Mit dem erfolgreichen Erstflug der Jiutian-Drohne hat China ein neues Kapitel in der militärischen Drohnentechnologie aufgeschlagen. Die unbemannte Luftplattform wiegt über 17 Tonnen, kann bewaffnet operieren und sogar ganze Drohnenschwärme koordinieren – ein technologischer Meilenstein mit enormem geopolitischem Sprengstoff.
Gigant ohne Cockpit: Die Jiutian-Drohne im Überblick
Am 4. November 2025 testete das chinesische Staatsunternehmen Aviation Industry Corporation of China (AVIC) erstmals öffentlich die Jiutian-Drohne. Mit einem Startgewicht von etwa 17,6 Tonnen, einer Spannweite von über 20 Metern und einer Reichweite von rund 7.000 Kilometern zählt sie zu den schwersten militärischen UAVs (Unmanned Aerial Vehicles) der Welt. Das Besondere: Sie ist nicht nur für Erkundungs- oder Transportaufgaben konzipiert, sondern auch als autonom operierendes Waffensystem.
Nach Angaben des chinesischen Staatsfernsehens CCTV kann die Jiutian-Drohne mehrere hundert Kilogramm Nutzlast tragen – darunter Lenkwaffen, Aufklärungssensoren und – besonders brisant – Unterdrohnen in Schwarmkonfiguration. Diese Fähigkeit, Drohnenschwärme auszusetzen, macht sie zu einem potenziellen „Mutterflugzeug“ moderner Netzwerkkriegsführung.
Ein direkter Vergleich zeigt die Ambitionen: Der US-amerikanische MQ-9 Reaper wiegt rund 4,8 Tonnen, während die russische S-70 Okhotnik etwa 20 Tonnen erreicht. Die Jiutian positioniert sich damit im oberen Leistungsfeld strategischer Drohnensysteme – eine direkte Herausforderung für etablierte Militärtechnologien.
Militärische Fähigkeiten: Schwarmführung und KI-Kooperation
Ein zentrales Merkmal der Jiutian-Drohne ist ihre Fähigkeit, in Echtzeit andere Drohnen autonom zu koordinieren. Damit integriert sie Künstliche Intelligenz (KI) in bisher ungekannter Tiefe in die militärische Führung. Laut Analysen des Center for a New American Security (CNAS) könnten solche Systeme die Entscheidungsfindung auf dem Schlachtfeld drastisch beschleunigen – von Stunden auf Sekunden.
Die Jiutian-Drohne führt mithilfe eines KI-gestützten Command-and-Control-Systems Schwärme kleinerer Drohnenflieger, etwa zur elektronischen Kriegsführung oder zur Zielmarkierung. Dieser Schwarmansatz folgt dem Vorbild natürlicher Prozesse, etwa Fisch- oder Vogelschwärmen, und zielt auf Redundanz, Agilität und Verwirrung des Gegners während komplexer Einsätze.
Chinas Fokus auf diese Art unbemannter Kriegsführung ist Teil einer größeren Modernisierungsstrategie, die bereits im Verteidigungsweißbuch von 2019 betont wurde. Dort wurde hervorgehoben, dass Drohnen eine Schlüsselrolle für asymmetrische Konfliktführung und in regionalen Konfliktszenarien spielen sollen.
Globale Reaktionen und strategisches Wettrennen
Der rasante Fortschritt Chinas im Bereich unbemannter Luftfahrzeuge bleibt international nicht unbeachtet. Die USA, Israel und Russland investieren massiv in ihre Drohnenprogramme, um chinesischer Dominanz entgegenzutreten. Insbesondere in pazifischen Gefechtsräumen, etwa rund um das Südchinesische Meer oder Taiwan, sehen Analysten eine strategische Verschiebung terrestrischer Dominanz hin zur Lufthoheit durch UAV-Flotten.
Die US-Regierung äußerte im November 2025 über das Pentagon „ernsthafte Bedenken“ zur zunehmenden Autonomie bewaffneter Systeme, insbesondere wenn diese Schwarmdrohnen einsetzen. Auch in Europa reagiert man zunehmend alarmiert. Ein aktueller Bericht des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) zeigt, dass unbemannte Waffensysteme 2024 bereits 16 % aller globalen Waffenausgaben im Verteidigungsbereich ausmachten – Tendenz steigend.
Deutschland, Frankreich und Großbritannien forcierten unter dem PESCO-Rahmen der EU daher verstärkt die Entwicklung eigener UAV-Programme und beteiligen sich aktiv am Eurodrohne-Projekt, das 2026 mit ersten Testflügen beginnen soll.
Rüstungskontrolle im Zeitalter autonomer Systeme
Die Entwicklung autonomer Kampfsysteme wie der Jiutian wirft drängende Fragen zur Rüstungskontrolle auf. Das 1980 in Kraft getretene UN-Waffenübereinkommen (CCW) enthält derzeit keine wirksamen Mechanismen zur Regulierung autonomer Waffen. Zwar forderte das Europäische Parlament bereits 2023 ein internationales Moratorium, doch entscheidende Mitgliedsstaaten, darunter Russland, USA und China, lehnen ein vollständiges Verbot autonomer Waffensysteme bisher ab.
Eine zentrale Herausforderung besteht in der völkerrechtlichen Zurechnung von Entscheidungen durch KI-Systeme. Wer trägt Verantwortung bei Völkerrechtsbrüchen durch autonome Systeme? Wie verhindert man Fehlentscheidungen auf Basis fehlerhafter Algorithmen? Bislang fehlen praktikable, international abgestimmte Definitionen und Kontrollsysteme. Das erhöht das Risiko für eine technologische Eskalationsspirale.
Der diplomatische Dialog stockt: Trotz mehrerer UN-Konferenzen zu „Lethal Autonomous Weapon Systems“ (LAWS) im Jahr 2024 konnte keine bindende Resolution erreicht werden. Das Risiko bleibt bestehen, dass Staaten wie China, die technologisch voraus sind, Fakten schaffen und damit den Rüstungskontrollrahmen unterwandern.
Technologischer Treiber und wirtschaftlicher Faktor
Die Entwicklung großformatiger Drohnen wie Jiutian basiert auf einem fortgeschrittenen Zusammenspiel aus KI-Chips, modularer Avionik und leistungsstarken Antriebssystemen. Nach Angaben des chinesischen Wissenschaftsministeriums sind über 70% der Schlüsselkomponenten der Jiutian inländischer Herkunft – ein klares Signal technologischer Eigenständigkeit.
Im Jahr 2024 betrugen die weltweiten Ausgaben für militärische Drohnentechnologie rund 20 Milliarden US-Dollar, ein Anstieg um 51 % gegenüber 2019 (Quelle: Defense News Analytics 2024). Experten erwarten bis 2030 ein Wachstum auf über 39 Milliarden Dollar jährlich – getrieben durch Konflikte, Automatisierungsstrategien und steigende Anforderungen an militärische Echtzeitdaten.
China sieht Drohnentechnologie zudem als Exportinstrument: Laut SIPRI lieferte das Land zwischen 2018 und 2023 über 282 bewaffnete UAVs an mehr als 20 Staaten, darunter Pakistan, Saudi-Arabien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Handlungsempfehlungen für Politik, Industrie und Forschung
- Entwicklung internationaler Standards für autonome Waffensysteme: Eine rasche Einigung über völkerrechtlich bindende Definitionen und Verhaltensregeln ist notwendig, um eine unkontrollierte Proliferation zu verhindern.
- Investition in Rüstungsinnovation unter ethischen Leitlinien: Regierungen sollten eigene Drohnenfähigkeiten ausbauen, jedoch auf Transparenz und menschenzentrierte Kontrollmechanismen setzen.
- Förderung von dual-use-Forschung: Universitäten und Unternehmen müssen innovative Technologien gleichzeitig für zivile wie militärische Anwendungen entwickeln, um gesellschaftliche Mehrwerte zu schaffen.
Fazit: Flug in die Zukunft oder Blick in den Abgrund?
Die Jiutian-Drohne markiert nicht nur einen technischen, sondern auch einen geopolitischen Wendepunkt. Autonome Luftkriegsführung wird die strategischen Gleichgewichte nachhaltig verschieben – und wirft massive Fragen zur Kontrolle, Ethik und Verantwortung auf. In einer Welt, in der Krieg zunehmend aus der Distanz und durch Algorithmen geführt wird, müssen Staaten, Unternehmen und Gesellschaften neue Regeln des Umgangs finden.
Technologisch beeindruckend, strategisch brisant – der Aufstieg der Kampf-Drohnen fordert uns heraus, den Wettlauf der Maschinen nicht nur zu beobachten, sondern aktiv mitzugestalten. Diskutieren Sie mit uns: Welche Regeln sollten für Drohnen im 21. Jahrhundert gelten?




