Was passiert, wenn eine KI Musik komponiert, dabei aber auf urheberrechtlich geschützte Werke zurückgreift? Der laufende Rechtsstreit zwischen der Verwertungsgesellschaft GEMA und dem US-amerikanischen Unternehmen OpenAI stellt genau diese Frage ins Zentrum – und könnte weitreichende Konsequenzen für die gesamte Kreativbranche haben.
Der Kern des Konflikts: Trainingsdaten und Urheberrecht
Im Frühjahr 2025 reichte die GEMA – die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte – Klage gegen OpenAI ein. Der Vorwurf: Die KI-Systeme des Unternehmens, insbesondere in Musikprojekten wie Jukebox, wurden mit urheberrechtlich geschützter Musik trainiert, ohne Lizenzierung oder Vergütung an die Rechteinhaber.
Ein zentrales Problem vieler KI-generativer Systeme ist, dass sie auf große Mengen bestehender Inhalte als Trainingsmaterial angewiesen sind. Besonders im kreativen Bereich wie Musik, Literatur oder Kunst basieren diese Inhalte nicht selten auf urheberrechtlich geschützten Werken, an denen Dritte Rechte besitzen. Die GEMA argumentiert, dass eine Nutzung dieser Werke im Trainingsprozess eine urheberrechtliche Verwertung darstellt – ähnlich wie das Sampling in der Musikproduktion – und daher lizenzpflichtig ist.
Rechtliche Grauzonen und internationale Unterschiede
Das europäische Urheberrecht kennt bisher keine spezifische Regelung zur Nutzung geschützter Werke als Trainingsdaten für KI. Artikel 4 der EU-Urheberrechtsrichtlinie (DSM-Richtlinie) von 2019 erlaubt zwar sogenannte Text- und Data-Mining-Ausnahmen, jedoch mit Einschränkungen. In Fällen kommerzieller Nutzung behalten Rechteinhaber durch sogenannte „Opt-out“-Klauseln die Kontrolle über ihre Werke.
OpenAI hingegen beruft sich bislang vor allem auf das in den USA verbreitete Prinzip des „Fair Use“ – eine flexible Regelung, nach der bestimmte Nutzungen geschützter Inhalte ohne Lizenz erlaubt sein können, etwa zur Forschung oder Analyse. Doch ob ein kommerzieller KI-Dienst wie ChatGPT-4 (oder hypothetisch Jukebox 2.0) darunterfällt, ist höchst umstritten.
Ein Urteil im GEMA-Fall könnte Präzedenzcharakter für ganz Europa haben – entweder zugunsten der KI-Entwickler oder der Künstler.
Was steht für Musiker und Kreative auf dem Spiel?
Die GEMA vertritt die Interessen von über 90.000 aktiven Mitgliedern – hauptsächlich Komponisten, Textdichter und Musikverlage. Ihr Anliegen im OpenAI-Fall betrifft nicht nur rechtliche Prinzipien, sondern auch wirtschaftliche Existenzen. Denn wenn KI-Tools auf urheberrechtlich geschützte Musik zugreifen können, ohne Lizenzgebühren zu zahlen, entsteht ein Wettbewerbsnachteil für menschliche Kreative.
Laut einer 2024 veröffentlichten Studie des European Copyright Observatory (ECO) erwarten mehr als 57 % der befragten Musikschaffenden signifikante Einkommensverluste durch unlizenzierte KI-generierte Inhalte. Gleichzeitig nutzen immer mehr Plattformen – von YouTube über TikTok bis hin zu KI-Musikgeneratoren wie Suno oder Soundful – KI-Musik in ihren Algorithmen und Angeboten. Die Folge: originale Künstlerwerke werden verdrängt.
Internationale Parallelen und Präzedenzfälle
Der Fall GEMA vs. OpenAI steht nicht allein. Bereits 2023 hatte die US-Musikergewerkschaft National Music Publishers Association (NMPA) Beschwerde gegen Anthropic und Google eingelegt – ebenfalls mit der Begründung, KI-Systeme würden urheberrechtlich geschützte Musik ohne Zustimmung verwenden. Auch in Japan, dessen Urheberrecht Data Mining grundsätzlich erlaubt, laufen erste Tests zu Lizenzmodellen für KI-Trainingsdaten.
Ein besonders aufsehenerregender Fall war die Klage von Universal Music gegen die Social-Audio-App Voisey, die nutzergenerierte KI-Inhalte verbreitete. Nach Vorwürfen der systematischen Urheberrechtsverletzung nahm Apple Voisey 2024 vom App Store. Dieses Beispiel zeigt, dass die Balance zwischen Technikinnovation und Rechtsschutz schwer zu halten ist.
Lizenzmodelle für KI: Zukunft oder Illusion?
Eine mögliche Lösung liegt in neuen Lizenzmodellen. Die GEMA schlägt ein kollektives Lizenzierungsmodell vor, bei dem KI-Unternehmen pauschal Nutzungsrechte für große Musikkataloge erwerben – ähnlich wie Streaming-Plattformen wie Spotify oder Apple Music es bereits tun.
Auch OpenAI signalisiert seit Anfang 2025 Gesprächsbereitschaft: Laut einem Bericht des Music Business Worldwide (MBW) prüft das Unternehmen Kooperationen mit Verwertungsgesellschaften und Independent Labels, um strukturierte Musikdaten lizenziert zu beziehen – allerdings nur bei überschaubaren Kosten.
Ob sich Modelle wie „Collective Licensing for AI“ (CLAI) etablieren, hängt von regulatorischen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichem Druck ab. Denn bislang fehlt es an Skalierung, Durchsetzungskraft und globaler Koordinierung.
Drei Handlungsempfehlungen für Künstler und Rechteverwerter:
- Überprüfen Sie regelmäßig, ob Ihre Werke in Trainingsdatensätzen oder KI-generierten Inhalten auftauchen (mithilfe von Reverse-Search-Tools oder Services wie Muso.ai).
- Nutzen Sie Opt-out-Möglichkeiten bei Plattformen, die den Zugriff auf Inhalte für KI unter der DSM-Richtlinie anbieten.
- Setzen Sie auf kollektive Rechtsvertretung (z.B. durch die GEMA, GVL oder internationale Organisationen), um eine stärkere Verhandlungsposition zu erlangen.
Der Einfluss auf das künftige Urheberrecht
Der Streit zwischen GEMA und OpenAI wirft eine grundlegende Frage auf: Muss das Urheberrecht reformiert werden, um der KI-Realität gerecht zu werden? Aktuell existiert eine Schieflage: Während menschliche Schöpfer zahlreichen Formalien unterworfen sind, agieren KI-Systeme rechtlich im „Niemandsland“.
Eine 2025 publizierte Studie der EU-Initiative „Creativity & Innovation“ kam zu dem Ergebnis, dass über 65 % der digitalen Kreativwirtschaft eine klare gesetzliche Grundlage zur KI-Trainingsdatenverwendung fordern. Diskutiert wird unter anderem die Einführung einer KI-Abgabe, ähnlich der bestehenden Geräteabgabe, sowie Transparenzpflichten für KI-Anbieter. Auch die Idee einer urheberrechtlichen Schutzpflicht für KI-generierte Inhalte gewinnt an Zuspruch.
Wie geht es im Fall GEMA gegen OpenAI weiter?
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels steht ein erster Gerichtstermin für Januar 2026 in Berlin an. OpenAI hat beantragt, das Verfahren in die USA zu verlegen, doch deutsche Gerichte zeigen sich bisher kompetenzbereit. Währenddessen formieren sich weltweit Künstlerkoalitionen – etwa das „Human Art Initiative Consortium“– die internationale Transparenz und Bezahlung fordern.
Unabhängig vom Ausgang: Der Prozess markiert einen Wendepunkt. Entweder gelingt es, technische Innovation und kreative Leistung in ein gerechtes Verhältnis zu setzen – oder es droht eine weitere Entkopplung von wirtschaftlichem Wert und Urheberrecht.
Fazit: Zwischen Innovation und Integrität
Die Auseinandersetzung zwischen GEMA und OpenAI verdeutlicht die wachsende Relevanz urheberrechtlicher Fragen im Zeitalter der generativen KI. Während technologische Möglichkeiten rasant voranschreiten, hinkt das Recht hinterher – mit realen Konsequenzen für Kreative weltweit.
Für Künstler, Entwickler und Plattformen bleibt eines zentral: Die Balance zwischen rechtlichem Schutz und technischer Offenheit muss aktiv gestaltet werden. Nur so kann eine kreative Zukunft entstehen, die sowohl Innovation als auch Integrität in Einklang bringt.
Wie sehen Sie die Rolle des Urheberrechts in der Ära der künstlichen Intelligenz? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren oder teilen Sie Ihre Perspektive mit der Community auf unseren sozialen Kanälen.




