lässt sich der digitale Handel langfristig resilient und vertrauenswürdig gestalten.
Die zunehmende Professionalisierung von Bewertungsbetrug zeigt: Schein und Sein verschwimmen immer stärker. Es braucht intelligente, transparente und technologische Antworten auf eine Herausforderung, die tief ins Herz des digitalen Konsums trifft.
Wie beurteilt ihr persönliche Bewertungen im Netz? Habt ihr schon Erfahrungen mit Brushing gemacht oder könnt Tipps geben? Diskutiert mit uns in den Kommentaren und helft mit, digitale Transparenz zu fördern!