Sie sehen täuschend echt aus, generieren Millionen Views – und existieren gar nicht. Virtuelle Influencer erobern Instagram, TikTok und YouTube im Sturm. Doch was steckt hinter dieser Entwicklung? Und ist sie nachhaltig?
Was sind virtuelle Influencer?
Virtuelle Influencer sind computergenerierte Persönlichkeiten, die mithilfe von künstlicher Intelligenz, 3D-Rendering und Storytelling erstellt und in sozialen Netzwerken eingesetzt werden. Diese digitalen Avatare können wie reale Menschen Inhalte posten, mit Followern interagieren und Markenbotschaften verbreiten. Dabei reichen ihre Erscheinungsformen von vollständig animierten Figuren bis hin zu hyperrealistischen Designs, die kaum von echten Personen zu unterscheiden sind.
Ein prominentes Beispiel ist „Lil Miquela“, die 2016 vom Start-up Brud in Kalifornien ins Leben gerufen wurde. Mit über 2,5 Millionen Followern auf Instagram und Werbekampagnen für Prada, Calvin Klein oder Samsung zählt sie zu den einflussreichsten virtuellen Persönlichkeiten. Weitere bekannte Namen sind Shudu (der weltweit erste digitale Supermodel) oder NOONOOURI, ein deutscher CGI-Charakter mit einer klaren Fashion-Ausrichtung.
Marktentwicklung: Vom Experiment zum Multimillionenbusiness
Die Popularität virtueller Influencer nimmt rasant zu – und mit ihr auch die wirtschaftliche Bedeutung. Laut einer Studie von HypeAuditor aus dem Jahr 2023, ist das Engagement virtueller Influencer im Durchschnitt dreimal höher als das ihrer menschlichen Konkurrenten, wenn man vergleichbare Followerzahlen zugrunde legt (Quelle: HypeAuditor, „The State of Influencer Marketing 2023“).
Laut Prognose von Allied Market Research wird der globale Influencer-Marketing-Markt bis 2030 auf über 84 Milliarden US-Dollar anwachsen – virtuelle Influencer werden dabei eine zunehmend zentrale Rolle spielen. Bereits 2024 investierten Marken wie Gucci, Balmain, Lenovo und Puma mehrere Millionen in CGI-Partnerschaften für Kampagnen, weil sie höhere Markenbindung, planbarer Content und geringere Risiken versprechen.
Vorteile für Marken – und warum KI-Charaktere Menschen schlagen können
Virtuelle Influencer bieten gegenüber klassischen Influencern eine breite Palette an Vorteilen:
- Komplette Kontrolle: Unternehmen steuern Bild, Botschaft und Verhalten der Avatare – ohne unvorhersehbare Skandale oder Meinungsumschwünge.
- 24/7-Verfügbarkeit: CGI-Charaktere brauchen keinen Schlaf, keine Pausen und keine Reisen. Sie können global in Kampagnen integriert werden – ohne geografische Barrieren.
- Unendliche Skalierbarkeit: Ein virtueller Influencer kann simultan für verschiedene Marken auftreten, Sprachen sprechen und Designs an Zielgruppen anpassen.
Auch aus technischer Sicht sind Fortschritte bemerkbar: KI-basierte Toolsets wie Runway, Synthesia.io oder Soul Machines ermöglichen mittlerweile fotorealistische Animation, synthetische Stimmen und automatisierte Content-Produktion mit minimalem menschlichem Aufwand.
Die Kehrseite: Ethische und gesellschaftliche Fragestellungen
Mit wachsender Realitätsnähe der Avatare wird die Grenze zwischen Fiktion und Realität zunehmend verschwommen. Das bringt ernsthafte ethische Bedenken mit sich:
- Irreführung der Nutzer: Viele Nutzer erkennen nicht, dass sie einer fiktiven Figur folgen – was das Vertrauen in Plattformen und Kampagnen beeinträchtigen kann.
- Fehlende Authentizität: Social Media lebt von Persönlichkeit, Emotion und Nahbarkeit. Kann eine KI diese Tiefe überhaupt reproduzieren – und sollte sie es wollen?
- Transparenzpflicht: Laut EU-Digital Services Act (DSA) und Werberichtlinien wie §5a UWG besteht für Marken die Pflicht zur Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten – was bisher jedoch nur unzureichend erfolgt.
Ein Forschungsbericht des Oxford Internet Institute (2022) warnt: „Die emotionale Bindung zu virtuellen Figuren könne manipulativ wirken, insbesondere bei Jugendlichen, und müsse reguliert werden.“
Virtuelle Influencer und der Arbeitsmarkt: Bedrohung oder neue Chancen?
Auch aus wirtschaftlicher Perspektive gibt es ambivalente Entwicklungen. Während einige Branchen durch den Einsatz virtueller Creators neue Geschäftsmodelle entwickeln (z. B. Agenturen für digitale Talente, Motion-Capture-Studios, KI-Animatoren), sehen sich klassische Content-Creator unter Druck.
Laut einer Befragung des Bundesverbands Influencer Marketing (IFLUENCE, 2024) gaben 31 % der Creator an, dass sie durch synthetische Konkurrenz bereits Werbedeals verloren haben. 44 % äußerten Bedenken hinsichtlich der langfristigen Einnahmesicherung.
Auf der anderen Seite entstehen neue Berufsbilder – etwa Persona Designer, AI-Skriptentwickler oder Narrative Engineer. Marken benötigen künftig Talente, die nicht vor der Kamera stehen, sondern diese erschaffen.
Praxisbeispiele: Wo virtuelle Influencer bereits erfolgreich eingesetzt werden
Die Gaming-, Fashion- und Kosmetikbranche zählen zu den Innovationsführern auf diesem Gebiet. Hier einige bemerkenswerte Einsätze:
- Der Avatar „Imma“ ist Markenbotschafterin für Dior und hat als KI-Figur bereits eigene Kollektionen mitgestaltet.
- Balmain erstellte ein vollständiges „digitale Model Squad“ – ausschließlich aus CGI-Figuren – für ein Modekampagne in Paris.
- Riot Games etablierte mit „Seraphine“, einem virtuellen Popstar für League of Legends, eine transmediale Influencer-Figur, die Musikcharts, In-Game-Welt und Instagram bespielte. Millionen Follower inklusive.
Auch Start-ups wie MetaHuman (Epic Games) und Ready Player Me ermöglichen heute jedem Unternehmen, realistische Avatare zu generieren – ohne Hollywood-Budget.
Zukunftsausblick: Trend, Transformation oder technologische Sackgasse?
Ob virtuelle Influencer bloß ein flüchtiger Hype oder langfristige Gamechanger sind, hängt von mehreren Faktoren ab: technologischer Reifengrad, rechtliche Regulierung und Akzeptanz durch Nutzer.
Einige Technologien wie Voice-Cloning, Emotion Detection und AI-Prompted Storytelling verschieben derzeit rapide die Grenzen. Kombiniert mit zunehmender GPT-Autonomie könnten virtuelle Influencer bald in Echtzeit Content erzeugen, Interviews geben oder auf Live-Kommentare reagieren.
Drei Empfehlungen für Unternehmen, die virtuelle Influencer einsetzen wollen:
- Transparenz wahren: Klar kommunizieren, dass es sich um KI-generierte Charaktere handelt – idealerweise mit entsprechenden Labels und Hintergrundinformationen.
- Markenfit prüfen: Nicht jede Zielgruppe ist empfänglich für synthetische Kommunikation. Authentizität ist entscheidend.
- Langfristig denken: Investitionen in virtuelle Influencer sollten in ein gesamtheitliches Digitalstrategie eingebettet sein – nicht als einmaliger PR-Gag.
Fazit: Zwischen Faszination und Fragwürdigkeit
Virtuelle Influencer sind zweifellos gekommen, um die digitale Markenkommunikation neu zu definieren. Sie bieten enorme kreative Freiheit, hohe Skalierbarkeit und neue Formen der Interaktion – werfen aber auch grundlegende Fragen über Authentizität, Regulierung und Verantwortung auf.
Von einem flüchtigen Trend zu sprechen greift zu kurz. Vielmehr erleben wir einen Strukturwandel, bei dem KI-gestützte Kommunikation ein zentraler Baustein künftiger Markenwelten wird.
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