Ein Rechenzentrum mit einer geplanten Leistung von 1,2 Gigawatt im mecklenburgischen Dummerstorf sorgt derzeit für Aufsehen. Während offizielle Details bislang rar sind, kursieren Gerüchte über Investoren aus dem Ausland, massive Flächenbedarfe und potenziell europaweite Auswirkungen auf die Rechenzentrumslandschaft. Was steckt hinter diesen Planungen – und wie realistisch ist das Projekt wirklich?
Ein Gigaprojekt im Nordosten Deutschlands
Im Juni 2024 tauchten erste Medienberichte über ein angeblich geplantes Mega-Rechenzentrum nahe der kleinen Gemeinde Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern auf. Die Projektgröße von 1,2 Gigawatt elektrischer Leistung würde Dummerstorf potenziell zum Standort des leistungsstärksten Rechenzentrums Europas machen – vergleichbar mit den größten Hyperscale-Installationen in den USA oder China.
Örtlichen Behördenlagen zufolge handelt es sich bei dem Projekt um eine vertrauliche Industrieansiedlung unter dem Decknamen „Beowulf“, die von internationalen Investoren geprüft wird. Genannt werden unter anderem nordamerikanische Tech-Konzerne und asiatische Rechenzentrumsbetreiber. Auch Gespräche mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern laufen bereits, wie Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) gegenüber der Ostsee-Zeitung bestätigte.
Reaktionen vor Ort: Zwischen Hoffnung und Skepsis
Die Gemeinde Dummerstorf selbst steht dem möglichen Projekt zwar offen gegenüber, doch zeigen sich auch kritische Stimmen. Bürgermeister Axel Wiechmann betonte in Interviews, dass es bislang keine formale Bauanfrage gebe, man jedoch grundsätzlich bereit sei, mit Investoren zu sprechen. Im Gemeinderat wird aktuell vor allem die Infrastrukturbelastung durch ein derartiges Großprojekt diskutiert.
Denn ein Rechenzentrum dieser Größenordnung erfordert nicht nur riesige Stromkapazitäten, sondern auch eine erhebliche Netz- und Verkehrsinfrastruktur. Laut Expertenmeinung müsste für die Stromversorgung ein kompletter Umspannwerksausbau erfolgen; zudem wären redundante Glasfaseranbindungen an internationale Internet-Knoten notwendig, um die benötigte Bandbreite garantieren zu können.
Einige Bürgerinitiativen und Umweltverbände äußerten sich besorgt über Flächenverbrauch und den zu erwartenden Wasser- und Energiebedarf – insbesondere angesichts der aktuellen Klimaziele Deutschlands.
Vergleich mit ähnlichen Projekten in Deutschland und Europa
Das vermutlich größte aktive Rechenzentrum Deutschlands befindet sich aktuell in Frankfurt am Main, mit einer Leistung von rund 100 bis 200 Megawatt. Microsofts Hyperscale-Projekt bei Frankfurt soll künftig 300 Megawatt bereitstellen. Selbst Meta’s geplantes Rechenzentrum im dänischen Odense überschreitet die 500-MW-Marke nicht. Ein 1,2-GW-Zentrum würde also alle bisherigen Maßstäbe sprengen.
Laut Daten der International Energy Agency (IEA) liegt die gesamte Rechenzentrumsleistung in Deutschland aktuell bei etwa 4,3 GW (Stand 2023). Ein einzelnes Zentrum mit 1,2 GW würde also fast 28 % der nationalen Kapazität ausmachen – eine Dimension, die bislang nur aus Märkten wie den USA (Northern Virginia, Silicon Valley) bekannt ist.
Europäische Länder wie Irland oder Schweden begrenzen mittlerweile den Bau großer Rechenzentren regulatorisch, um Netzstabilität und Nachhaltigkeitsziele sicherzustellen. Es bleibt abzuwarten, ob Mecklenburg-Vorpommern diesen Weg ebenfalls erwägt – oder im Gegenteil regulatorische Barrieren bewusst minimiert, um als Rechenzentrumsstandort zu punkten.
Infrastruktur und Standortfaktoren – warum Dummerstorf?
Warum also Dummerstorf – ein Ort mit knapp 9.000 Einwohnern? Aus wirtschaftlicher Sicht sprechen mehrere Standortfaktoren für die Region:
- Flächenverfügbarkeit: Große, zusammenhängende Industrieflächen stehen in der Nähe von Autobahnen und Stromtrassen bereit.
- Netzanbindung: Die Nähe zur A19, zur Bundesstraße B103 und zur Bahn-Infrastruktur schafft logistische Vorteile.
- Stromverfügbarkeit: Die Region liegt nahe an Offshore-Windnetzen in der Ostsee.
- Fördermöglichkeiten: Mecklenburg-Vorpommern bewirbt sich aktiv als Investitionsstandort für Zukunftstechnologien, auch durch passende Landesförderprogramme.
Auch die vergleichsweise kühlen klimatischen Bedingungen spielen für Rechenzentren eine Rolle im Bereich der Energieeffizienz – insbesondere beim Thema Kühlung (PUE).
Allerdings stellt sich auch hier die Frage nach dem nachhaltigen Betrieb: Würde ein solcher Standort etwa ausschließlich auf Erneuerbare Energien setzen? Gibt es Pläne zum Wärmerückgewinnungspotenzial für die Region? Diese Fragen bleiben bislang unbeantwortet.
Der Energieverbrauch im Blick
Gemäß einer Bitkom-Studie von 2023 verbrauchen deutsche Rechenzentren jährlich rund 17 Terawattstunden Strom – Tendenz steigend. Allein zwischen 2020 und 2023 ist der Stromverbrauch von Rechenzentren in Deutschland um rund 30 % gestiegen. Ein Mega-Rechenzentrum auf Hyperscale-Niveau könnte diesen Wert erheblich beeinflussen.
Die Bundesnetzagentur warnte zuletzt in ihrem Monitoringbericht 2024 vor den Auswirkungen steigendem Strombedarfs durch Digitalisierung. Insbesondere der Bedarf durch Künstliche Intelligenz (KI), Cloud-Dienste und 5G-Anwendungen wachse schneller als die Netzkapazitäten – mit potenziellen Folgen für Verbraucherpreise und Netzstabilität.
Chancen für die Region – und offene Fragen
Ein Projekt dieser Größe könnte erhebliche wirtschaftliche Impulse für Mecklenburg-Vorpommern bedeuten. Laut Prognosen des Branchenverbands eco – Verband der Internetwirtschaft schafft ein Rechenzentrum pro Megawatt Leistung bis zu 7 direkte und indirekte Arbeitsplätze – hochgerechnet wären das über 8.000 Jobs im Entstehungs- und Betriebsumfeld.
Doch gleichzeitig müssen zahlreiche Risiken bedacht werden: Strom- und Wasserverbrauch, Flächenversiegelung, regulatorische Konflikte und nicht zuletzt soziale Akzeptanz.
Ein großer Kritikpunkt sind fehlende Rahmenpläne für Nachhaltigkeit: Wird Abwärme lokal genutzt? Plant der Investor CO₂-Kompensation? Existieren Vorgaben für energieeffiziente Bauweise nach DIN EN 50600?
Handlungsempfehlungen für Kommunen und Entscheidungsträger
- Regulatorische Vorbereitung: Kommunen sollten Frühwarnsysteme und Mobilisierungsverfahren entwickeln, um künftige Großanfragen fundiert prüfen zu können.
- Stakeholder-Kommunikation: Frühzeitige Einbindung von Bürgern, Fachstellen und Experten kann helfen, Akzeptanz zu erhöhen und Fehlplanungen zu vermeiden.
- Klimastrategien integrieren: Neue Rechenzentren sollten mit kommunalen Wärmeplänen, nachhaltiger Stromgewinnung und Ressourceneffizienz verzahnt werden.
Fazit: Vision oder Realität?
Ob das Gigaprojekt in Dummerstorf tatsächlich umgesetzt wird, bleibt weiterhin ungewiss. Noch gibt es keine offizielle Baugenehmigung, keine final bestätigten Investoren und keinen umfassenden Umweltbericht. Doch allein die Diskussion zeigt: Deutschland steht vor einer neuen Ära der digitalen Infrastruktur.
Die Herausforderung liegt nun darin, Größe mit Nachhaltigkeit zu vereinen – und digitale Souveränität nicht auf Kosten regionaler Bedürfnisse oder ökologischer Ziele zu erreichen.
Wie sehen Sie die Entwicklung in Dummerstorf? Hat die Region das Potenzial, zum europäischen Rechenzentrums-Hub zu werden? Teilen Sie Ihre Meinung mit uns in den Kommentaren oder im Community-Forum!




