Mit dem Supercomputer ‚Otus‘ setzt die Universität Paderborn neue Maßstäbe in der Hochleistungsdatenverarbeitung. Das System soll nicht nur wissenschaftliche Prozesse beschleunigen, sondern auch grundlegende Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen leisten. Was macht Otus so besonders – und warum betrifft das nicht nur die Forschung?
Ein Kraftpaket für die Wissenschaft
Der neue Supercomputer ‚Otus‘, installiert am Paderborn Center for Parallel Computing (PC²), gehört zu den leistungsfähigsten Systemen seiner Klasse in Deutschland. Mit einer Rechenleistung von rund 2,3 Petaflops (Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde) reiht sich Otus in die Spitzenklasse europäischer Hochleistungsrechner (High Performance Computing, HPC) ein. Zum Vergleich: Ein einzelner moderner Laptop erreicht lediglich rund 500 Gigaflops – Otus ist also etwa 4.600-mal schneller.
Die Infrastruktur wurde Anfang 2025 vollständig in Betrieb genommen und ermöglicht es, mehrere Hundert wissenschaftliche Berechnungen parallel auszuführen. Neben der spektakulären Rechenleistung setzt Otus Maßstäbe in Sachen Energieeffizienz: Das System nutzt eine Heißwasserkühlung mit einer Vorlauftemperatur von bis zu 50 Grad Celsius und speist die entstehende Abwärme in das universitätseigene Fernwärmesystem ein.
Technische Eckdaten von Otus
Otus basiert auf einer Cluster-Architektur mit über 600 Rechenknoten, darunter spezialisierte GPU-Knoten für besonders datenintensive Prozesse. Die verwendeten NVIDIA A100 Tensor Core GPUs erlauben Beschleunigungen bei Anwendungen des maschinellen Lernens, in der Materialforschung und der Quantenchemie.
Einige Kennzahlen im Überblick:
- Rechenleistung: 2,3 Petaflops (Double Precision Linpack).
- Rechenknoten: 624, davon 48 GPU-Knoten mit 192 A100 GPUs.
- Arbeitsspeicher: >250 TB RAM im Gesamtsystem.
- Gesamtspeicherkapazität: Über 15 PB (Petabyte), verteilt auf parallele Filesysteme mit hoher Bandbreite.
- Verbindung: HDR-InfiniBand mit 200 Gbit/s für minimale Latenzen.
Forschung auf neuem Niveau
Otus richtet sich in erster Linie an Forscherinnen und Forscher in den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften. Zu den Hauptnutzern gehören Expertenteams, die sich mit Themen wie Klimamodellierung, Materialsimulation, algorithmischer Optimierung und Bioinformatik beschäftigen. Dabei wird Rechenleistung nicht nur für Einzelprojekte bereitgestellt, sondern über ein zentrales Nutzungsportal in Form von Rechenzeitkontingenten verteilt, die vom Gauss Centre for Supercomputing (GCS) in enger Kooperation mit dem PC² vergeben werden.
Ein zentrales Anwendungsbeispiel ist das Projekt „GreenLight“, bei dem Materialien für effizientere Solarzellen auf atomarer Ebene simuliert werden. Otus errechnet in einem Bruchteil der bisherigen Zeit komplexe Molekülstrukturen und erlaubt so eine schnellere Bewertung potenzieller Photovoltaikmaterialien. Die Ergebnisse helfen nicht nur der Forschung, sondern auch der Industrieentwicklung nachhaltiger Technologien.
Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) steigt der Bedarf an HPC-Ressourcen stetig: Deutschlandweit sind allein im wissenschaftlichen Sektor bis 2030 über 600 Prozent mehr Rechenkapazität notwendig, als heute zur Verfügung steht (Quelle: HPC-Strategie 2023–2030, BMBF).
Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Schlüsselprobleme
Doch Otus ist weit mehr als nur ein Werkzeug für die Forschung. Das System adressiert zentrale Themen wie Klimawandel, Energieknappheit, Gesundheit und Sicherheit. So wird es unter anderem für Simulationen künftiger Verkehrsstrukturen genutzt, in denen urbane Mobilitätskonzepte modelliert und optimiert werden.
Ein weiteres Beispiel ist die Kooperation mit medizinischen Fakultäten in Nordrhein-Westfalen: Hier analysiert Otus genetische Sequenzen auf Mutationsmuster, etwa bei seltenen Erkrankungen oder individualisierten Krebstherapien. Die komplexen Datenmengen, die klassische Serverumgebungen überfordern würden, bewältigt Otus in Minuten statt Tagen.
Der verantwortliche Informatikprofessor Dr. Christian Plessl betont: „Hochleistungsrechner wie Otus sind zu Schlüsselinfrastrukturen geworden – vergleichbar mit Laboren oder Teleskopen. Ohne sie sind viele Forschungsfragen nicht mehr zeitgemäß oder gar nicht mehr lösbar.“
Daten, Sicherheit und Nachhaltigkeit
Mit wachsender Rechenleistung steigt auch der Anspruch an Datenmanagement und Sicherheit. Otus erfüllt höchste Sicherheits- und Compliance-Standards, darunter ISO/IEC 27001. Die Nutzenden arbeiten unter dedizierten Benutzerprofilen; Zugriffs- und Protokollierungsmechanismen stellen sicher, dass sensible wissenschaftliche Daten geschützt bleiben.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Nachhaltigkeit. Obwohl Supercomputer für ihren hohen Stromverbrauch bekannt sind, verfolgt Paderborn ein konsequent energieeffizientes Konzept. Die effektive Heißwasserkühlung steigert nicht nur die Energieausbeute, sondern spart bis zu 40 Prozent konventioneller Kühlenergie ein (Quelle: PC², Technische Dokumentation 2025).
Die Stromversorgung erfolgt zu rund 85 Prozent aus erneuerbaren Energien, was Otus zu einem der energieeffizientesten Petaflop-Systeme Europas macht.
Internationale Vernetzung und Plattform für Kollaboration
Otus ist eingebunden in nationale und europäische Forschungsverbünde. Als Teil des Nationalen Hochleistungsrechnens (NHR) leistet der Supercomputer einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung von Rechenressourcen – nicht nur für Elite-Unis, sondern auch kleinere Hochschulen mit geringerer lokaler Infrastruktur.
Darüber hinaus ist Otus Teil der European High-Performance Computing Joint Undertaking (EuroHPC JU) Initiativen. Dies ermöglicht eine engmaschige Zusammenarbeit mit ähnlich ausgebauten Rechenzentren in Finnland (LUMI), Italien (Leonardo) und Frankreich (GENCI).
Die gemeinsame Nutzung bildet die Grundlage einer europäischen digitalen Souveränität, in der Forschung, Industrie und Innovation unabhängig von außereuropäischer Infrastruktur bleiben können.
Wie Unternehmen profitieren können
Auch mittelständische Unternehmen können das Potenzial von Otus ausschöpfen. Über das „High Performance Computing für KMU“-Programm (HPC4KMU), unterstützt vom BMWK, lassen sich Forschungsfragen und datenbasierte Innovationen in Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern umsetzen.
Industrien profitieren insbesondere in folgenden Bereichen:
- Optimierung von Produktionsprozessen mittels digitaler Zwillinge.
- Effiziente Materialentwicklung durch Simulation statt physischer Prototypen.
- Marktanalysen auf der Basis neuronaler Netzwerke.
Diese transdisziplinären Projekte tragen dazu bei, Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit auch in klassischen Branchen zu stärken – etwa in der Maschinenbau-, Automotive- oder Chemieindustrie.
Praktische Tipps für Interessierte
- Nutzerzugänge beantragen: Forschende und Unternehmen können über das PC²-Webportal beantragen, Otus-Ressourcen zu nutzen. Je nach Projektvolumen und Zielsetzung wird entsprechenden Zugang gewährt.
- Workshops und Schulungen wahrnehmen: Der PC² bietet regelmäßige Veranstaltungen für Einsteiger und Fortgeschrittene an, um Methoden des HPC effizient zu erlernen.
- Vernetzen und kooperieren: Erfolgreiche Projekte entstehen durch interdisziplinäre Teams – frühzeitiger Kontakt zu IT-Partnern oder Rechenzentren ist entscheidend.
Fazit: Otus zeigt, wohin die Reise geht
Mit Otus etabliert die Universität Paderborn einen Supercomputer, der nicht allein durch technische Exzellenz beeindruckt, sondern durch seine strategische Bedeutung im Kontext internationaler Forschung. Er schafft die Grundlage für Erkenntnisse und Innovationen, die unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren dringend braucht.
Wie moderne Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenwachsen können, zeigt Otus in eindrucksvoller Weise. Haben Sie selbst bereits mit HPC-Technologie gearbeitet oder möchten in Ihrem Unternehmen digitale Simulationen einsetzen? Teilen Sie Ihre Erfahrungen oder Fragen mit unserer Community – wir freuen uns auf den Dialog!




