Künstliche Intelligenz

Digitale Souveränität auf dem Prüfstand: SAP-OpenAI-Kooperation sorgt für Diskussionen

Ein warm und natürlich beleuchtetes Redaktionsbüro, in dem ein offenes Notebook mit komplexen Daten und digitalen Grafiken auf einem hellen Holztisch liegt, während zwei Personen in angeregtem, freundlichem Gespräch die Chancen und Herausforderungen einer internationalen Technologiezusammenarbeit diskutieren – die Szene strahlt Zuversicht und konzentrierte Zusammenarbeit aus.

Die überraschende Kooperation zwischen SAP und OpenAI hat in Deutschland eine Debatte ausgelöst, die über technologische Fragen hinausgeht: Wie steht es um die digitale Souveränität der Bundesrepublik, wenn Schlüsseltechnologien zunehmend aus transatlantischen Partnerschaften stammen? Welche Risiken ergeben sich für öffentliche Einrichtungen und kritische Infrastrukturen?

Hintergrund: SAP und OpenAI bündeln Kräfte

Im Juni 2025 kündigte SAP eine strategische Partnerschaft mit OpenAI an. Das Ziel: Generative KI tief in die SAP-Cloudplattform zu integrieren, um Unternehmen bei der Automatisierung von Geschäftsprozessen, der Datenanalyse und der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Diese High-Level-Zusammenarbeit umfasst Funktionen wie GPT-basierte Chatbots im Kundenservice, personalisierte Berichte in Echtzeit und textverstehende Assistenzsysteme in SAP S/4HANA.

Die Kooperation ist technologisch ambitioniert und verspricht eine neue Ära der Effizienz für Unternehmen. Doch schnell wurde Kritik laut: Welche Kontrolle hat Europa noch über seine Datenflüsse, wenn eine der wichtigsten europäischen Softwarefirmen sich auf US-amerikanische KI-Technologie stützt?

Digitale Souveränität: Definition und Bedeutung

Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit eines Staates, Gesellschaft oder Unternehmens, digitale Technologien und Dateninfrastrukturen selbstbestimmt, sicher und unabhängig zu betreiben. Insbesondere bei Schlüsseltechnologien wie Cloud-Computing, Künstlicher Intelligenz, 5G oder Blockchain stellt sich die Frage: Wer kontrolliert die Daten? Wer besitzt die Algorithmen? Und wer hat Zugriff auf sensible Informationen?

Für die EU und insbesondere für Deutschland ist digitale Souveränität nicht nur eine Frage der Technologie, sondern eine politische und wirtschaftliche Priorität. In der EU-Datenstrategie und im Digital Services Act betonen Kommission und Parlament regelmäßig die Notwendigkeit, mehr technologische Unabhängigkeit zu schaffen.

Pro und Contra: Chancen der SAP-OpenAI-Partnerschaft

Technologisch könnte die Integration von OpenAIs Technologien in SAP-Systeme enorme Vorteile bringen. Laut SAP-CTO Jürgen Müller könne das Zusammenspiel von Predictive Analytics, generativer KI und branchenfokussierten Cloudlösungen die Produktivität in Bereichen wie Beschaffung, Logistik und Compliance deutlich steigern.

Auch Analysten erkennen Potenziale: Laut einer IDC-Prognose vom August 2025 rechnen 74 % der mittelständischen Unternehmen in Europa damit, generative KI bis 2026 in ihre Prozesse zu integrieren – als Schlüssel zur Effizienzsteigerung und Fachkräftesicherung. Die SAP-OpenAI-Kooperation könnte hier als Plattform dienen.

Gleichzeitig wird jedoch aus der Politik, von Datenschützern sowie aus dem öffentlichen Sektor Kritik laut. Der Bundesdatenschutzbeauftragte forderte eine „vollständige Transparenz über Datenlagen und Modelle“ und verwies darauf, dass Sprachmodelle wie GPT-4 „nicht außerhalb konformer europäischer Cloudinfrastrukturen betrieben werden sollten“.

Reaktionen aus Politik und Behörden

Auf dem EU-Digitalgipfel in Brüssel im September 2025 diskutierten Vertreter der Mitgliedsstaaten das Thema mit Blick auf die Ausweitung generativer KI im öffentlichen Sektor. Die deutschen Delegierten betonten, dass IT-Lösungen in kritischen Infrastrukturen – etwa Gesundheit, Energie oder Justiz – europäischen Ursprungs sein sollten.

Ein von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichter Policy Brief warnt davor, dass KI aus Drittländern „zum strategischen Risiko werden kann, wenn keine verlässlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden“. Er fordert u. a.: mehr europäische Rechenzentren, lokal trainierte Modelle und eine Stärkung der GAIA-X-Initiative als souveräne Cloudalternative.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte sich im Bundestag pragmatisch: „Wir brauchen die besten Technologien – aber unter souveräner Kontrolle. Es darf keinen blinden Transfer von Verwaltungsdaten an außereuropäische Anbieter geben, auch nicht durch privatwirtschaftliche Kooperationen.“

Was bedeutet das für Behörden und kritische Infrastrukturen?

Die Frage, ob OpenAI-Systeme in SAP-Cloudlösungen auch für staatliche und sicherheitsrelevante Institutionen nutzbar sein dürfen, bleibt umstritten. Der IT-Planungsrat der Bundesregierung hat sich Anfang Oktober zurückhaltend geäußert und empfiehlt aktuell, nur KI-Systeme zu evaluieren, die DSGVO-konform, transparent in ihrer Trainingsbasis und lokal einsetzbar sind.

Für Betreiber kritischer Infrastrukturen (KRITIS) stellt sich jetzt die strategische Frage: Integrationsvorteile durch SAP nutzen, aber mit welcher KI? Während SAP Security Guardrails für die OpenAI-Features ankündigte – darunter Prompt Logging, Content Filtering und europäische Hosting-Optionen – bleiben viele Details unklar.

Digitale Souveränität beginnen – aber wie?

Für CIOs in Ministerien, Leitstellen oder Kammern ist der Handlungsrahmen eng: Technologischer Fortschritt steht einem berechtigten Sicherheits- und Souveränitätsbedürfnis gegenüber. Folgende Maßnahmen empfehlen Experten aus unserer Redaktion und Gespräche mit Behörden-IT-Leitern:

  • Technologische Due Diligence durchführen: Vor dem Rollout muss klar sein, wo und wie Daten verarbeitet werden. Transparenz über Trainingsdaten und Hosting-Umgebung sind Pflicht.
  • Hybridstrategien fahren: Öffentliche Einrichtungen sollten alternative, europäische KI-Modelle wie Aleph Alpha (Deutschland) oder Mistral (Frankreich) erwägen.
  • Rechtliche Rahmen evaluieren: Verträge mit US-Unternehmen – insbesondere im KI-Kontext – müssen eng am europäischen Datenrecht geprüft werden, auch im Hinblick auf potenziellen Cloud Act-Zugriff.

Laut Bitkom ist der Anteil deutscher Unternehmen, die KI-Anwendungen aktiv einsetzen, im Jahr 2025 auf 34 % gestiegen – ein Wachstum von 9 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr (Quelle: Bitkom Research, August 2025).

Zugleich zeigt eine Umfrage der EU-Kommission, dass 62 % der befragten Behörden in Europa KI „nur sehr eingeschränkt oder gar nicht nutzen“, vor allem aus rechtlichen und ethischen Unsicherheiten (Quelle: European Commission AI Readiness Survey 2025).

Zwischen politischer Vision und technologischer Realität

Europäische Bestrebungen zur digitalen Souveränität müssen sich an marktwirtschaftlichen Realitäten messen lassen. SAP steht global im Wettbewerb mit Microsoft, Oracle und Salesforce. Ein Verzicht auf Partnerschaften mit Technologieführern wie OpenAI könnte Wettbewerbsnachteile bedeuten – insbesondere, wenn es darum geht, SAP-Kunden weltweit mit State-of-the-Art-KI-Diensten zu überzeugen.

Gleichzeitig zeigt das Beispiel der deutsch-französischen Initiative „Le Chat“, eine Open-Source-GPT-Alternative mit Fokus auf europäische Datenschutzstandards, dass auch alternative Lösungen möglich sind. Staatliche Anschubfinanzierung und eine klare strategische Linie könnten Europas Weg in eine selbstbestimmte KI-Zukunft ebnen.

Fazit: Koexistenz von Innovation und Souveränität?

Die SAP-OpenAI-Kooperation markiert einen Wendepunkt: Sie steht sinnbildlich für die Spannungsachse zwischen transatlantischer Innovationsdynamik und dem Wunsch nach europäischer Technologiehoheit. Anstatt ein dogmatisches Nein oder unreflektiertes Ja zu formulieren, braucht es jetzt institutionelle Intelligenz: Welche Systeme können sicher, effizient und souverän genutzt werden – und unter welchen Bedingungen?

Für Unternehmen und Behörden bedeutet das einen klaren Auftrag: strategisch abwägen, prüfen, kontraktuell absichern. Die europäische KI-Zukunft liegt nicht im radikalen Bruch, sondern in der bewussten Hybridisierung.

Was denken Sie? Diskutieren Sie mit uns und der Community: Wie weit darf Kooperation mit US-KI-Anbietern gehen, bevor Europas digitale Souveränität ins Wanken gerät?

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