Cyberkriminelle entwickeln immer raffiniertere Methoden, um selbst grundlegende Schutzmechanismen wie Captchas auszuhebeln. Besonders im Fokus: Nutzer von Microsoft-Diensten. Was früher als verlässlicher Schutz gegen Bots galt, wird zunehmend zur Schwachstelle – mit weitreichenden Folgen für Unternehmen und Privatpersonen.
Die Achillesferse moderner Zugangssicherheit
Microsoft-Konten sind ein beliebtes Ziel für Cyberangriffe – sei es durch Phishing, Credential Stuffing oder Social Engineering. Besonders alarmierend ist ein Trend, der sich seit Mitte 2024 zunehmend abzeichnet: Hackergruppen setzen automatisierte Tools und künstliche Intelligenz (KI) gezielt ein, um Captcha-Systeme zu überlisten und so in Microsoft-Konten einzudringen.
Captchas (Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart) sollen eigentlich genau das verhindern: automatisierte Zugriffsversuche. Doch Angreifer haben Wege gefunden, diese Barriere mit einer Kombination aus Machine Learning, Browser-Automatisierung und sogar menschlicher Hilfe zu umgehen. Die Sicherheitsforscher von Sekoia.io und KrebsOnSecurity berichteten bereits 2024 von zunehmenden Missbrauchsfällen, bei denen Tools wie „EvilProxy“ oder „Storm-1811“ besonders aktiv waren. Diese ermöglichen Phishing-Kampagnen mit umgehender 2-Faktor-Authentifizierung und umgehen auch moderne Captcha-Mechanismen.
Besonders häufig werden sogenannte Reverse Proxy-Phishing-Kits eingesetzt. Hierbei handelt es sich um speziell konfigurierte Systeme, die die originale Microsoft-Anmeldeseite spiegeln, aber gleichzeitig auch dynamisch Captchas simulieren oder überwinden können. Sekoia identifizierte insbesondere Angriffe, bei denen skriptbasierte Lösungen die Bildanalyse von Captchas automatisiert übernehmen – mit hoher Trefferquote.
So werden Captchas heute geknackt
Der klassische Bot-Captcha-Test – etwa das Erkennen von Zebrastreifen oder das Klicken auf alle Bilder mit Fahrrädern – basiert auf menschlicher visueller Intuition. Doch KI-Systeme können diese Tests inzwischen zuverlässig bestehen. Laut einer Studie des MIT (2024) sind neuronale Netze inzwischen in der Lage, reCAPTCHA v2 mit einer Erfolgsquote von über 85 % zu lösen – in weniger als zwei Sekunden pro Versuch.
Ein weiterer Trend: Outsourcing an „Captcha Farms“. Cyberkriminelle lagern das Lösen der Captchas an reale Menschen aus, meist in Niedriglohnländern. Dienste wie 2Captcha oder Anti-Captcha bieten APIs, über die Angreifer Captchas in Sekundenschnelle von menschlichen Clickworkern lösen lassen – für wenige Cent pro Anfrage.
Ein dritter Vektor ist die Integration manipulierter Browser-Extensions. Microsoft warnte im Oktober 2024 vor bösartigen Erweiterungen in Edge, Chrome und Firefox, die auf eingebetteten Phishing-Seiten Captchas automatisch auslesen und lösen – bevor der Nutzer überhaupt merkt, dass die Seite kompromittiert wurde.
Fallbeispiel: MFA-Bypass bei Microsoft 365
Ein besonders aufsehenerregender Fall ereignete sich im Juli 2024: Die Gruppe „Storm-1811“ kompromittierte mehrere hundert Microsoft 365-Konten großer US-Unternehmen, indem sie Captchas und sogar Multifaktor-Authentifizierung (MFA) umgingen. Laut Microsofts Threat Intelligence Team nutzten die Angreifer ein Modultool namens „Greatness“, das direkt in Phishing-E-Mails eingebettet wurde und dem Opfer beim Öffnen der Mail über ein scheinbar sauberes Microsoft-Login prompt eine perfektionierte Kopie der echten Seite präsentierte – inklusive simuliertem Captcha-Feld. Der Captcha-Test wurde dabei entweder komplett umgangen oder durch manipulierte Interaktion automatisch bestanden.
Einmal eingedrungen, begannen die Angreifer mit systematischem Seitwärts-Movement innerhalb des Microsoft 365-Tenants: Zugriff auf E-Mails, Kontakte, Files in SharePoint und OneDrive. Besonders alarmierend: In 38 % der Fälle war auch der Zugang zu Microsoft Teams betroffen. Damit konnte interne Kommunikation mitverfolgt oder manipuliert werden.
Statistik: Laut IBM X-Force Threat Intelligence Report 2025 nutzten 70 % der erfolgreichen Phishing-Angriffe auf Microsoft-Konten einen Captcha-Bypass oder Reverse Proxy als Bestandteil der Angriffsmechanik. (Quelle: IBM X-Force 2025)
Warum Microsoft besonders im Visier steht
Die zentrale Rolle von Microsoft-Diensten in Unternehmen macht sie besonders attraktiv für Angreifer. Mit über 400 Millionen aktiven Microsoft 365-Nutzern weltweit (Stand Q2/2025, Statista) bietet das Ökosystem eine enorme Angriffsfläche. Gleichzeitig zeigt sich, dass viele Firmen nicht alle verfügbaren Sicherheitsfeatures aktiviert haben – oder auf veraltete Schutzmechanismen wie einfache Captchas vertrauen.
Microsoft selbst räumte im November 2024 ein, dass Captchas allein kein wirksamer Schutz mehr seien. Das Unternehmen kündigte an, verstärkt auf „risk-based adaptive authentication“ und kontextbezogene Zugriffskontrolle setzen zu wollen. Dabei wird nicht nur geprüft, ob jemand ein Captcha besteht, sondern auch, von wo und auf welche Weise der Login erfolgt.
Was Nutzer jetzt tun sollten
Captchas sind kein ausreichender Schutz mehr – diese Lektion ist inzwischen klar. Doch Microsoft-Nutzer können selbst einiges tun, um ihre Konten besser abzusichern:
- Verwenden Sie passwortlose Anmeldungen: Nutzen Sie moderne Login-Mechanismen wie Windows Hello oder die Microsoft Authenticator App, um klassische Passwörter zu ersetzen.
- Multi-Faktor-Authentifizierung aktivieren – aber richtig: Authenticator-Apps sind sicherer als SMS-Codes. Noch besser sind FIDO2-Token, die auf Hardware basieren und keine Phishing-Angriffe zulassen.
- Login-Aktivitäten regelmäßig kontrollieren: In Ihrem Microsoft-Konto können Sie unter „Sicherheitsübersicht“ ungewöhnliche Anmeldestandorte oder -zeiten erkennen und darauf reagieren.
Weitere empfehlenswerte Maßnahmen: Administratoren sollten Conditional Access Policies einrichten und Microsoft Defender for Identity konfigurieren, um verdächtige Aktivitäten sofort erkennen und blockieren zu können.
Fazit: Die nächste Verteidigungslinie beginnt beim Menschen
Angreifer sind längst auf Augenhöhe mit den gängigen Schutzmaßnahmen – insbesondere bei Captchas. Was heute wie ein Sicherheitsfeature aussieht, kann durch KI, automatisierte Skripte oder menschliche Hikarbeiter binnen Sekunden ausgehebelt werden. Die größte Schwachstelle bleibt dabei jedoch fast immer der Nutzer selbst: mangelhafte Sicherheitskonfiguration, unachtsames Klicken und fehlendes Risikobewusstsein.
Die gute Nachricht: Mit den richtigen Schutzmechanismen, aktueller Awareness und einem risikobasierten Vorgehen lässt sich ein Großteil dieser Bedrohungen sehr wohl eindämmen. Die Tech-Community ist gefragt, neue Verteidigungsstrategien mitzudenken und von überholten Paradigmen Abschied zu nehmen. Teilen Sie Ihre Erfahrungen zur Microsoft-Kontensicherheit in den Kommentaren – gemeinsam machen wir das Netz ein Stück sicherer.




