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Deutschland-Stack: Ein Schritt zur digitalen Souveränität

Ein modernes, hell erleuchtetes Büro mit vielfältigen Menschen, die konzentriert in einer freundlichen Atmosphäre gemeinsam an digitalen Infrastrukturprojekten arbeiten, umgeben von Bildschirmen mit schematischen Grafiken und dezent im Hintergrund ein stilisiertes Deutschland-Flaggenmotiv, das Wärme und Zuversicht für digitale Souveränität ausstrahlt.

Mit dem „Deutschland-Stack“ will die Bundesregierung den Grundstein für eine souveräne digitale Infrastruktur legen – unabhängig, interoperabel und auf europäische Werte gestützt. Doch was steckt hinter dem ambitionierten Konzept, und welche Chancen und Herausforderungen birgt es für Wirtschaft, Verwaltung und Technologiebranche?

Ein Framework für digitale Souveränität

Im Juni 2025 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) ein Strategiekonzept für den sogenannten „Deutschland-Stack“ vorgestellt. Ziel ist es, eine einheitliche, interoperable IT-Infrastruktur für die öffentliche Verwaltung und darüber hinaus zu etablieren, die auf offenen Standards, europäischer Technologie und kontrollierbaren Datenflüssen basiert.

Der Deutschland-Stack beinhaltet laut dem BMDV eine Sammlung verbindlicher Komponenten wie standardisierte Schnittstellen, Open-Source-Komponenten, digitale Identitäten, vertrauenswürdige Cloud-Umgebungen und föderierte Dateninfrastrukturen. Orientiert wird sich dabei u.a. am europäischen Projekt GAIA-X, an der European Interoperability Framework (EIF) sowie an etablierten Standards wie OpenID Connect oder eIDAS 2.0.

„Unser Ziel ist es, eine souveräne digitale Infrastruktur aufzubauen, bei der der Staat die Kontrolle über kritische Kernkomponenten behält“, erklärte Digitalminister Dr. Volker Wissing bei der Vorstellung des Konzepts. Seine Strategie schlägt neben technologischen Aspekten vor allem einen föderierten Governance-Ansatz vor – also eine Einbindung von Bund, Ländern, Kommunen sowie der europäischen und privatwirtschaftlichen Akteure.

Warum digitale Souveränität so wichtig ist

Unter digitaler Souveränität versteht man gemeinhin die Fähigkeit eines Staates oder einer Organisation, eigenständig über die Verwendung und Speicherung eigener digitaler Daten zu entscheiden und nicht von außereuropäischen Anbietern abhängig zu sein.

Im Zuge geopolitischer Spannungen, zunehmender Cyberbedrohungen und der Dominanz von US-amerikanischen Cloud-Riesen wie Amazon Web Services, Microsoft Azure oder Google Cloud stellen sich viele europäische Länder zunehmend die Frage: Wie können wir kritische digitale Infrastrukturen selbstbestimmt gestalten?

Eine Studie des Branchenverbands Bitkom aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 78 % der befragten CIOs und IT-Leiter deutscher Unternehmen digitale Souveränität als „sehr wichtig“ für die Geschäftsstrategie bewerten (Quelle: Bitkom Research, 2024). Besonders im öffentlichen Sektor fühle man sich durch Abhängigkeiten von proprietären Systemen zunehmend eingeschränkt.

Der Deutschland-Stack adressiert genau dieses Problem, indem er als Blaupause für eine kontrollierbare, anpassbare und interoperable technologische Basis dient. Dabei geht es nicht um Protektionismus, sondern um vertrauenswürdige technologische Autonomie in einem globalen Wettbewerb.

Die Bausteine des Deutschland-Stacks

Das Konzept gliedert sich in sechs Hauptkomponenten:

  • Digitale Identitäten: Aufbau eines interoperablen, staatlich vertrauenswürdigen eID-Ökosystems auf Basis von eIDAS 2.0 und Wallet-Lösungen.
  • Dateninfrastruktur: Einsatz föderierter Datenräume nach Vorbild der International Data Spaces (IDS) oder GAIA-X.
  • Diensteplattformen: Entwicklung wiederverwendbarer, modularer Microservices für die Verwaltung.
  • Cloud-Stack: Aufbau einer Cloud-nativen Umgebung auf Open-Source-Basis wie Kubernetes, SCS (Sovereign Cloud Stack), etc.
  • Schnittstellen: Verpflichtende APIs nach offenen Standards, um Interoperabilität zwischen Dienstleistern und Behörden zu ermöglichen.
  • Verwaltungsgateways: Schaffung sicherer Schnittstellen zu föderalen Registern und IT-Diensten.

Ein praktisches Beispiel ist die kürzlich pilotierte digitale Identitäts-Wallet mit dem Bundesdruckerei-Konsortium, die Führerschein, Personalausweis und Gesundheitsdaten in einer App bündeln soll – konform zur eIDAS 2.0-Verordnung und interoperabel mit anderen EU-Lösungen.

Strategische Bedeutung für die IT-Landschaft

Der Deutschland-Stack ist nicht nur ein technologisches Framework, sondern vor allem auch ein strategisches Statement. Er positioniert Deutschland als Vorreiter einer europäischen IT-Strategie, die auf Offenheit, Kollaboration und Vertrauen baut. Die deutsche Verwaltung könnte damit künftig flexibler zwischen Anbietern wechseln, neue digitale Dienste schneller bereitstellen und Sicherheitsstandards durchgehend hochhalten.

Für die Wirtschaft bedeutet der Stack neue Möglichkeiten, standardisierte Dienste in einem wachsenden Markt zu entwickeln, der langfristig Planungssicherheit durch klare Vorgaben bietet. Besonders für mittelständische IT-Anbieter und Start-ups entsteht so ein dynamisches Ökosystem rund um öffentliche Aufträge und Open-Source-Entwicklung.

Ein weiterer Vorteil: Deutschland kann durch die Bündelung seiner digitalen Infrastruktur größenordnungsmäßig mit internationalen Anbietern konkurrieren – nicht im klassischen Marktsinn, aber durch Standardsetzung und Steuerung eigener Datenökosysteme.

Herausforderungen und offene Fragen

Wie jedes großangelegte Regierungsprojekt begegnet auch der Deutschland-Stack einer Reihe von Herausforderungen. Dazu zählen unter anderem:

  • Fragmentierte IT-Landschaft: Während einige Bundesländer Vorreiter bei Digitalprojekten sind, hinken andere technologisch hinterher. Der Stack erfordert einheitliche Mindeststandards und kooperative Umsetzung.
  • Ressourcenmangel: Laut einer Studie des Normenkontrollrats fehlen der öffentlichen Hand deutschlandweit rund 5.000 qualifizierte IT-Fachkräfte (Quelle: NKR Digitalbericht 2024).
  • Akzeptanzprobleme: Innovationsscheu, lange Beschaffungszyklen und mangelnde Weiterbildung in der Verwaltung können die Umsetzung des Konzepts ausbremsen.
  • Abstimmung mit der EU: Der Stack darf nicht im Widerspruch zu europäischen Digitalstrategien stehen, sondern muss diese ergänzen.

Technisch steht auch die Sicherheit komplexer föderierter Systeme im Fokus: Wie lässt sich Integrität gewährleisten, wenn Komponenten dezentral verwaltet werden? Hier setzt das BMDV stark auf standardisierte Test- und Zertifizierungsverfahren, z. B. durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

Praxistipps für IT-Entscheider und Entwickler

IT-Teams in Verwaltung und Unternehmen, die sich frühzeitig auf den Deutschland-Stack vorbereiten wollen, sollten folgende Schritte in Betracht ziehen:

  • Evaluieren Sie bestehende Systeme auf Kompatibilität mit offenen Standards (z.B. RESTful APIs, OAuth 2.0, OpenID Connect).
  • Investieren Sie in Schulung und Weiterbildung zu Technologien wie Kubernetes, souveränes Cloud-Hosting und föderierte Identitäten.
  • Nutzen Sie verfügbare Referenzarchitekturen und technische Leitfäden des BMDV und GAIA-X für Migrationsstrategien.

Gerade der Übergang zu standardisierten Infrastrukturkomponenten eröffnet Chancen zur Reduktion technischer Komplexität und langfristiger Wartungskosten.

Expert:innen-Stimmen zur Bedeutung des Stacks

Prof. Dr. Marion Algermissen, Leiterin des Instituts für Verwaltung und Digitalisierung an der Universität Speyer, betont: „Der Deutschland-Stack ist ein notwendiger Grundstein für eine agile, skalierbare und sichere Verwaltung der Zukunft. Entscheidend ist, dass neben der Technik auch die Politik ihre digitalen Governance-Kompetenzen ausbaut.“

Auch aus der Industrie kommt Zuspruch: Jan Wendenburg, CEO der Cloud&Heat Technologies, sieht im Stack einen Motor für europäische Technologieförderung. „Wenn der Deutschland-Stack konsequent umgesetzt wird, können wir endlich digitale Souveränität nicht nur fordern, sondern praktizieren – mit europäischem Mehrwert.“

Aus Kreisen der BITKOM wurde aber auch vor einem „bürokratischen Overengineering“ gewarnt, das innovative Ansätze ausbremst, wenn Governance-Rahmen zu starr ausfallen. Ein agiles Vorgehensmodell und Pilotprojekte mit iterativer Umsetzung werden daher empfohlen.

Fazit: Ein Projekt mit Potenzial – und Verantwortung

Der Deutschland-Stack markiert einen Meilenstein auf dem Weg zu technologischer Selbstbestimmung. Er ist kein fertiges Produkt, sondern ein lernendes Vorhaben, das sich mit jeder Umsetzung konkretisiert. Gelingen kann es nur, wenn Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam gestalten.

Gerade jetzt braucht es Mut, Tempo und konstruktive Zusammenarbeit, um digitale Souveränität nicht nur als Schlagwort, sondern als europäisches Leitbild zu etablieren – von der Cloud über Identitäten bis hin zur Schnittstelle.

Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit Komponenten des Deutschland-Stacks gemacht? Diskutieren Sie mit unserer Community – Ihre Insights sind wertvoll!

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