Seit KI-Modelle wie ChatGPT, Claude oder Gemini massiv an Bedeutung gewonnen haben, geraten die Daten, mit denen sie trainiert werden, zunehmend in den Fokus juristischer Auseinandersetzungen. Die zentrale Frage: Dürfen urheberrechtlich geschützte Werke ohne explizite Zustimmung zur Verbesserung künstlicher Intelligenz verwendet werden?
Wenn Daten zur rechtlichen Grauzone werden – Aktuelle Entwicklungen
Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) leben von riesigen Datenmengen. Damit KI-Systeme menschenähnlich schreiben, analysieren und beraten können, benötigen sie Milliarden Sätze aus Texten – oft aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Websites, Büchern oder journalistischen Artikeln. Doch viele dieser Inhalte unterliegen dem Urheberrecht.
Im Jahr 2023 und 2024 haben mehrere Rechtsfälle Aufmerksamkeit erregt, in denen Kreative, Verlage und Unternehmen Tech-Giganten wie OpenAI, Meta oder Google verklagt haben. Auch Apple und das aufstrebende KI-Unternehmen Anthropic, hinter dem ehemalige OpenAI-Mitarbeiter stehen, gerieten 2024 ins Visier.
Apple wurde laut einem Bericht von 404 Media beschuldigt, für das Training seines inzwischen intern getesteten Sprachmodells auch Inhalte aus kostenpflichtigen Nachrichtenportalen verwendet zu haben – darunter die Washington Post und New York Times. Obwohl Apple die Quelle dieser Daten bislang nicht offengelegt hat, berichten Insider, dass der Konzern standardisierte Crawler wie Common Crawl und zusätzliche eigene Tools nutzte.
Auch Anthropic steht unter Beschuss. Im Oktober 2023 verklagte die Universal Music Group gemeinsam mit Warner Music und Sony den Claude-Hersteller, da dessen Modelle ganze Songtexte generieren konnten – trotz bestehender Urheberrechte. Laut der Klageschrift wurden dabei „tausende urheberrechtlich geschützte Werke in das Modell eingespeist“.
Juristische Ausgangslage: Fair Use oder Urheberrechtsbruch?
Im Zentrum dieser Streitigkeiten steht die Frage: Ist das massenhafte Scrapen und Trainieren mit urheberrechtlich geschützten Inhalten rechtlich zulässig? In den USA wird häufig mit der Fair-Use-Doktrin argumentiert – einer Ausnahmeregelung im Urheberrecht, die bestimmte Nutzungen wie Satire, Forschung oder Parodie erlaubt, wenn sie das Original nicht substituieren.
Doch der Einsatz zum Training kommerzieller KI-Systeme ist rechtlich umstritten. In den EU-Mitgliedsstaaten greift seit 2019 die DSM-Richtlinie (EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt). Sie erlaubt Text- und Data-Mining grundsätzlich für Forschungszwecke, aber nicht für kommerzielle Anwendungen – es sei denn, Rechteinhaber stimmen explizit zu oder verzichten mittels „opt-out“ darauf.
Ein Gutachten im Auftrag des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger (BDZV) kam 2024 zu dem Schluss, dass kommerzielles KI-Training ohne Lizenz „eine klare Verletzung des Urheberrechts“ darstellt, vor allem wenn Modelle in der Lage sind, komplette Artikel oder geschützte Passagen zu reproduzieren.
Die Gegenargumente: Innovation braucht Daten
KI-Entwickler argumentieren dagegen mit der Notwendigkeit umfassender Datenmengen, um Sprachmodelle auf menschliches Niveau zu bringen. Ohne Zugriff auf real existierende Inhalte – inklusive solcher, die urheberrechtlich geschützt sind – drohe eine qualitative Stagnation. Zudem würden viele generierte Texte kein exakt kopiertes Werk darstellen, sondern auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen.
OpenAI behauptete in Gerichtsverfahren, dass Trainingsdaten oft transformativ genutzt werden, also einen neuen Zweck erfüllen. Dieses Argument stützt sich auf eine Auslegung von Fair Use, die zuletzt jedoch ins Wanken gerät. In einem Urteil vom Februar 2024 lehnte ein New Yorker Gericht eine pauschale Fair-Use-Ausnahme für KI-Training mit urheberrechtlich geschützten Werken ab – ein wegweisendes Signal.
Apples Paradigmenwechsel: Umschwenken auf lizenzierte Daten
Vor dem Hintergrund immer lauter werdender Kritik veränderte Apple 2024 seinen Kurs. Nach Informationen des Wall Street Journal ließ sich der Konzern Lizenzen im Gesamtwert von rund 50 Millionen US-Dollar zum Dateneinkauf sichern. Darunter Inhalte des Verlags Condé Nast (Wired, The New Yorker), der Nachrichtenagentur Associated Press sowie des Börsenportals Morningstar.
Diese Vorgehensweise wird als Signal gedeutet, dass selbst ein finanzstarker Konzern wie Apple nicht dauerhaft auf rechtlich fragwürdige Datenquellen setzen will – und dass Investitionen in rechtssichere Datensätze langfristig günstiger sein können als millionenschwere Rechtsstreitigkeiten.
Anthropic folgte diesem Kurs zumindest teilweise: Im Mai 2024 unterzeichnete das Unternehmen einen Deal mit der News-Agency Reuters, um offiziell lizenzierte Inhalte für das Training zukünftiger Claude-Versionen zu verwenden.
Branchenweite Reaktionen und neue Lizenzmodelle
Verlage und Medienhäuser reagieren zunehmend proaktiv. Die New York Times hat nicht nur Klage gegen OpenAI eingereicht, sondern auch das Open-Graph-Protokoll ihrer Website angepasst, um das Scrapen durch Bots technisch auszuschließen. Die Nachrichtenagentur AFP setzt seit 2024 auf eine Plattform-basierte Lizenzierung: KI-Unternehmen zahlen für Zugriff auf eine API, die strukturierte, urheberrechtlich geschützte Daten bereitstellt.
Diese Entwicklungen signalisieren einen Wandel hin zu strukturierten Lizenzmodellen. Analysten von Gartner sehen in ihrem Tech-Trend-Report 2025 voraus, dass bis 2026 rund 80 % der Unternehmen, die KI kommerziell einsetzen, entweder lizenzierte Inhalte verwenden oder eigene Datensätze erstellen werden – um rechtliche Risiken zu minimieren.
Laut einer Umfrage von McKinsey aus dem Juni 2025 sehen 76 % der befragten Unternehmen das Thema „rechtssichere Trainingsdaten“ als zentrale Herausforderung bei der Skalierung generativer KI-Anwendungen (Quelle: McKinsey State of AI 2025).
Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Entwickler
Wer KI-Modelle trainiert oder einsetzt, sollte sich der rechtlichen Risiken bewusst sein – und entsprechend handeln:
- Setzen Sie auf transparente Datenquellen: Nutzen Sie Inhalte, deren Herkunft, Rechteklarheit und Lizenzstatus eindeutig dokumentiert sind.
- Schließen Sie Lizenzverträge: Kooperieren Sie mit Verlagen, Datenanbietern oder Plattformen, um Daten rechtskonform zu nutzen. Pauschale Scrape-Crawler geraten zunehmend ins Visier.
- Implementieren Sie technische Schutzmaßnahmen: Kontrollieren Sie Ausgaben Ihrer Modelle, um Reproduktion geschützter Inhalte zu verhindern (Stichwort: Output Filtering).
Ethische Dimensionen und gesellschaftlicher Diskurs
Abseits juristischer Fragestellungen ist auch die ethische Perspektive bedeutsam: Wenn KI-Systeme auf dem geistigen Eigentum anderer lernen, ohne dass diese dafür entschädigt werden, entsteht ein strukturelles Machtungleichgewicht. Künstler und Autoren kritisieren, dass ihre Werke als Rohstoffe für Technologieunternehmen fungieren – oft ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung.
Inititativen wie „Have I Been Trained?“ ermöglichen inzwischen eine überprüfbare Einsicht, ob eigene Werke in Trainingsdaten enthalten sind. Gleichzeitig fordern Verbände wie der PEN International ein globales Register für KI-Trainingsdatenbanken – für mehr Transparenz und Fairness.
Ein Blick in die Zukunft: Regulierung und Standards
Recht und Technologie entwickeln sich oft asynchron. Doch mit dem AI Act der EU, der Anfang 2025 in Kraft tritt, erhöhen sich die Anforderungen an Transparenz und Dokumentation massiv. Trainingsdaten müssen gekennzeichnet sein, Hochrisiko-KI-Anwendungen dürfen nur mit rechtssicherer Datengrundlage betrieben werden.
Offene Initiativen wie das „Data Provenance Project“ streben technische Standards an, die Datenherkunft in KI-Prozessen nachvollziehbar machen. Große Hoffnung liegt auch in synthetischen Datensätzen, die Ähnlichkeiten zu realen Texten bieten – aber keine Urheberrechte verletzen.
Der Wandel ist eingeläutet: KI ohne Copyright-Verstöße wird zunehmend zur Wettbewerbsbedingung.
Die Debatte über Urheberrechte im KI-Zeitalter wird nicht verschwinden – im Gegenteil: Sie betrifft Unternehmen, Entwickler, Kreativschaffende und Verbraucher gleichermaßen. Was denken Sie: Wie lassen sich Innovationsdrang und Copyright-Fairness in Einklang bringen? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren!