Bei einer der größten Cybercrime-Razzien in Europa hat die niederländische Polizei im Oktober 2025 über 250 Server beschlagnahmt. Der Schlag gegen eine internationale Infrastruktur krimineller Aktivitäten wirft ein Schlaglicht auf die Schattenwelt sogenannter Bulletproof Hoster – und darauf, wie Cyber-Sicherheitsorgane mit einem zunehmend professionellen digitalen Untergrund ringen.
Was ist passiert? Fakten zur Razzia
Am frühen Morgen des 10. Oktober 2025 durchsuchten niederländische Ermittler – koordiniert mit europäischen Partnern und Europol – insgesamt 30 Rechenzentren und Hosting-Standorte im Großraum Amsterdam, Rotterdam und Haarlem. Der Zugriff ist das Ergebnis monatelanger Ermittlungen gegen eine kriminelle Infrastruktur, die nach Angaben des niederländischen Justizministeriums als Bulletproof Hosting Provider operierte. Dabei handelte es sich um eine Kombination von Hosting-Services, die gezielt Cyberkriminellen zur Verfügung gestellt wurden – mit dem Ziel, illegale Inhalte und Aktivitäten vor Strafverfolgung zu schützen.
Bei der Operation mit dem Codenamen „Takedown NLX“ wurden laut der Erklärung der niederländischen Polizei über 250 dedizierte Server beschlagnahmt. Die Server enthielten Beweise für die Verbreitung von Ransomware, Phishing-Kampagnen, Botnet Control Panels, DDoS-as-a-Service-Angeboten sowie Child Sexual Abuse Material (CSAM). Mehrere Betreiber wurden festgenommen, darunter ein 34-jähriger Hauptverdächtiger aus Rotterdam.
Wie die niederländische Nationalpolizei mitteilte, sei die Operation in enger Zusammenarbeit mit internationalen Strafverfolgungsbehörden wie dem BKA, Eurojust, FBI und der französischen Gendarmerie durchgeführt worden. Der Fall zeigt, wie engmaschig und global Cyberkriminalität heute vernetzt ist – und wie entscheidend koordinierte Gegenmaßnahmen sind.
Bedeutung von Bulletproof Hostern im Cybercrime-Ökosystem
Bulletproof Hoster bieten Serverdienste an, die wissentlich keine oder nur minimale Compliance-Prüfungen durchführen. Dies macht sie besonders attraktiv für Cyberkriminelle, die Anonymität und Schutz vor Strafverfolgung suchen. Die Betreiber versprechen oft eine Missbrauchsresistenz („abuse-proof“), ignorieren Beschwerden von Drittparteien und sitzen häufig in rechtlich schwer zugänglichen Gerichtsbarkeiten.
Experten von Europol und Recorded Future beschreiben Bulletproof Hosting als das Rückgrat vieler krimineller Geschäftsmodelle im Netz. Laut einer Studie von Trend Micro (2023) sind über 65 % aller groß angelegten Phishing-Kampagnen direkt oder indirekt auf Bulletproof Hosting zurückzuführen. Auch Ransomware-Operators nutzen diese Anbieter bevorzugt zur Kommunikation mit Opfern und zur Datenexfiltration.
Die Anbieter agieren häufig in einer rechtlichen Grauzone und nutzen die Trennung zwischen Hosting und Domain-Registrierung aus. Selbst wenn eine Hosting-Infrastruktur vom Netz genommen wird, können Inhalte rasch auf neue Server umziehen – ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden.
Wie groß ist der Schaden durch Bulletproof Hosting?
Der wirtschaftliche Schaden durch Cyberkriminalität, ermöglicht durch derartige Infrastrukturen, ist enorm. Laut dem Cybersecurity Ventures Report (2024) sollen die weltweiten Schäden durch Cybercrime bis Ende 2025 auf bis zu 10,5 Billionen US-Dollar jährlich ansteigen – ein Großteil verursacht durch Ransomware, Phishing und Identitätsdiebstahl, bei denen Bulletproof Hoster eine tragende Rolle spielen.
Ein europäisches Konsortium aus Strafverfolgung und Forschung, das im Rahmen des “CyberSec Europe Initiative 2025” gegründet wurde, schätzt, dass aktuell jährlich etwa 200.000 bis 300.000 Online-Kriminalfälle in Europa auf Infrastrukturen gehostet werden, die mit Bulletproof Hosting in Verbindung stehen. Standorttechnisch handele es sich meist um Server in Osteuropa, Russland, Teilen Asiens – aber auch in westlichen Rechenzentren, bei denen Betreiber über Strohfirmen agieren.
Welche Auswirkungen hat die Razzia auf die Sicherheitslandschaft?
Die Zerschlagung einer derart großen Infrastruktur hat kurzfristig starke Auswirkungen auf Cyberkriminalität. Erste Analysen von Shadowserver, einer Non-Profit-Initiative zur Überwachung von Botnetzen, zeigen, dass nach der Razzia in den Niederlanden über 12 bekannte Command & Control (C2)-Netzwerke deaktiviert wurden. Phishing-Kampagnen in Westeuropa sind laut Analysen von Proofpoint in den vier Wochen danach um rund 22 % zurückgegangen.
Doch die Nachhaltigkeit solcher Maßnahme hängt maßgeblich davon ab, ob die gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden, um politische, regulatorische und technische Maßnahmen zu verbessern. Strafverfolgungsbehörden stehen unter wachsendem Druck, Hosting-Infrastrukturen nicht nur punktuell zu beseitigen, sondern persistente Detektion, Forensik und Repression zu etablieren.
Darüber hinaus zeigt die Razzia, dass internationale Zusammenarbeit im Security-Sektor funktioniert, wenn sie strukturiert, datengestützt und transparent organisiert ist. Die Rolle von EUROPOL oder der niederländischen Taskforce „High Tech Crime“ sollte deshalb gestärkt werden.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Auch Unternehmen in Deutschland und der DACH-Region sollten die Entwicklungen ernst nehmen. Die Tatsache, dass Cyberkriminalität auf professionell betriebener Infrastruktur basiert, heißt nicht, dass Angriffe aus dem Unternehmen heraus besser abgewehrt werden können. Vielmehr sind Unternehmen gefordert, ihre eigenen Verteidigungsmaßnahmen stetig weiterzuentwickeln – denn der Gegner professionalisiert sich ebenfalls.
Folgende Empfehlungen ergeben sich aus den jüngsten Entwicklungen:
- Zero-Trust-Infrastruktur etablieren: Sicherheit darf nicht mehr davon abhängig sein, ob ein Gerät oder Nutzer „drinnen“ oder „draußen“ ist. Eine konsequente Mikrosegmentierung und Identitätsprüfung muss zum Standard werden.
- Threat Intelligence gezielter nutzen: In Bedrohungsdatenbanken wie MISP oder OpenCTI lassen sich Indikatoren kompromittierter Hosting-Provider frühzeitig erkennen und blockieren.
- Cybersecurity-Supply-Chain prüfen: Unternehmen sollten ihre Hosting-Partner, Cloud-Provider und IT-Dienstleister regelmäßig auf Compliance und Resilienz prüfen. Das schließt auch Serverstandorte und rechtliche Bindungen ein.
Die Zukunft: Regulierung, Aufklärung, Automatisierung
Nach der Razzia in den Niederlanden fordern Vertreter der European Cybercrime Centre (EC3) eine stärkere Regulierung auf technischer wie wirtschaftlicher Ebene. Besonders der Bereich Hosting-Reseller, Domain-Frontends und technische Vermittler benötigt laut EC3-Studien vom September 2025 eine deutlich bessere Prüfpflicht auf Know-Your-Customer-Basis (KYC). Bisher gilt für viele Hoster das Prinzip von „No Questions Asked“ – ein Nährboden für Missbrauch.
Parallel muss in Aufklärung und Automatisierung investiert werden. Werkzeuge wie DNS-basierte Threat Detection, automatisierte Abuse-Meldesysteme oder Netzwerkforensik-Plattformen auf KI-Basis ermöglichen es, auffällige Traffic-Muster schneller zu identifizieren und behandeln.
Cyberkriminalität wird es vermutlich immer geben – aber sie soll nicht mehr auf Kosten all jener Infrastrukturbetreiber gehen, die sich rechtskonform verhalten. Wenn Behörden, IT-Verantwortliche, Hoster und Entwickler zusammenarbeiten, kann die digitale Welt ein Stück sicherer werden.
Die niederländische Großrazzia ist ein wichtiges Signal, aber auch ein Weckruf zur Wachsamkeit. Welche Erfahrungen habt ihr mit verdächtigen Hosting-Angeboten gemacht? Welche Tools und Strategien haben sich für euch im Umgang mit Bedrohungsakteuren bewährt? Diskutiert mit unserer Community im Forum – denn IT-Sicherheit beginnt mit Wissen und der Bereitschaft, zusammenzuarbeiten.




