Die verlässliche Notstromversorgung von Rechenzentren zählt zu den kritischsten Infrastrukturen der digitalen Welt – gleichzeitig steht sie zunehmend unter dem Druck, ökologischen Anforderungen zu genügen. Hydriertes Pflanzenöl (HVO) gilt nun als vielversprechender Übergangskraftstoff zur Decarbonisierung – unter anderem durch Pilotprojekte von Rolls-Royce und Microsoft. Doch wie nachhaltig ist HVO wirklich, und wo liegen die technologischen und regulatorischen Herausforderungen?
Warum Rechenzentren neue Energiepfade benötigen
Rechenzentren sind das Rückgrat moderner IT-Infrastrukturen – vom Cloud-Hosting bis hin zu Online-Diensten, die rund um die Uhr einsatzbereit sein müssen. Um Blackouts oder Netzschwankungen ausgleichen zu können, sind leistungsfähige Notstromaggregate Pflicht. Bisher kamen dafür fast ausschließlich Dieselgeneratoren zum Einsatz – mit negativen Folgen für CO₂-Bilanz und Feinstaubemissionen.
Angesichts wachsender regulatorischer Anforderungen wie der EU-Taxonomie-Verordnung oder des deutschen Energieeffizienzgesetzes (EnEfG) suchen Betreiber nach klimafreundlicheren Alternativen. Gleichzeitig erwartet der internationale Markt ein stark wachsendes Datenzentrumsgeschäft: Laut einer IDC-Prognose wird der weltweite Datenverkehr bis 2026 jährlich um durchschnittlich 23 % wachsen (Quelle: IDC, Global DataSphere Forecast 2022–2026).
Was ist HVO und warum ist es eine Option?
Hydriertes Pflanzenöl (HVO – Hydrotreated Vegetable Oil) ist ein synthetischer, paraffinischer Dieselkraftstoff, der aus biologischen Rohstoffen wie Abfallfetten, Speiseölresten oder Algen hergestellt wird. Im Gegensatz zu konventionellem Biodiesel wird HVO durch Hydrierung in einem petrochemischen Prozess gewonnen, was zu einer hohen chemischen Reinheit führt. Dadurch ist HVO vollständig kompatibel mit modernen Dieselmotoren – inklusive jener in Notstromaggregaten – ohne technische Umrüstungen.
Ein wesentlicher Vorteil von HVO: Laut Neste, einem der größten HVO-Produzenten weltweit, können durch den Einsatz von HVO bis zu 90 % CO₂ im Vergleich zu fossilem Diesel eingespart werden (Quelle: Neste Corporation, Sustainability Report 2023). Zudem entstehen beim Verbrennen weniger Rußpartikel und Stickoxide.
Pilotprojekt mit Strahlkraft: Rolls-Royce und Microsoft
Ein konkretes Beispiel für den Praxiseinsatz von HVO in Rechenzentren ist die Partnerschaft zwischen Rolls-Royce Power Systems (MTU) und Microsoft. 2024 startete ein Pilotprojekt an einem Microsoft-Datenzentrum in Schweden, bei dem Notstromsysteme auf Basis von HVO-Betrieb getestet wurden. Ziel war es, sowohl die CO₂-Emissionen als auch den Schadstoffausstoß bei maximaler Performance zu senken.
„Für Microsoft ist es ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2030“, kommentierte Noelle Walsh, Corporate Vice President Cloud Operations & Innovation. Rolls-Royce bestätigte im Zuge der Tests, dass die eingesetzten dieselbasierten MTU-Aggregate HVO mit identischer Leistungsfähigkeit wie fossiler Diesel verarbeiten konnten – ohne Anpassung der Aggregattechnik oder Wartungsintervalle.
Vorteile von HVO im Rechenzentrumseinsatz
Die Vorteile sprechen für sich:
- Klimafreundlichkeit: Reduzierung der Treibhausgasemissionen um bis zu 90 % (je nach Feedstock und Verfahren).
- Drop-in-kompatibel: Bestehende Notstromaggregate können HVO nutzen, ohne technische Umrüstung.
- Verbesserte Luftqualität: Weniger Feinstaub und NOx im Vergleich zu fossilem Diesel.
- Lange Lagerstabilität: Im Gegensatz zu konventionellem Biodiesel ist HVO bis zu zehn Jahre lagerfähig – ein wichtiger Aspekt für die Notstromreserve.
Darüber hinaus ist HVO nicht als Gefahrgut klassifiziert, was Transport und Lagerung erheblich vereinfacht.
Nachteile und Herausforderungen bei der flächendeckenden Einführung
Doch trotz der Vorteile gibt es Hürden. Die größte Herausforderung liegt in der Verfügbarkeit und Skalierbarkeit. Laut der International Energy Agency (IEA) lag die globale HVO-Produktionskapazität 2023 bei rund 12 Millionen Tonnen jährlich – was weniger als 2 % des weltweiten Dieselkraftstoffverbrauchs entspricht (Quelle: IEA, Renewables 2023 Report).
Hinzu kommen folgende Herausforderungen:
- Nachhaltigkeit der Rohstoffe: Die Herkunft und Nachhaltigkeit der verwendeten Altfette oder pflanzlichen Abfälle muss streng geprüft werden, um indirekte Landnutzungsänderungen (iLUC) zu vermeiden.
- Preisgestaltung: HVO ist derzeit noch deutlich teurer als fossiler Diesel – bei gleichem Energiegehalt.
- Regulatorik und Zertifizierung: Es fehlt vielerorts an einheitlichen Standards für die Nutzung von HVO in Back-up-Systemen.
In der EU darf HVO aktuell nur dann als nachhaltiger Biokraftstoff zählen, wenn er gemäß der RED-II-Richtlinie und der ISCC-Zertifizierung produziert wurde.
Empfehlungen für Rechenzentrumsbetreiber:
- Prüfen Sie die HVO-Kompatibilität Ihrer bestehenden Generatoren – insbesondere den Tankwerkstoff und die Einspritzsysteme.
- Nutzen Sie zertifizierte HVO-Quellen mit dokumentierter Rohstoffbasis, bevorzugt aus Abfall- und Reststoffen.
- Erstellen Sie eine Kosten-Nutzen-Analyse unter Einbezug von Energiegesetzen und ESG-Berichtspflichten.
HVO im globalen Kontext – Trends und Zukunftsaussichten
Global steigt das Interesse an HVO rapide. Insbesondere in Nordamerika reagieren Hersteller wie Chevron, Neste und Marathon Petroleum mit massiven Investitionen in neue HVO-Raffinerien. Laut einer Prognose von McKinsey & Company aus dem Jahr 2023 könnte die weltweite Kapazität auf über 25 Millionen Tonnen bis 2030 verdoppelt werden – angetrieben durch Dekarbonisierungsziele in Transport, Industrie und Infrastruktur.
Auch auf politischer Ebene findet HVO zunehmend Unterstützung. Die deutsche Bundesregierung etwa fördert im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie auch fortschrittliche Biokraftstoffe, insbesondere dort, wo Elektrifizierung nicht praktikabel ist – wie beim Notstrombedarf in Rechenzentren.
Zwischenlösung oder langfristige Strategie?
Im Kontext langfristiger Net-Zero-Ziele stellt sich die Frage: Ist HVO nur ein Übergang oder eine dauerhafte Lösung? Experten sind sich einig, dass HVO eine sinnvolle Brückentechnologie darstellt – vor allem, solange Brennstoffzellen, Batteriespeicher und andere Alternativen noch nicht flächendeckend verfügbar oder ökonomisch tragfähig sind.
Gleichzeitig eröffnet der Einsatz von HVO Betreibern von Rechenzentren einen kurzfristig realisierbaren Weg, ESG-Anforderungen zu erfüllen und ökologische Standards gegenüber Kunden, Investoren und Behörden sichtbar zu setzen.
Fazit: HVO als praktikabler Schritt in eine grünere Rechenzentrumsinfrastruktur
Die Einführung von HVO als Notstromalternative in Rechenzentren ist technisch realisierbar, ökologisch sinnvoll und regulatorisch unterstützbar – sofern zertifizierte Quellen genutzt und Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden. Projekte wie jenes von Rolls-Royce und Microsoft zeigen eindrucksvoll, dass der Transformationsprozess nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich darstellbar ist.
Die Community der Betreiber, Entwickler und Entscheidungsträger ist jetzt gefragt, konkrete Machbarkeiten zu analysieren, Handlungsspielräume auszunutzen und HVO als Baustein einer metastabilen Energiezukunft in hybriden Infrastrukturen aktiv zu gestalten.
Welche Erfahrungen haben Sie mit HVO oder anderen nachhaltigen Backup-Systemen gesammelt? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren und teilen Sie Ihre Best Practices.