Ob in Unternehmen, Behörden oder Bildungseinrichtungen – Office-Pakete sind das Rückgrat der täglichen digitalen Arbeit. Doch die zunehmende Dominanz US-amerikanischer Anbieter wirft kritische Fragen zur digitalen Selbstbestimmung Europas auf. Zwischen Abhängigkeit und Autonomie steht ein Strategiewechsel bevor.
Digitale Alltagswerkzeuge unter US-Hoheit
Microsoft 365 und Google Workspace – diese beiden Anbieter dominieren den internationalen Markt für Office-Suites. Laut einer aktuellen IDC-Studie aus dem Jahr 2023 entfallen rund 85 % des weltweiten Cloud-Office-Marktes auf Microsoft und Google. Besonders in Europa hat sich diese Dominanz in den letzten zehn Jahren massiv verfestigt: Laut Bitkom nutzten 2023 mehr als 78 % deutscher Unternehmen Microsoft Office 365 – Tendenz steigend.
Diese Marktkonzentration hat Folgen: Abhängigkeit von Anbietern außerhalb des europäischen Rechtsrahmens, potenzielle Verletzungen der DSGVO und kaum Kontrolle über Datenflüsse. Auch staatliche Einrichtungen und Schulen greifen aus praktischen Gründen auf diese Anbieter zurück – oft trotz rechtlicher Bedenken.
Rechtskonflikte und datenschutzrechtliche Bedenken
Die Enthüllungen durch Edward Snowden im Jahr 2013 und die nachfolgenden Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – insbesondere Schrems II im Jahr 2020 – haben deutlich gemacht: Datenübertragungen in die USA bergen erhebliche Risiken. Im Urteil erklärte der EuGH das Privacy Shield-Abkommen für ungültig, da US-Überwachungsgesetze europäischen Datenschutzstandards widersprechen.
Im Zuge dessen begannen mehrere europäische Datenschutzbehörden, den Einsatz von Microsoft 365 und Google Workspace in öffentlichen Einrichtungen kritisch zu hinterfragen. So kommt eine 2022 veröffentlichte Analyse der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) zu dem Schluss, dass Microsofts Vertragswerk „wesentliche Mängel“ hinsichtlich der DSGVO-Kompatibilität aufweist.
Digitale Souveränität: Mehr als ein politisches Schlagwort
Digitale Souveränität bezeichnet die Fähigkeit von Staaten, Organisationen und Individuen, ihre Daten, Technologieentscheidungen und digitale Infrastruktur eigenständig, sicher und unabhängig zu gestalten. Angesichts der geopolitischen Spannungen und der abnehmenden regulatorischen Kontrolle Europas über US-Dienste gewinnt dieser Begriff neue Relevanz.
Die Europäische Union hat darauf reagiert: Mit Initiativen wie GAIA-X oder dem European Cloud Federation Framework strebt sie an, eine souveräne europäische Cloud- und Software-Infrastruktur zu fördern. Ziel ist es, vertrauenswürdige Alternativen zu amerikanischen Techkonzernen zu schaffen und deren Nutzung auch in kritischen Sektoren wie Verwaltung, Forschung und Gesundheitswesen zu etablieren.
Europäische Office-Alternativen im Vergleich
Gleich mehrere Anbieter aus Europa bieten inzwischen ernstzunehmende Alternativen zu Microsoft und Google. Zwei der vielversprechendsten sind OnlyOffice und Collabora Online.
OnlyOffice
OnlyOffice stammt vom lettischen Unternehmen Ascensio System SIA. Die Software ist Open Source, modular aufgebaut und lässt sich entweder im eigenen Rechenzentrum betrieben oder als Cloud-Service nutzen. Besonders bei Integrationen punktet OnlyOffice: Die Lösung lässt sich nahtlos mit Nextcloud, ownCloud, Seafile und anderen Plattformen kombinieren. Die Oberfläche erinnert bewusst an Microsoft Office – das erleichtert Umsteigern die Eingewöhnung.
Inzwischen setzen bereits mehrere europäische Universitäten sowie kommunale Verwaltungen in Deutschland und Frankreich auf OnlyOffice. Die Suite unterstützt gängige Formate wie DOCX, XLSX und PPTX nativ – ohne Datenkonvertierung.
Collabora Online
Collabora Office ist eine kommerziell unterstützte Abspaltung des bekannten LibreOffice-Projekts. Das britische Unternehmen Collabora bietet mit „Collabora Online“ eine vollständig webbasierte Office-Suite, die auf der LibreOffice-Technologie basiert. Besonders hervorzuheben ist die strikte Einhaltung europäischer Datenschutzstandards und die vollständige Open-Source-Basis.
Collabora wird in zahlreichen öffentlichen Verwaltungen eingesetzt, darunter in der französischen Regierung und dem österreichischen Bildungsbereich. Ein Vorteil ist die fortlaufende Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit der Open-Source-Community und der Document Foundation.
Beide Lösungen zeichnen sich dadurch aus, keine Daten in Drittländer zu übertragen und damit DSGVO-konform einsetzbar zu sein – vorausgesetzt, sie werden on-premise oder über zertifizierte europäische Cloud-Dienstleister betrieben.
Praxis-Tipp: Wer Collabora Online nutzen möchte, kann über Nextcloud oder Univention Corporate Server einfach ein vorkonfiguriertes System aufsetzen – auch ohne tiefere IT-Kenntnisse.
Herausforderungen beim Umstieg
Doch trotz wachsender Funktionalität gibt es beim Wechsel zu europäischen Office-Paketen erhebliche Reibungsverluste. Hauptprobleme sind:
- Kompatibilitätsprobleme bei komplexen Microsoft-Formaten wie Makros oder Pivot-Tabellen.
- Mangel an Funktionen wie integrierte Videokonferenzen, AI-gestützte Features, Kalender oder E-Mail-Komplettservices.
- Fehlende Schulung der Mitarbeitenden für neue Lösungen und Prozesse.
Diese Umstellungshemmnisse führen dazu, dass viele Organisationen hybride Setups aufrechterhalten oder die Migration verzögern. Dennoch zeigt sich ein Trend: Immer mehr Akteure hinterfragen die Alternativlosigkeit von Microsoft & Co.
Fakten: Aktuelle Markt- und Nutzungsdaten
- Laut einer Forrester-Studie aus dem Jahr 2024 sehen 41 % europäischer Unternehmen „digitale Souveränität“ als einen der fünf wichtigsten IT-Strategieziele.
- Die Nutzung Open-Source-basierter Office-Suiten stieg in europäischen Behörden zwischen 2019 und 2024 von 12 % auf 28 % (Quelle: European Open Source Observatory 2024).
Strategien zur digitalen Unabhängigkeit
Der Weg zur digitalen Souveränität ist kein Sprint, sondern ein strukturierter Transformationsprozess. Unternehmen und Verwaltungen sollten bei der Planung wie folgt vorgehen:
- Bedarfsanalyse: Welche Funktionen werden wirklich benötigt – und welche können durch Open-Source-Lösungen abgedeckt werden?
- Pilotumgebungen schaffen: Mit kleinen Teams eine Testumgebung aufbauen und Feedback systematisch auswerten.
- Datenschutzkonformität prüfen: Anbieter-Cloud oder Self-Hosting? Entscheidend ist, dass personenbezogene Daten vollständig unter europäischer Kontrolle bleiben.
Langfristige Verträge mit US-Anbietern sollten kritisch hinterfragt werden – vor allem mit Blick auf mögliche Legislativänderungen in den Vereinigten Staaten, die Zugriff auf europäische Daten ermöglichen könnten (z. B. CLOUD Act).
Ausblick: Europäische Ökosysteme im Aufwind
Mit wachsenden Investitionen in europäische Software-Start-ups, der Weiterentwicklung interoperabler Standards und einer aufkommenden Kultur digitaler Nachhaltigkeit gewinnen Open-Source-Office-Lösungen an Boden. Immer mehr Bildungseinrichtungen, Städte und NGOs gehen mit gutem Beispiel voran und setzen auf souveräne IT-Infrastrukturen.
Europa hat das Potenzial, nicht nur technologisch aufzuschließen, sondern eigene Maßstäbe zu setzen – für Datenschutz, Interoperabilität und digitale Selbstbestimmung. Doch dazu braucht es politischen Willen, strategische Investitionen und vor allem: den Mut zur Veränderung.
Welche Erfahrungen habt ihr mit Office-Alternativen gemacht? Setzt eure Organisation bereits auf souveräne Lösungen? Diskutiert mit uns in den Kommentaren oder teilt euren Erfahrungsbericht auf unserer Plattform!