Künstliche Intelligenz

Veränderung durch KI im E-Commerce: Wie dynamische Preise die Branche beeinflussen

Ein warm beleuchtetes, modernes Büro mit einem konzentrierten Mitarbeiter vor mehreren Bildschirmen, die Daten und Online-Shopping-Statistiken in natürlichem Tageslicht zeigen – Sinnbild für die KI-gesteuerte dynamische Preisgestaltung im E-Commerce.

Künstliche Intelligenz revolutioniert den E-Commerce – besonders im Bereich dynamischer Preisbildung. Große Sprachmodelle (LLMs) analysieren in Echtzeit Nutzerverhalten, Profildaten und externe Variablen, um personalisierte Preise zu berechnen. Was nach Effizienz klingt, wirft schwere ethische und gesetzgeberische Fragen auf.

Dynamische Preisgestaltung: Was sich hinter dem Buzzword verbirgt

Dynamische Preisgestaltung (engl. Dynamic Pricing) bezeichnet eine Strategie, bei der Preise für Produkte oder Dienstleistungen kontinuierlich und automatisiert angepasst werden. Diese Anpassungen basieren auf Faktoren wie Angebot und Nachfrage, Nutzerverhalten, Kaufkraft und Konkurrenzpreisen. Mit dem Einsatz von KI und großen Sprachmodellen werden diese Prozesse nicht nur automatisierter, sondern auch granularer und individueller.

Laut einer Analyse von McKinsey & Company nutzen inzwischen über 60 % der globalen Top-1000-E-Commerce-Anbieter dynamische Preisgestaltung, wobei KI-gestützte Systeme den Großteil der Preisentscheidungen treffen (McKinsey, 2024).

Von der Zielgruppe zum Zielkunden: Wie LLMs individuelle Preise ausspielen

Große Sprachmodelle wie GPT-4 und Claude können riesige Mengen an Kontextdaten in Echtzeit auswerten – darunter Standortdaten, historische Kaufentscheidungen, Surfverhalten und Kundenrezensionen. In Kombination mit unternehmensinternen Kundendaten ermöglichen diese Modelle eine Hyperpersonalisierung von Preisen.

Insbesondere bei häufig nachgefragten Produkten (z. B. Elektronik, Mode, Tickets) können LLMs Preiselastizitäten auf individueller Ebene erkennen und ausnutzen. So zahlt ein Nutzer aus einem postleitzahlbezogen einkommensstarken Viertel potenziell mehr für dasselbe Produkt als ein Nutzer aus einem einkommensschwächeren Gebiet. Diese mikrogeografische Preisdifferenzierung ist ein zentrales Merkmal der neuen Preisintelligenz.

Eine im „Journal of Marketing Research“ veröffentlichte Studie von Hannak et al. (2023) zeigte, dass bis zu 27 % der Preisabweichungen bei Online-Shops auf Standortdaten zurückzuführen sind – selbst bei identischer Produktsuche und anonymisierten Nutzerprofilen.

Ethische Fragen: Wenn PLZ, Bonität und Einkommen zum Preisfaktor werden

Die Verwendung von Postleitzahl, Einkommen und Bonität zur Preisbildung ist umstritten. Während Anbieter dies als Optimierung des Absatzes sehen, kritisieren Verbraucherschützer eine algorithmische Diskriminierung. Besonders prekär: In einigen Fällen zahlen Menschen mit schlechter Bonität – obwohl sie auf Preisnachlässe angewiesen wären – höhere Preise, weil Algorithmen ihnen geringere Zahlungswahrscheinlichkeit und geringeren Lifetime Value unterstellen.

Die Kombination von LLMs mit Scoring-Systemen von Auskunfteien wie der SCHUFA verschärft diese Dynamiken zusätzlich. Wenn automatisierte Preisalgorithmen diese Daten in Echtzeit abgleichen, geschieht die Diskriminierung unsichtbar und ohne Möglichkeit des Einspruchs oder der Transparenz.

Während personalisierte Werbung in der EU bereits stark reguliert ist, fehlt bislang eine klare rechtliche Linie für personalisierte Preismodelle.

Regulierung holt auf: Erste Reaktionen aus Politik und Rechtsprechung

Die Europäische Kommission hat 2024 im Rahmen des Digital Services Acts (DSA) sowie des AI Acts eine Prüfinitiative zu KI-basierter Preisgestaltung gestartet. Ziel ist es, „diskriminierende automatisierte Preismechanismen zu identifizieren und zu regulieren“. Parallel forderte das Bundesjustizministerium in Deutschland eine „Algorithmus-Transparenz“ für Online-Marktplätze, die Preise personalisieren. Eine gesetzlich verpflichtende Kennzeichnung „Dieser Preis wurde durch automatisierte Systeme individuell berechnet“ könnte bereits 2026 greifen.

Die österreichische Datenschutzbehörde prüft indes Fälle möglicher DSGVO-Verstöße durch den Einsatz mikro-geografischer Preismodellierung via IP-Tracking. Die zentrale Frage: Dürfen Unternehmen ohne ausdrückliche Zustimmung sensible Rückschlüsse auf Einkommen oder Bonität ziehen?

Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten

Studien zeigen, dass Konsumenten durchaus sensibel auf dynamische Preise reagieren – vor allem, wenn diese als unfair oder intransparent wahrgenommen werden. Eine Umfrage von Statista aus dem Jahr 2024 ergab, dass 68 % der deutschen Online-Käufer personalisierte Preise ablehnen und 41 % aktiv versuchen, personalisierte Preisstrategien zu umgehen, z. B. durch Nutzung von VPNs oder anonymen Browsermodi.

Verbraucher zeigen zunehmend „Preisskepsis“: Sie misstrauen online angezeigten Preisen, vergleichen stärker und nutzen Tools zur Preisüberwachung. Dienste wie Idealo, Keepa oder PriceRunner gewinnen wieder an Popularität, besonders bei jungen Zielgruppen.

Drei Tipps für Konsumenten zur Erkennung und Vermeidung von Dynamic Pricing:

  • Vergleichen Sie Preise auf Preisvergleichsportalen und nutzen Sie den Inkognito-Modus Ihres Browsers, um personalisierte Trackingdaten auszuschalten.
  • Verwenden Sie VPNs, um mögliche standortbasierte Preisdifferenzierungen zu neutralisieren.
  • Installieren Sie Browser-Erweiterungen wie „Honey“ oder „CamelCamelCamel“, um historische Preisdaten nachzuvollziehen.

Chancen für Anbieter trotz Regulierungsdruck

Für Händler bieten dynamische Preisstrategien enorme Vorteile – von optimierten Margen bis hin zu besserem Warenumschlag. Eine Studie von Deloitte (2024) beziffert die Umsatzsteigerung durch KI-gestütztes Pricing im Durchschnitt auf 10–15 % bei etablierten E-Commerce-Anbietern. Besonders bei kurzlebigen Gütern oder limitierten Angeboten kann dynamisches Pricing eine maximale Ausbeute generieren.

Aber: Kundenzufriedenheit und Vertrauen dürfen nicht unter algorithmischer Optimierung leiden. Unternehmen wie Zalando und Otto setzen deshalb auf eine hybride Preisstrategie – automatisiert vorbereitet, aber durch menschliche Kontrolle validiert. So lassen sich extreme Preisunterschiede und wahrgenommene Ungleichbehandlung vermeiden.

Gleichzeitig wird vermehrt in „Fair Pricing Engines“ investiert, bei denen Regeln wie Mindestannahmen über soziale Fairness und Preisgleichheit algorithmisch verankert sind. Erste Pilotprojekte existieren etwa bei About You und anderen Modehändlern.

Was Unternehmen jetzt beachten sollten

Die Einführung dynamischer, KI-gestützter Preisalgorithmen erfordert mehr als nur Technologie – ethische Prinzipien, soziale Verantwortung und regulatorische Voraussicht sind ebenso entscheidend. Unternehmen, die in dynamisches Pricing investieren, sollten folgende Punkte beachten:

  • Implementieren Sie klare Governance-Modelle für KI-Einsatz und kontrollieren Sie regelmäßig ethische Implikationen Ihrer Preisstrategien.
  • Achten Sie auf Transparenz gegenüber Kunden: Machen Sie kenntlich, wenn Preise durch automatisierte Systeme beeinflusst werden.
  • Beobachten Sie Gesetzgebung auf EU-Ebene (AI Act, DSA) und nationale Regulierungen – Bußgelder können erheblich sein.

Ein Blick in die Zukunft: Revolution oder Rückschritt?

Ob dynamisches Pricing via LLMs langfristig als Innovation oder Intransparenz wahrgenommen wird, hängt maßgeblich an Kommunikation, Regulierung und Nutzererwartungen. Klar ist: Technologisch wird die Preisgestaltung künftig noch feingliedriger, verbunden mit Echtzeit-Daten aus verschiedensten Quellen – vom Energieverbrauch bis hin zur Prognose des Rücksendeverhaltens.

Was jetzt zählt, ist ein fairer Umgang mit dieser Macht. Unternehmen sind gefordert, ihre ethischen Standards zu schärfen. Verbraucherschützer und Gesetzgeber wiederum müssen Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Gerechtigkeit sicherstellen.

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