Telekom, SAP und die Schwarz Gruppe starten ein ambitioniertes Projekt: Gemeinsam wollen sie die erste KI-Gigafactory Europas errichten. Ziel ist es, europäische Souveränität in der Künstlichen Intelligenz zu sichern und industrielle Innovationskraft zu bündeln. Doch was steckt hinter dieser gigantischen Idee?
Ein Schulterschluss der Schwergewichte
Im Sommer 2024 haben drei deutsche Wirtschaftsgiganten ein Projekt vorgestellt, das richtungsweisend für die digitale Zukunft Europas sein könnte: Die Deutsche Telekom, SAP und die Schwarz Gruppe, zu der unter anderem Lidl und Kaufland gehören, kündigten den Aufbau einer gemeinsamen „KI-Gigafactory“ an. Das Projekt zielt darauf ab, eine Infrastruktur zu schaffen, auf der Künstliche Intelligenz europäischer Prägung sicher, skalierbar und wirtschaftlich entwickelt und betrieben werden kann.
Die Beteiligten bringen geballte Kompetenz mit: SAP als führender Anbieter von Unternehmenssoftware, Telekom mit globaler Netzwerkinfrastruktur und Skalierungsexpertise, und die Schwarz Gruppe mit Rechenzentren und Data-Analytics-Know-how durch ihre IT-Tochter Xayn sowie Stackit, ihren eigenen Cloud-Provider.
Was ist eine KI-Gigafactory?
Der Begriff lehnt sich an Teslas Gigafactories an – Produktionsstätten im XXL-Format. Im Fall der KI-Gigafactory geht es jedoch nicht um Batterien oder Autos, sondern um die Erzeugung und das Training leistungsfähiger KI-Modelle. Gigafactory bedeutet hier: enorme Rechenkapazitäten, riesige Datenmengen, sichere Cloud-Infrastrukturen und energieeffiziente Hardware-Cluster – alles Made in Europe.
Die KI-Gigafactory soll dabei als Plattform agieren, auf der sowohl Large Language Models (LLMs) als auch industrienahe KI-Anwendungen entwickelt und betrieben werden. Unternehmen, Forschungseinrichtungen sowie öffentliche Verwaltungen sollen gleichermaßen Zugang zu dieser Plattform bekommen – über standardisierte Schnittstellen, mit voller Datenkontrolle und DSGVO-Konformität.
Strategische Ziele: Souveränität und Innovation
Ein zentrales Motiv der Initiative ist die digitale Souveränität Europas. In vielen Schlüsseltechnologien, insbesondere bei generativen KI-Modellen, dominieren derzeit US-amerikanische und chinesische Anbieter wie OpenAI, Google (Gemini), Meta (LLaMA) oder Baidu. Europäische Unternehmen stehen vor dem Problem, sensiblen Datenverkehr über außereuropäische Plattformen zu leiten – ein Risiko für Datenschutz, Wettbewerbsfähigkeit und strategische Unabhängigkeit.
Genau hier setzt die KI-Gigafactory an: Sie soll europäische Unternehmen in die Lage versetzen, eigene Modelle auf sicherer Infrastruktur zu entwickeln – mit offenen Standards, transparenten Trainingsdaten und auditierbaren Ergebnissen.
Die Finanzierung erfolgt zunächst durch die Partnerunternehmen selbst. Gleichzeitig wird ein Beitrag zur europäischen Cloud- und Rechentechnik-Landschaft geleistet, die durch Projekte wie Gaia-X oder IPCEI (Important Projects of Common European Interest) strukturell vorbereitet wurde.
Aktuelle Zahlen und Marktpotenzial
Der KI-Markt in Europa steht an der Schwelle zu einem massiven Wachstum: Laut einer McKinsey-Studie aus 2024 könnte KI bis 2030 zwischen 2,6 und 4,1 Billionen Euro zur europäischen Wirtschaftsleistung beitragen. Deutschland allein könnte durch den produktiven Einsatz von KI über 600 Milliarden Euro Mehrwert generieren (Quelle: McKinsey, „The economic potential of generative AI in Europe“, Juni 2024).
Gleichzeitig wuchs der europäische KI-Infrastrukturmarkt laut Statista im Jahr 2023 um 42 % im Vergleich zum Vorjahr. Besonders gefragt sind datenschutzkonforme Cloudlösungen, dedizierte Rechenzentren für maschinelles Lernen und Energieeffizienztechnologien zur Minimierung des CO2-Fußabdrucks bei Hochleistungsrechnern.
Die KI-Gigafactory trifft also einen Nerv – sowohl technologisch als auch geopolitisch.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Der Aufbau der KI-Gigafactory erfolgt in modularen Phasen. Im Zentrum steht ein Rechenzentrum der Schwarz Gruppe, betrieben durch Stackit, das bereits heute mehrere zehntausend GPU-Kerne umfasst. SAP stellt anwendungsnahe Plattformdienste bereit, mit denen sich KI-Modelle in Geschäftsprozesse integrieren lassen. Telekom liefert Netzanbindung, Sicherheitsarchitekturen und orchestriert den Betrieb über ihre Open Telekom Cloud.
Zusätzlich fließen Open-Source-Initiativen wie Aleph Alpha oder Mistral AI in die Plattform ein. Die Entwicklung eigener LLMs „made in Germany“, wie das openGPT-X-Projekt unter Leitung des Fraunhofer IAIS, wird so operativ unterstützt.
Besonders relevant ist der Fokus auf Interoperabilität: Die Partner setzen auf offene APIs, Nachhaltigkeitszertifizierungen und Multi-Cloud-Kompatibilität. Unternehmen können eigene Modelle auf der Plattform hosten oder vortrainierte Modelle nutzen und anpassen – ohne langfristige Anbieterbindung.
Praxisnahe Anwendungsbeispiele
Die Integration der KI-Gigafactory könnte zahlreiche Branchen nachhaltig verändern:
- Industrie 4.0: Optimierung von Produktionsketten, Predictive Maintenance und adaptive Fertigungssteuerung durch KI-Modelle direkt in der Cloud.
- Gesundheitswesen: KI-Modelle zur Mustererkennung in Patientendaten, medizinische Assistenzsysteme und automatisierte Bilddiagnostik mit DSGVO-konformer Datenverarbeitung.
- Handel und Logistik: Nachfrageprognosen, Preisoptimierung, Warenverfügbarkeit und Retourenmanagement mit Echtzeit-KI.
Ein praktisches Beispiel: Ein mittelständischer Maschinenbauer kann künftig ein eigenes Sprachmodell trainieren, das Montageanleitungen, Wartungstipps und Sicherheitsunterweisungen kombiniert – alles auf Basis seiner eigenen technischen Dokumentation, vollautomatisiert und auf Stackit gehostet.
Herausforderungen und offene Fragen
Trotz aller Chancen steht das Projekt vor erheblichen Hürden: Die Skalierung der Rechenzentren braucht enorme Investitionen – nicht nur in Hardware, sondern auch in Fachkräfte, Stromversorgung und Nachhaltigkeit. Eine weitere Herausforderung liegt im ethischen und rechtlichen Rahmen: Wer haftet bei Fehlentscheidungen von KI-Systemen? Wie transparent müssen Datensätze sein? Wie werden Deepfake-Risiken und algorithmische Diskriminierung reduziert?
Hier ist zukunftsorientierte Regulierung gefragt. Die kommende EU AI Act-Regulierung (ab Inkrafttreten voraussichtlich 2025) schreibt Sicherheitsprüfungen, Risikoanalysen und Audit-Pflichten für bestimmte KI-Anwendungen vor. Die Gigafactory will als Referenzplattform zeigen, wie gesetzliche Vorgaben technisch effizient umgesetzt werden können.
Zukunft der industriellen KI-Kollaboration
Der Erfolg der KI-Gigafactory wird maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, eine Community aus Anwendern, Entwicklern und öffentlichem Sektor zu etablieren. Europa muss beweisen, dass es mehr ist als ein Datenlieferant für internationale Konzerne. Die Schaffung gemeinsamer Standards in Training, Modellaustausch und Auditierung ist das nächste Etappenziel.
Empfehlungen für IT-Entscheider und CIOs
- Jetzt prüfen, ob Ihr Unternehmen sensible KI-Anwendungen auf nicht-europäischen Clouds betreibt – und Alternativen in Betracht ziehen, die DSGVO- und AI Act-konform sind.
- Partnerschaften mit europäischen Anbietern suchen, die Zugang zu Plattformen wie der KI-Gigafactory bieten – etwa über SAP-Ökosysteme oder Telekom-Cloud-Plattformen.
- Know-how in KI-Infrastrukturtechnologie gezielt ausbauen: Schulungen in Prompt Engineering, Datenannotation und Modellvalidierung werden entscheidend.
Fazit: Eine Blaupause für Europas KI-Zukunft?
Die KI-Gigafactory ist weit mehr als ein Symbolprojekt – sie ist ein konkreter Versuch, den Rückstand Europas in zentralen KI-Technologien aufzuholen und gleichzeitig ein Modell für vertrauenswürdige, industrielle Zusammenarbeit zu liefern. Wenn es gelingt, Innovation, Datenschutz und Marktwirtschaft auf dieser Plattform zu vereinen, könnte daraus ein echter Wettbewerbsvorteil für europäische Unternehmen entstehen.
Wie sehen Sie die Entwicklung: Ist Europas Weg in die KI-Zukunft souverän gestaltbar – oder verpufft die Gigafactory-Initiative im globalen Wettbewerb? Diskutieren Sie mit unserer Community und lassen Sie uns Technologien von morgen gemeinsam gestalten.




