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Quantencomputing für alle: IQM und die Zukunft der Fehlerkorrektur

Ein warm ausgeleuchtetes, modernes Labor mit fokussierten Wissenschaftlern verschiedener Herkunft, die an einem futuristisch wirkenden Quantenprozessor arbeiten, umgeben von Hightech-Geräten und natürlichen Lichtstrahlen durch große Fenster, welche eine optimistische Atmosphäre voller Innovation und Zukunftsglaube schaffen.

Mit der neuen Quantencomputer-Plattform „Halocene“ bringt das finnisch-deutsche Unternehmen IQM einen entscheidenden Technologieschub ins Spiel. Der Fokus liegt dabei nicht auf theoretischer Rechenkraft – sondern auf einem der größten Probleme der Quantentechnologie: der Fehlerkorrektur. Doch was macht „Halocene“ so besonders – und was bedeutet das für Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft?

IQM – Europas Antwort auf das Quantenrennen

IQM Quantum Computers, mit Hauptsitz in Espoo (Finnland) und weiteren Standorten in München und Paris, zählt zu den ambitioniertesten Akteuren im aufstrebenden Markt des Quantencomputing. Das Unternehmen wurde 2018 gegründet und arbeitet eng mit führenden Forschungseinrichtungen wie dem Forschungszentrum Jülich und der VTT Technical Research Centre of Finland zusammen. IQM verfolgt das Ziel, Quantencomputer mit praktischer Anwendbarkeit zu entwickeln – für wissenschaftliche, industrielle und kommerzielle Zwecke.

Mit der 2024 vorgestellten Quantenprozessorlinie „Halocene“ will IQM den nächsten großen Schritt gehen: Hardwarenahe Fehlerkorrektur und Skalierbarkeit für den nahen Einsatz in produktiven Umgebungen. Die Plattform kombiniert supraleitende Qubits mit neuen Ansätzen im Design von Logikgattern und High-Fidelity-Messsystemen.

Warum Fehlerkorrektur der Gamechanger ist

Fehlerkorrektur ist der Schlüssel zur Nutzbarkeit von Quantencomputern. Quantenzustände sind extrem empfindlich und können durch kleinste Störungen kollabieren. Schon wenige Fehler pro Takt machen reine Qubit-Berechnungen unbrauchbar. Daher ist eine zuverlässige Fehlerkorrektur entscheidend für die sogenannte Fehlertoleranz – eine Grundvoraussetzung für den industriellen Einsatz.

Die herkömmliche Quantenfehlerkorrektur benötigt massive Redundanz: Bis zu 1000 physikalische Qubits werden simulativ eingesetzt, um ein einziges logisches Qubit abzusichern. Diese Tatsache hat bisher die Skalierung verhindert.

IQM verfolgt mit „Halocene“ daher einen hybriden Ansatz: durch tiefere Integration der Fehlerkorrektur-Algorithmen direkt in die Prozessorarchitektur und den Einsatz von High-Fidelity-Kontrollen auf Hardwareebene wird das Verhältnis physikalische Qubits zu logischem Qubit drastisch verbessert. Erste Tests zeigen ein erwartetes Qubit-Fidelity-Level von über 99,9 Prozent – ein bisher kaum erreichter Wert im supraleitenden Bereich.

Halocene im Detail: Architekturen, Anwendungen, Perspektiven

Die Halocene-Architektur basiert auf 3D-integrativer Chipherstellung, bei der Steuerung und Kühlung direkt mit den supraleitenden Qubits verbunden sind. Das Besondere: Fehlerkorrektur wird nicht als externer Software-Layer aufgesetzt – sie ist integraler Bestandteil der Hardwarelogik.

„Wir wollen nicht Giganten bauen, sondern funktionierende Einheiten“, sagte IQM-Mitgründer Jan Goetz bei der Präsentation im September 2024. Ziel ist es, sogenannte error-mitigated modules zu schaffen – skalierbare Blöcke von 20 bis 64 Qubits, die modular erweitert werden können. Dies erlaubt flexible Kompositionen für Use Cases in der Materialforschung, Kryptografie oder beim Training von KI-Modellen.

Ein wichtiger Vorteil: Diese Module sind von Anfang an für industrielle Präzision und wiederholbare Ergebnisse ausgelegt – ein „Industrie-Quantencomputer“, wie ihn die Europäische Kommission vielfach fordert.

Anwendungsfelder: Wo Halocene zuerst Wirkung zeigen wird

Die neuen fehlerarmen Quantenmodule könnten diverse Wirtschaftszweige frühzeitig transformieren. Insbesondere folgende Bereiche gelten als vielversprechend:

  • Pharma & Biotech: Nutzung von Quantenmodellen zur präzisen Protein-Faltung oder Wirkstoffsimulation, was schnellere Medikamentenentwicklung ermöglicht.
  • Finanzwesen: Portfolio-Optimierung und Risikomodellierung auf Basis quantenstochastischer Verfahren.
  • Materialwissenschaft: Simulationsgestützte Entwicklung neuartiger Legierungen, Batteriematerialien oder Hochleistungshalbleiter.

Laut einer Studie von McKinsey (2023) könnten Quantenlösungen in Chemie und Pharma bis 2035 einen ökonomischen Mehrwert von bis zu 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr generieren.

Europa auf Kurs: Technische Souveränität durch Quantenpower?

IQM ist nicht nur ein Technologietreiber – sondern auch Teil eines geopolitischen Projekts: der Aufbau einer eigenständigen europäischen Quanteninfrastruktur. Die EU fördert aktuell mehrere Projekte (z. B. OpenSuperQPlus, QuantERA II), in denen IQM aktiv eingebunden ist. Das Ziel: Supple-Chain-Souveränität, Standardisierung und Bildung von Fachkräften.

Im Rahmen des European Quantum Flagship Programms flossen zuletzt über 100 Mio. EUR an Fördermitteln in Quantenforschung, allein 2024 über 30 Mio. EUR an Projekte mit IQM-Beteiligung (Quelle: EU-Kommission, 2024).

Die Einbettung von Halocene in diese Initiative markiert einen Schritt zu mehr wirtschaftlicher Resilienz, Stichwort „digital sovereignty“. Das könnte langfristig verhindern, dass Europa technologisch von Akteuren aus China oder den USA abhängig bleibt.

Ab wann sind Quantencomputer wirklich einsetzbar?

Trotz aller Fortschritte bleibt eine kritische Frage: Wann können Quantencomputer alltägliche Probleme besser lösen als klassische Systeme – also den ‚Quanten-Vorteil‘ (Quantum Advantage) erzielen?

Die meisten Experten gehen davon aus, dass dieser Punkt bei spezifischen Aufgaben bereits zwischen 2025 und 2028 erreicht wird – allerdings stark abhängig von der Verfügbarkeit zuverlässiger, fehlerkorrigierender Hardware wie jener von Halocene.

Einige Unternehmen experimentieren bereits breitflächig. So kündigte Bosch im April 2025 eine erste Partnerschaft mit IQM an, um quantenchemische Modelle für E-Mobilitäts-Batterien zu testen. Auch BASF, BMW und Airbus investieren in ähnliche Pilotprojekte.

IDC prognostiziert, dass bis 2030 rund 25 % der Fortune-500-Unternehmen aktiv Quantenalgorithmen in ihre Prozesse integrieren werden (IDC, Forecast Report 2024).

Drei Tipps für Unternehmen, die den Einstieg in Quantencomputing planen

  • Frühzeitig Know-how aufbauen: Bilden Sie Expertengruppen oder Kooperationen mit Hochschulen, um Kompetenzen in Quantenlogik und Fehlerkorrektur aufzubauen.
  • Proof-of-Concept pilotieren: Testen Sie erste Anwendungen in sicherem Rahmen, etwa mit öffentlich geförderten Konsortien oder im Rahmen von EU-Initiativen wie EuroQCS-DE.
  • Prozesse analysieren: Identifizieren Sie Geschäftsprozesse mit hoher Rechenkomplexität oder Modellunsicherheit – diese sind potenziell für Quantenbeschleunigung geeignet.

Fazit: Vom Labormodell zum Tech-Motor Europas

Halocene zeigt exemplarisch, wie schnell Quantenforschung sich vom akademischen Konzept zur industrietauglichen Realität entwickelt. Mit innovativer Fehlerkorrektur macht IQM einen der strukturell größten Sprünge im Quanten-Stack seit Jahren. Europas Digitalwirtschaft steht damit ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung – sofern es strategisch genutzt wird.

Die Zukunft des Computings wird nicht binär, sondern quantisch. Und sie wird zunehmend europäisch geprägt. Jetzt braucht es mutige Entscheider, praxisorientierte Entwickler – und eine aktive Community, die diese neue Epoche mitgestaltet. Diskutieren Sie mit: Welche Anwendungsfelder halten Sie für besonders relevant? Teilen Sie Ihre Ideen in unserer Kommentarsektion oder auf LinkedIn.

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