Im Norden von Leipzig entsteht eines der ambitioniertesten Rechenzentrumsprojekte Europas. In Rackwitz wächst ein Campus, der mit einer geplanten Anschlussleistung von 500 Megawatt (MW) nicht nur die lokale Infrastruktur, sondern auch den gesamten IT-Standort Deutschland neu definieren soll.
Gigantisches Vorhaben mit strategischer Bedeutung
Der Rechenzentrumscampus in Rackwitz bei Leipzig ist mehr als nur ein weiteres Bauvorhaben. Mit einer projektieren Anschlussleistung von bis zu 500 MW zählt er bereits in der Planungsphase zu den größten Rechenzentrumsstandorten Deutschlands. Zum Vergleich: Der gesamte Markt für Rechenzentren in Frankfurt am Main – Europas zentralem Digital Hub – verfügte laut einer Studie von CBRE 2023 über rund 650 MW an IT-Leistung.
Initiator des Projekts ist die norwegische Rechenzentrumsfirma Green Mountain, in enger Partnerschaft mit dem Leipziger Energieversorger LEAG und Umwelttechnikexperten der TU Dresden. Ziel ist es, bis 2028 einen vollausgebauten Hochleistungsstandort mit mehreren Gebäudekomplexen, unabhängiger Stromversorgung und hochperformanter Anbindung aufzubauen.
Warum Leipzig? Standortfaktoren analysiert
Die Standortwahl für das Mega-Rechenzentrum fiel aus mehreren Gründen auf Rackwitz im Norden Leipzigs. Die Entscheidung resultiert aus einer strategischen Analyse zentraler Infrastruktur- und Standortfaktoren:
- Energieverfügbarkeit: Das Gelände liegt in unmittelbarer Nähe zum Umspannwerk Delitzsch Nordwest, das ehemals den Braunkohletagebau versorgte und über hohe Leitungskapazitäten verfügt.
- Flächenpotenzial: Mit über 100 Hektar bietet das Areal ausreichend Raum für modulare Rechenzentrumsarchitekturen, Sicherheitszonen, Logistik und Reserveflächen.
- Netzanbindung: Leipzig liegt an mehreren Glasfaserrouten und ist über die Deutsche Glasfaser sowie den European Backbone an zentrale Internetknoten angebunden.
- Transformationsorientierung: Das Vorhaben fügt sich nahtlos in die Strukturwandelstrategie Mitteldeutschlands ein. Es nutzt ehemalige Braunkohleinfrastruktur für digitale Zukunftstechnologien.
Weitere Vorteile ergeben sich aus dem politischen Rückenwind: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat signalisiert, das Projekt als Leuchtturm im Rahmen von „Reallaboren der Energiewende“ anzuerkennen. Damit verbunden sind Fördermittel und regulatorische Unterstützung.
Energiebedarf und Nachhaltigkeit: Herausforderung & Chance
Bei einer Zielausbauleistung von 500 MW und einem gleichzeitig hohen Bedarf an CO2-Neutralität ergeben sich erhebliche Herausforderungen. Der durchschnittliche Stromverbrauch eines Rechenzentrums mittlerer Größe liegt laut Bitkom bei etwa 3,5 MW – das Leipziger Projekt würde also ein Vielfaches dieser Kapazität beanspruchen.
Laut dem Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit lag der gesamte Energieverbrauch deutscher Rechenzentren im Jahr 2023 bei ca. 18 Terawattstunden (TWh). Mit einem Vollausbau von 500 MW und einer jährlichen Einsatzzeit von 8.000 Stunden würde der Campus rechnerisch allein etwa 4 TWh pro Jahr beanspruchen – also mehr als 20 % des gesamten bisherigen Verbrauchs in Deutschland.
Doch die Betreiber setzen auf grünen Strom: Ein signifikanter Teil der Versorgung soll über nahegelegene Offshore-Windparks und Photovoltaikflächen gesichert werden. Zusätzlich wird über Power Purchase Agreements (PPA) mit regenerativen Stromlieferanten verhandelt. Auch die Abwärmenutzung durch lokale Fernwärmenetze ist in Planung – das Projekt könnte so zum Blaupause-Modell für klimapositive Rechenzentren werden.
Bedeutung für lokale IT-Dienstleister und Carrier
Ein Rechenzentrumscampus dieser Größenordnung bietet erhebliches Potenzial für Unternehmen der Region – vom SME-IT-Dienstleister über Colocation-Anbieter bis hin zu Carriern und Netzbetreibern.
- Data Gravity: Die physische Nähe zu einem Hyperscale-Campus begünstigt das Entstehen weiterer digitaler Ökosysteme. Davon profitieren besonders lokale Managed Service Provider und Systemhäuser.
- Neukundenpotenzial: Internationale Cloud-Anbieter wie Microsoft Azure, AWS oder Alibaba Cloud suchen europäische Footprints. Der Campus könnte als Colocation-Host attraktiv sein.
- Edge-Infrastruktur: Mit steigender Nachfrage nach Latenzoptimierten Diensten (z. B. für IoT oder KI-Modelle) bietet sich Leipzig als dezentrale Edge-Zone an.
Für regionale Netzdienstleister bedeutet das Projekt darüber hinaus langfristige Aufträge in Wartung, Ausbau und Glasfaservernetzung.
Infrastrukturelle Herausforderungen vor dem Großprojekt
Ein Projekt dieser Größenordnung ist jedoch nicht frei von Herausforderungen. Insbesondere auf drei Ebenen zeigt sich hoher Koordinations- und Steuerungsbedarf:
- Stromnetzausbau: Die Einspeisung von 500 MW erfordert leistungsstarke Anbindungen an das Höchstspannungsnetz (380 kV). Hier sind Partnerschaften mit Übertragungsnetzbetreibern wie 50Hertz notwendig – inklusive neuer Transformatoren und Leitungsinfrastruktur.
- Kühlung und Wassermanagement: Die nachhaltige Kühlung von Gebäuden in dieser Größenordnung bei minimalem Wasserverbrauch ist technologisch komplex. Green Mountain setzt auf adiabatische Kühlung und skalierbare RZ-Module mit natürlicher Konvektion.
- Verkehrslogistik: Materialanlieferung, Bauarbeitsverkehr und spätere Mitarbeitermobilität müssen mittels smarter Verkehrsführungs- und Mobilitätskonzepte integriert werden.
Im Oktober 2024 veröffentlichte die IHK Leipzig eine Bedarfsanalyse zum Thema „Digitale Infrastruktur Mitteldeutschland“, die betont, dass neben leistungsfähigen Netzen vor allem interkommunale Koordination bei Megaprojekten gefragt ist.
Die Stadt Rackwitz hat bereits angekündigt, ein Sonderentwicklungsteam im Rathaus einzurichten, das alle Belange des Projekts bündelt – von Bürgerkommunikation über Genehmigungen bis hin zu strukturpolitischen Fragen.
Digitalisierung als regionaler Wirtschaftsmotor
Der Campus ist mehr als ein IT-Zentrum – er ist ein fundamentaler Schritt für die digitale Transformation Ostdeutschlands. In einer Region, die sich gerade vom Kohleausstieg und Strukturwandel geprägt zeigt, hebt das Projekt neue wirtschaftliche Potenziale:
- Schaffung von bis zu 450 hochqualifizierten Dauerarbeitsplätzen im Rechenzentrenbetrieb und Facility-Management
- Ausbildungs- und Umschulungsinitiativen in Zusammenarbeit mit lokalen Hochschulen (z. B. HTWK Leipzig)
- Einbindung von Start-ups durch Innovation-Hubs, z. B. rund um Smart Data oder Energieeffizienzmonitoring
Diese Faktoren platzieren den Standort Leipzig auf der IT-Landkarte Deutschlands – als attraktives Zentrum nicht nur für Daten, sondern für Talente und Innovationen gleichermaßen.
Europäische Dimension und geopolitische Kontextualisierung
Auch auf europäischer Ebene ist der Campus relevant: Der wachsende Bedarf an vertrauenswürdigen Cloud-Angeboten, ausgelöst durch Projekte wie Gaia-X, EU-DORA und DSGVO-Compliance, steigert die Nachfrage nach souveränen europäischen Rechenzentrumsstandorten.
Deutsche Hyperscale-Flächen machen laut Synergy Research aktuell >70 % der EU-Serverkapazität aus. Leipzig könnte als künftiger „Digital Sovereignty Hub“ eine Rolle übernehmen, insbesondere für datensensible Branchen wie Finanzen, Gesundheitswesen und öffentliche Verwaltung.
Empfehlungen für Unternehmen, Kommunen und Versorger
Für Akteure, die vom Rechenzentrumscampus profitieren möchten, ergeben sich unternehmerische und strategische Handlungsmöglichkeiten:
- Frühzeitige Positionierung als Zulieferer oder Dienstleister – etwa durch Teilnahme an Ausschreibungskonsortien
- Aufbau von Edge-Services passend zur regionalen Nachfrage (Streaming, XR, Industrie 4.0)
- Kooperation mit Campusbetreibern zur Entwicklung lokaler Energiekonzepte und Abwärmenutzung
Insbesondere Versorger im Bereich Fernwärme und kommunale Stadtplanung sollten aktiv Kontakt zu den Projektverantwortlichen suchen, um Synergien frühzeitig zu identifizieren.
Fazit: Leipzigs digitale Offensive beginnt in Rackwitz
Der Rechenzentrumscampus in Rackwitz ist mehr als ein Technologiestandort – er ist ein Symbol für Transformation, Zukunftsfähigkeit und digitale Resilienz. Während Berlin, Frankfurt und München um die Kapazitäten wetteifern, positioniert sich Leipzig als digitaler Vorreiter im Osten Deutschlands.
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