Kaum ein Softwareprodukt kommt heute noch ohne den Zusatz „KI-gestützt“ aus. Doch wie viel echte künstliche Intelligenz steckt wirklich hinter diesen Versprechen? Unser Artikel beleuchtet die gängige Praxis des KI-Washings, deckt typische Muster auf und zeigt, wie Anwender den Hype von echter Innovation unterscheiden können.
Was ist KI-Washing – und warum ist es problematisch?
Der Begriff KI-Washing bezeichnet das gezielte Ausschmücken, Übertreiben oder Irreführen hinsichtlich des Einsatzes von künstlicher Intelligenz (KI) in Produkten oder Dienstleistungen. Analog zum „Greenwashing“ im Nachhaltigkeitsbereich suggerieren Anbieter, dass ihre Anwendungen moderne KI-Technologien verwenden, obwohl dies oft nicht der Fall ist.
Hintergrund ist der enorme Marketingwert von KI: Laut einer Studie von Insight Partners (2024) steigt die Kaufwahrscheinlichkeit um durchschnittlich 36%, wenn Produkte mit dem Label „KI-gestützt“ beworben werden – unabhängig vom tatsächlichen Funktionsumfang. Dieser KI-Hype wird von einigen Unternehmen ausgenutzt, um simple regelbasierte Automatisierungen oder statistische Modelle als KI zu deklarieren.
Typische Techniken des KI-Washings
Es gibt verschiedene Methoden, wie Anbieter den Eindruck erwecken, ein System sei „intelligent“:
- Buzzword-Bingo: Begriffe wie „Machine Learning“, „AI-driven“ oder „Deep Learning“ werden inflationär und ohne technische Erklärung verwendet.
- Blackbox-Darstellung: Produktbeschreibungen bleiben bewusst vage, um Komplexität vorzutäuschen, obwohl nur einfache Regeln im Hintergrund wirken.
- Statistische Modelle als KI tarnen: Lineare Regressionsanalysen oder regelbasierte Workflows werden als „intelligente Systeme“ dargestellt.
- Symbolische KI = echte KI?: Einige Anbieter nutzen symbolisches Ableiten (z. B. If-Then-Logik) und verkaufen es als lernfähige KI.
Grenzen erkennen: Echte KI vs. Schein-KI
Um KI-Washing zu entlarven, sollten Anwender verstehen, was echte KI ausmacht. Eine authentische KI-Anwendung zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
- Lernfähigkeit: Das System verbessert sich durch neue Daten (z. B. über maschinelles Lernen).
- Modellbasiertes Verhalten: Entscheidungen beruhen auf datengetriebenen Modellen, nicht auf festen Regeln.
- Nachvollziehbarkeit der Methodik: Seriöse Anbieter liefern technische Whitepapers oder Erklärungen zur Funktionsweise.
In einer Untersuchung der Stanford HAI (AI Index Report 2024) stellte sich heraus, dass 42% der KI-Produkte am Markt keine selbstlernenden Komponenten enthielten – und somit de facto keine KI im klassischen Sinne waren.
Fallbeispiele: Zwischen echter KI und Marketing-Trick
Ein anschauliches Beispiel für gelungenen KI-Einsatz bietet Microsofts Copilot in Office-Produkten. Hier werden generative Sprachmodelle wie GPT‑4 integriert, die kontextbezogen Inhalte erstellen, Vorschläge machen und aus Interaktion lernen. Die Technologie basiert technisch nachweislich auf LLMs und zeigt transparente Erklärungen zur Funktionsweise.
Im Gegensatz dazu stand ein Fall im Jahr 2023 eines E‑Commerce-Unternehmens, das sein Chatbot-Tool als „KI-Support“ bewarb. Eine spätere Überprüfung zeigte: Es handelte sich lediglich um einen if-else-basierten Dialogbaum ohne Lernfähigkeit oder Datenverständnis. Dennoch wurde das Produkt mit Zertifikaten und KI-Icons beworben und war preislich deutlich über vergleichbaren Tools positioniert.
Ein weiteres Beispiel: Viele HR-Softwareanbieter sprechen von „AI-basiertem Recruiting“. Bei genauer Betrachtung fußen Empfehlungen dort oft auf Matching-Regeln und Keywords – maschinelles Lernen oder semantische Modelle sind die Ausnahme. Laut einer Umfrage von Gartner (2024) erkennen lediglich 28% der CIOs in ihrer Softwarelandschaft tatsächlich KI-gestützte Services mit lernenden Modulen.
Tipps für Unternehmen und Konsumenten zur Vermeidung von KI-Washing
Wie können IT-Verantwortliche, Projektleiter oder auch Endnutzer überprüfen, ob eine behauptete KI-Anwendung wirklich hält, was sie verspricht? Hier einige bewährte Tipps:
- Fordern Sie technische Dokumentation oder Whitepapers an und prüfen Sie, ob dort maschinelles Lernen, neuronale Netze oder Sprachmodelle konkret beschrieben werden.
- Stellen Sie gezielt Fragen wie: „Wie lernt Ihr System?“, „Welche Datengrundlage nutzen Sie?“ oder „Wie häufig wird das Modell aktualisiert?“
- Achten Sie auf Transparenz und Erklärbarkeit: Wird offen kommuniziert, wie Entscheidungen zustande kommen? Gibt es UI-Komponenten zur Nachvollziehbarkeit?
Darüber hinaus empfehlen Branchenexperten, auf verifizierte Zertifizierungen oder die Zugehörigkeit zu Brancheninitiativen wie der „AI Act Compliance Alliance“ der EU zu achten, die sich für standardisierte Kriterien in der KI-Etikettierung einsetzen.
Warum die Regulierung durch den AI Act der EU so wichtig ist
Der im März 2025 verabschiedete AI Act der Europäischen Union wird auch einen regulatorischen Riegel gegen übertriebenes oder irreführendes KI-Marketing vorschieben. Der Gesetzestext verpflichtet Anbieter künftig zu einer klaren Benennung von Modelltyp, Trainingsdaten, Risiken sowie zur Nachweisbarkeit des tatsächlichen KI-Gehalts in Produkten.
Verstöße gegen den AI Act können laut offizieller Quelle (EU-Kommission 2025) mit Strafen bis zu 35 Millionen Euro oder 7% des Jahresumsatzes geahndet werden.
Fazit: Zwischen Hype, Hoffnung und echter Innovation
Die Versprechen rund um künstliche Intelligenz wecken hohe Erwartungen – und manchmal auch falsche Hoffnungen. In einer Zeit, in der Vertrauen in Technologie und Transparenz essenziell sind, ist der verantwortungsvolle Umgang mit dem Begriff „KI“ wichtiger denn je.
Konsumenten, Unternehmen und Behörden sollten gemeinsam ein kritisches Bewusstsein entwickeln und lernen, den Blick für Substanz statt Oberfläche zu schärfen. Nur so entsteht Raum für echte Innovation und nachhaltiges Vertrauen in die KI-Technologien der Zukunft.
Welche Erfahrungen habt ihr mit angeblicher oder echter KI gemacht? Diskutiert mit unserer Community in den Kommentaren und teilt eure Einblicke!




