Die beliebte Video-App TikTok steht erneut in der Kritik: Neue Recherchen legen nahe, dass die Plattform systematisch persönliche Daten von Kindern sammelt – oftmals ohne ausreichende Einwilligung oder Transparenz. Was steckt hinter den Vorwürfen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Datenschutz, Regulierung und elterliche Verantwortung?
Ein wachsendes Problem: Kinder und ihre Daten auf TikTok
TikTok ist mit über 1,5 Milliarden monatlich aktiven Nutzern (Stand: Juni 2025, laut Statista) eine der reichweitenstärksten Social-Media-Plattformen der Welt. Besonders bei Jugendlichen und Kindern erfreut sich die App großer Beliebtheit. Laut einer Umfrage von Ofcom aus dem Jahr 2024 verwendet mehr als ein Drittel der 8- bis 11-Jährigen im Vereinigten Königreich TikTok regelmäßig – trotz der offiziellen Altersfreigabe ab 13 Jahren.
Der jüngste Bericht der norwegischen Datenschutzbehörde Datatilsynet sowie die Nachforschungen der britischen NGO 5Rights Foundation zeichnen ein beunruhigendes Bild davon, wie TikTok mit Daten junger Nutzerinnen und Nutzer umgeht. Demnach erhebt und verarbeitet die App Standortdaten, Gerätekennungen, Nutzungsverhalten, biometrische Merkmale (wie Gesichtserkennung) und möglicherweise auch Inhalte aus privaten Nachrichten – auch von Kindern, bei denen keine elterliche Zustimmung dokumentiert ist.
Verstoß gegen Kinderrechte? Juristische Dimensionen
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt in Artikel 8 vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten von Kindern nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Eltern gestattet ist, wenn das Kind jünger als 16 Jahre ist – in einigen Mitgliedsstaaten kann dieses Alter auf 13 Jahre gesenkt werden. TikTok steht jedoch wiederholt im Verdacht, diese Regelungen nicht konsequent umzusetzen. Bereits 2021 wurde das Unternehmen im Vereinigten Königreich zu einer Strafe von 12,7 Millionen Pfund verurteilt, weil es Daten von Kindern unter 13 Jahren verarbeitet hatte, obwohl keine elterliche Zustimmung vorlag.
Auch in den USA ermittelte bereits die Federal Trade Commission (FTC) wegen Verstoßes gegen den Children’s Online Privacy Protection Act (COPPA) gegen TikTok. Das Unternehmen bezahlte 2019 eine Strafe von 5,7 Millionen US-Dollar. Angesichts neuer Vorwürfe plant die Europäische Kommission nun eine koordinierte Datenschutzprüfung auf EU-Ebene, um das Ausmaß der Datensammlung systematisch zu erfassen.
Wie TikToks Datenerfassung konkret funktioniert
Die Plattform analysiert laut verschiedenen Sicherheitsanalysen umfangreich Metadaten – darunter IP-Adresse, Geräte-ID, genutztes Betriebssystem, Tastatureingaben, GPS-Koordinaten und selbst Informationen über installierte Apps. Aufgezeichnete Gesichter in Videos dienen möglicherweise auch dem Training von KI-Algorithmen zur Gesichtserkennung. Der Safe Mode für Jugendliche reduziert nicht die eigentliche Datenverarbeitung, sondern nur die Sichtbarkeit mancher Inhalte.
Beobachtungen von Sicherheitsanalysten wie Felix Krause (fastlane.tools) zeigen, dass die App Web-Tracking-Techniken einsetzt, mit denen Nutzeraktivitäten auch außerhalb der App nachverfolgbar sind – etwa durch eingebettete Browser innerhalb der App, die standardmäßig JavaScript-Injektionsmodule mittragen. Besonders problematisch bleibt, dass sich junge Nutzer der Tragweite solcher Datenerhebungen kaum bewusst sind und kaum Kontrollmöglichkeiten haben.
Globale Reaktionen und regulatorische Entwicklungen
Inzwischen setzen mehrere Staaten konkrete Regulierungsmaßnahmen um: In Irland ist die Data Protection Commission (DPC) für TikTok zuständig und untersucht beispielsweise die “Family Pairing”-Funktion – eine Option, mit der Eltern die Aktivitäten ihrer Kinder in der App überwachen sollen, die aber laut Kritikern nur eingeschränkten Schutz bietet. In Frankreich untersagt ein neues Gesetz seit März 2025 automatisierte Empfehlungen auf Basis von Nutzervorlieben bei unter 15-Jährigen grundsätzlich. Auch Deutschland diskutiert aktuell die Ausweitung von Altersverifikationspflichten bei sozialen Plattformen.
Die Europäische Datenaufsichtsbehörde EDPS fordert zudem die Einführung einheitlicher Standards für kindgerechten Datenschutz (“Child Privacy by Design”), wie sie bereits im Digital Services Act (DSA) und dem Gesetz über Künstliche Intelligenz (AI Act) angelegt sind.
Was Eltern wissen und beachten sollten
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich für Eltern dringlich die Frage: Wie lassen sich Kinder effektiv beim Umgang mit TikTok schützen – insbesondere wenn legale Schutzmechanismen versagen oder technisch umgangen werden?
- Vertrauensvolle Kommunikation: Sprechen Sie offen mit Ihrem Kind über die Risiken von Social Media und erklären Sie, welche Informationen privat bleiben sollten.
- Begleitende Nutzung durch “Family Pairing”: Nutzen Sie die offiziellen Kontrollfunktionen von TikTok, um Bildschirmzeiten zu limitiert und Direktnachrichten zu deaktivieren.
- Technische Schutzmaßnahmen: Installieren Sie Kinderschutz-Apps auf den Geräten, die Internetfilter, Standortbeschränkungen und Zeitlimits bieten.
Darüber hinaus empfiehlt Organisationen wie klicksafe.de, regelmäßig die Datenschutzeinstellungen von Apps zu überprüfen und gemeinsam mit Kindern digitale Medienkompetenz zu fördern.
Technologiebranche unter Druck: Reformen gefordert
Die Enthüllungen rund um TikTok haben den Druck auf die gesamte Tech-Branche erhöht, kindgerechte Datenschutzprinzipien glaubhaft umzusetzen. Institutionen wie das Centre for Democracy & Technology (CDT) oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) fordern seit Jahren transparente Mechanismen zur Datensparsamkeit sowie unabhängige Audits der Algorithmen großer Plattformen. Auch Big-Tech-Konkurrenten wie Meta und YouTube sind in ähnliche Skandale verwickelt und versuchen zunehmend, rein kinderfreundliche Bereiche in ihren Plattformen zu etablieren.
Insbesondere die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in Plattforminhalten erhöht die Sensibilität: Verzerrungen, algorithmische Verstärkungen und Filterblasen sind bei jugendlichen Zielgruppen potenziell besonders schädlich. Hier sind gesetzliche Leitlinien zur “KI-Ethik für Minderjährige” in Planung, etwa im Rahmen der UN-Kinderrechtscharta 2.0.
Statistiken unterstreichen Handlungsbedarf
Der Handlungsbedarf wird durch aktuelle Daten untermauert: Laut einer Analyse von Common Sense Media (2025) geben 67 % der Eltern an, sich nicht ausreichend über Datensammlungen in jugendorientierten Apps informiert zu fühlen. Eine separate Studie der EU Kids Online Plattform ergab 2024, dass 42 % aller Kinder zwischen 9 und 16 Jahren mindestens eine starke Datenschutzverletzung innerhalb sozialer Netzwerke erlebt haben – vom unbeabsichtigten Teilen persönlicher Daten bis hin zu gezieltem Phishing in Kommentaren.
Diese Zahlen illustrieren deutlich: Der Umgang großer Plattformen mit kindbezogenen Daten darf nicht allein dem technischen Fortschritt überlassen bleiben, sondern muss proaktiv durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft regulativ, erzieherisch und rechtlich begleitet werden.
Fazit: Mehr Verantwortung in einer digitalen Kindheit
Die aktuellen Enthüllungen über TikToks Datensammlung bei Kindern sind ein Weckruf für Familien, Aufsichtsbehörden und die Tech-Branche gleichermaßen. Datenschutz beginnt nicht beim Klick auf “Zustimmen”, sondern beim Design und der Struktur digitaler Räume. Besonders Kinder verdienen in ihrer digitalen Sozialisation mehr Schutz, Aufklärung und Regulierung.
Welche Erfahrungen habt ihr selbst mit TikTok gemacht, insbesondere im Hinblick auf den Schutz eurer Kinder? Diskutiert mit uns in den Kommentaren und teilt diesen Artikel, um mehr Aufmerksamkeit für das Thema Kinderdatenschutz zu schaffen!