Ist Künstliche Intelligenz ein kreativer Befreier – oder der Totengräber der Werbebranche? Spätestens seit McDonald’s mit einem KI-generierten Weihnachtsspot für Aufsehen sorgte, steht diese Frage im Raum. Zwischen innovativer Technologie und emotionaler Leere entstehen neue Spannungsfelder für Kreative, Markenstrategen und Konsumierende.
McDonald’s und der KI-Weihnachtsspot: Ein Vorbote für Veränderungen?
Im Dezember 2023 veröffentlichte McDonald’s Deutschland einen Weihnachtswerbespot, der komplett durch generative KI erstellt wurde. Verantwortlich war die britische Agentur TBWA\\Neboko. Der Spot zeigt in kunstvollen, surreal-romantischen Bildern die Sehnsucht eines überarbeiteten Vaters nach Momenten mit seinen Kindern – inszeniert im Look analoger Pastellanimationen. Der Clou: Die Bilder wurden mithilfe von Midjourney, Runway AI und anderen Tools erzeugt, die Script-Idee stammte ebenfalls aus einem Prompt-basierten Prozess. Ganz ohne menschliche Illustratoren, Animatoren oder Filmcrews.
Auf Plattformen wie LinkedIn und Twitter löste der Spot intensive Diskussionen aus – nicht nur über die vermeintlich fehlenden Emotionen, sondern auch über die ethischen und ökonomischen Implikationen solcher Produktionen. Das Tech-Magazin t3n titelte treffend: „Weihnachtsspot ohne Herz“. Autorin Stefanie Kara kritisierte insbesondere den trotz visuell eindrucksvoller Umsetzung spürbaren „emotionalen Leerraum“, der weder bei Mitarbeitenden der kreativen Branche noch beim Publikum Begeisterung ausgelöst habe. Die Kritik war auch deshalb so lautstark, weil McDonald’s mit dem Anspruch angetreten war, Menschen zu berühren – ein Ziel, das viele durch rein KI-gestützte Bilder als verfehlt ansehen.
Generative KI in der Kreativbranche im Aufwind
Trotz kontroverser Reaktionen ist der Einsatz generativer KI in der Werbung längst mehr als ein Experiment. Tools wie DALL·E, Midjourney, Stable Diffusion, Pika Labs oder Runway ML ermöglichen es Agenturen, innerhalb kürzester Zeit visuelle Konzepte, Storyboards und sogar fertige Werbespots zu generieren. Mit der Integration von Text-to-Video-Funktionen und multimodalen KI-Modellen wie GPT-4o oder Googles Gemini wird die technologische Hürde für Massenproduktion weiter gesenkt. Auch Adobe investiert stark in KI-Funktionen innerhalb der Creative Cloud („Firefly“).
Laut dem aktuellen „State of Creative AI Report 2024“ von CreativeBrew setzen bereits 42 % der Agenturen in Europa regelmäßig generative KI bei der visuellen Konzeptentwicklung ein. 28 % experimentieren mit automatisierter Texterstellung für Slogans und Markenbotschaften. Gleichzeitig geben 63 % der befragten Kreativen an, eine „nicht zu unterschätzende Gefahr für authentischen Ausdruck“ durch KI zu sehen. Es zeigt sich also eine doppelte Dynamik: einerseits Effizienzgewinn, andererseits kulturelle Verunsicherung.
Was bleibt von der menschlichen Kreativität?
Die klassische Werbung lebte jahrzehntelang von ikonischen Momenten: der emotionale Pepsi-Weihnachtstruck, der Volkswagen-Käfer-Werbespot aus den Siebzigern, Edekas viraler „Heimkommen“-Spot 2015. Diese Werke entstanden durch Teamarbeit, kulturelles Einfühlungsvermögen und menschliches Bauchgefühl. Doch genau diese Werte scheinen in der KI-Produktion fragiler denn je.
Die Ergebnisse wirken häufig generisch, da sie aus massenhaftem Datenfutter trainiert werden – meist ohne kontextuelle oder kulturelle Tiefe. „KI kann Stil imitieren, aber kein echtes Lebensgefühl erzeugen“, urteilt Jörg Schillers, Kreativdirektor der Agentur BBDO Düsseldorf in einem Interview mit Horizont. Visuelle Oberflächlichkeit sei dabei nicht das einzige Problem. Die Algorithmen reflektieren vor allem die Inhalte, auf denen sie trainiert wurden – und genau das müsse für Marken zu einem ethischen Minenfeld werden, so Schillers. Verzerrte, stereotype oder unauthentische Darstellungen könnten langfristig sogar das Vertrauen zerstören.
Vorteile und Grenzen der KI-Werbemittelproduktion
Die Potenziale sind jedoch nicht von der Hand zu weisen: KI reduziert Produktionskosten, verkürzt Feedback-Zyklen und ermöglicht personalisierte Inhalte in Rekordzeit. Große Konzerne wie Coca-Cola, Nestlé oder Nike experimentieren bereits mit skalierbaren Kampagnen, die Zielgruppen je nach Region, Sprache oder Interessen individuell ansprechen – vollautomatisiert. Eine Erhebung von Statista 2024 zeigt, dass 31 % der global tätigen Werbeagenturen ihre Investitionen in KI-Produktionstechnologie zwischen 2023 und 2025 verdreifachen wollen.
Trotzdem sind auch technologische Limitierungen zu beachten. Viele KI-generierte Videos wirken ruckelig, unnatürlich oder künstlich. Zudem bestehen rechtliche Unsicherheiten bei Bildrechten sowie ethische Fragen zur Kennzeichnungspflicht. Die EU-Kommission hat im AI Act (verabschiedet im Juni 2024) klare Richtlinien gefordert: Generative Inhalte, insbesondere in Werbung und Medienformaten, sollen gekennzeichnet und nachvollziehbar sein. Transparenz wird zur Compliance-Frage.
Fallbeispiel: Emotionen brauchen mehr als Algorithmen
Der McDonald’s-Weihnachtsspot ist ein Paradebeispiel dafür, wie schwierig das „richtige Maß“ beim Einsatz von KI ist. Visuell aufwendig realisiert und mit hoher technischer Präzision, blieb der emotionale Impact dennoch verhalten. Die Reaktionen reichten von Faszination über Entfremdung bis hin zu harscher Ablehnung. In sozialen Medien wurde der Spot vielfach als „seelenlos“ oder „ästhetisch steril“ bezeichnet.
Interessanterweise kommentierten viele Kreativprofis nicht primär die Qualität der Umsetzung, sondern das fehlende menschliche Element in der Entstehung. Die Frage nach der Intention – einem zentralen Wert in der Markenkommunikation – blieb unbeantwortet. Und genau das scheint eine der großen Herausforderungen für die Zukunft der KI-Werbung zu sein: Maschinen können Aussagen reproduzieren, aber keine Haltung verkörpern.
Wie verändert sich die Rolle der Agenturen?
Der bisherige Workflow – Pitch, Ideenentwicklung, Dreharbeiten, Postproduktion – wird bei vielen Agenturen bereits durch agile, KI-getriebene Entwicklungsmethoden abgelöst. Kreative müssen sich zunehmend mit Prompt Engineering, Datenanalyse und ethischem Design befassen. Neue Rollen entstehen: KI-Operator, Content-Verifizierer, Responsible AI Designer.
„Wir erleben gerade die größte Umwälzung seit der Digitalisierung“, sagt Tina Neubauer, Geschäftsführerin der Berliner Agentur NORTH. Während einfache Layouts, Animationen und Texte künftig automatisiert entstehen, gewinnen kreative Konzepte, Storytelling und kulturelle Übersetzungsarbeit enorm an Bedeutung. „KI ersetzt nicht Kreativität, sondern verschiebt ihre Koordinaten“, erklärt Neubauer. Entscheidend sei, wie sinnvoll Menschen KI als Werkzeug einsetzen – nicht ob sie überflüssig werden.
Handlungsempfehlungen für Marken und Agenturen
- Transparenz schaffen: Kommunizieren Sie offen, wenn Werbeinhalte durch generative KI erstellt wurden. Das schafft Vertrauen und erfüllt absehbare Regulierungsanforderungen.
- Menschliche Beteiligung garantieren: Lassen Sie Kreativität nicht komplett von der Maschine bestimmen. Menschen sollten an Konzeptentwicklung, Storytelling und Sensibilitätsprüfung beteiligt bleiben.
- KI-Kompetenz aufbauen: Schulen Sie Ihre Teams im verantwortungsvollen Umgang mit generativen Tools und entwickeln Sie unternehmensspezifische KI-Guidelines.
Fazit: Zwischen Disruption und Renaissance
Der Einsatz von KI in der Werbung ist keine vorübergehende Mode, sondern Teil einer tiefgreifenden Transformation. McDonald’s KI-Weihnachtsspot hat uns eindrucksvoll gezeigt, was technisch möglich ist – und gleichzeitig offengelegt, wo die Schwellen zwischen Maschine und Mensch verlaufen. Menschliche Kreativität definiert sich nicht nur über Output, sondern über Zusammenhänge, Werte und kulturelle Resonanz. Wer keine neue Kreativität mit KI gestaltet, verliert vielleicht nicht nur Emotion – sondern auch Authentizität.
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