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FI-Schalter oder Gefährdungsbeurteilung? Aktuelle Debatte in der Datacenter-Sicherheit

Ein lichtdurchfluteter Serverraum mit glänzenden, modernen Rechenzentren-Racks, in dem ein Elektrotechniker in sicherer Schutzkleidung konzentriert eine professionelle Gefährdungsbeurteilung durchführt – warmes Tageslicht fällt durch große Fenster und schafft eine freundliche, vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre.

In Rechenzentren ist der Schutz von Mensch und Maschine nicht nur Gesetz, sondern geschäftskritisch. Doch wie dieses Sicherheitsniveau erreicht wird, ist aktuell Gegenstand intensiver Diskussionen. Muss jeder Stromkreis im Datacenter mit einem FI-Schalter gesichert sein – oder reicht auch eine fundierte Gefährdungsbeurteilung aus?

FI-Schalter: Historisch erprobte Schutzmaßnahme

Fehlerstrom-Schutzschalter (FI-Schalter, offiziell RCD – Residual Current Device) sind bewährte elektrische Schutzsysteme, die im Falle eines Isolationsfehlers oder eines Stromflusses über den menschlichen Körper sehr schnell den Stromkreis unterbrechen. Damit verhindern sie schwere Elektrounfälle. In Privathaushalten sind sie längst Standard; im gewerblichen Umfeld – insbesondere in Hochverfügbarkeitsumgebungen wie Rechenzentren – werden sie jedoch differenzierter betrachtet.

Für viele Jahre war die Installation von FI-Schaltern ein unstrittiger Industriestandard. Sie bieten vor allem im Niederspannungsbereich (<1.000 Volt) einen zuverlässigen Schutz gegen Körperströme, die tödlich wirken können. Doch der Einsatz in komplexen IT-Infrastrukturen wie Rechenzentren ist nicht ohne Herausforderungen. Hier können hohe Einschaltströme, kapazitive Ableitströme oder EMV-Einflüsse zu Fehl-Auslösungen führen – mit potenziell fatalen Folgen für Betriebsstabilität und Datenverfügbarkeit.

Vor diesem Hintergrund stellen sich viele Betreiber die Frage: Muss jeder Stromkreis zwingend mit einem FI-Schalter abgesichert sein oder kann unter bestimmten Bedingungen auch darauf verzichtet werden – etwa durch eine sorgfältige Gefährdungsbeurteilung?

Rechtlicher Rahmen: Was fordert die Betriebssicherheitsverordnung?

Die zentrale gesetzliche Grundlage bildet in Deutschland die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Sie verpflichtet Arbeitgeber dazu, Gefährdungen beim Betrieb von Arbeitsmitteln zu beurteilen und geeignete Schutzmaßnahmen umzusetzen. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein.

In konkreten Anwendungsfällen verweist die BetrSichV auf die Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS), insbesondere die TRBS 2131-2 für elektrische Gefährdungen. Sie schreibt klar, dass der Einsatz von Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen zum Schutz gegen elektrischen Schlag erforderlich ist – es sei denn, eine alternative Maßnahme erreicht mindestens das gleiche Schutzniveau. Und genau hier setzt die Diskussion über Gefährdungsbeurteilungen an.

Gefährdungsbeurteilung als Alternative: Theorie und Praxis

Im Kern erlaubt es die BetrSichV also, auf die Installation von FI-Schaltern zu verzichten – sofern eine Gefährdungsbeurteilung belegt, dass andere Maßnahmen den Schutz ebenfalls gewährleisten. Solche Maßnahmen können etwa sein:

  • Ein stark ausgebautes Erdungssystem (Potentialausgleich)
  • Trennung von Schutzkleinspannungen
  • Schutz durch doppelte Isolierung bestimmter Betriebsmittel
  • Organisatorische Maßnahmen wie geschultes Fachpersonal, Zugangskontrollen und Wartungsintervalle

Doch wie gestaltet sich das in der Praxis? Laut einer 2022 veröffentlichten Umfrage des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) hatten nur 42 % der Rechenzentrumsbetreiber in Deutschland eine vollständige Gefährdungsbeurteilung nach BetrSichV vorliegen (BITMi: Branchentrends Sicherheit in der Digitalisierung 2022).

Die Gründe: Die Erstellung ist arbeitsintensiv, dokumentationspflichtig und setzt tiefes elektrotechnisches Verständnis voraus. Zudem besteht Unsicherheit, ob die Behörden eine solche Beurteilung im Schadensfall auch anerkennen. Denn: Die Haftung bleibt in jedem Fall beim Arbeitgeber bzw. Betreiber.

Expertenmeinungen: Zwischen Rechtssicherheit und Praxisnähe

Dr. Martin Haak, Sachverständiger für Elektrosicherheit und Mitglied im Normungsgremium DKE/K 221, weist in einem Fachbeitrag der Elektromarkt-Zeitung (2023) darauf hin: „FI-Schalter sind keine Pauschallösung, gerade nicht in Anlagen mit hoher technischer Komplexität wie Rechenzentren. Entscheidend ist daher nicht das einzelne technische Mittel, sondern das Gesamtkonzept aus technischer und organisatorischer Sicherheit.“

Diese Einschätzung teilt auch die TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, die Gefährdungsbeurteilungen im Auftrag großer IT-Dienstleister durchführt. In einer Stellungnahme vom April 2024 betont das Prüfunternehmen: „Unsere Erfahrungen zeigen, dass individuell erstellte Gefährdungsbeurteilungen mit dokumentierten Ersatzmaßnahmen oft eine höhere Betriebssicherheit gewährleisten als ein schematischer Rückgriff auf Standardschutzgeräte wie FI-Schalter – gerade in EMC-kritischen Umgebungen.“

Praxisbeispiele: So gehen Betreiber mit der Herausforderung um

Ein konkretes Beispiel liefert das Rechenzentrum der Stadtwerke München (SWM), das Anfang 2023 grundlegend modernisiert wurde. Projektverantwortlicher Peter Bruckner erklärt im Gespräch mit unserem Magazin: „Die FI-Schalter haben wir gezielt nur in Bereichen mit Personenzugriff installiert. Für alle anderen kritischen Strompfade haben wir eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchgeführt, ergänzt durch organisatorische Sicherheitsmaßnahmen und sensorbasierte Überwachung von Leckströmen. Die Abnahme durch die BG ETEM lief problemlos.“

Auch die noris network AG hat sich schon früh für diesen Ansatz entschieden. In einer Projektstudie von 2021 legt das Unternehmen dar, wie durch die Kombination aus verstärkter Isolierung, geschultem Servicepersonal und redundanten Überwachungsmaßnahmen eine Schutzwirkung erzielt wurde, die über die reine Funktion eines RCD hinausgeht. „Es ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch im Sinne des Schutzgedankens“, heißt es aus der Technikabteilung.

Statistische Einordnung: Praktiken und Entwicklungen am Markt

Laut einer Markterhebung von DataCenter Insider und eco Verband (2024) verzichten inzwischen rund 36 % der hochverfügbaren Rechenzentren in der DACH-Region ganz oder teilweise auf RCDs zugunsten individuell ermittelter Schutzmaßnahmen via Gefährdungsbeurteilung. Dabei zeigt sich ein Trend: Vor allem Betreiber mit eigenen Fachabteilungen für Elektrotechnik oder mit TÜV-zertifizierten Sicherheitsprozessen setzen vermehrt auf diesen Weg.

Gleichzeitig warnt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) in ihrer Unfallstatistik 2023 davor, elektrische Stromunfälle weiter zu unterschätzen: 584 meldepflichtige Stromunfälle mit 7 Todesfällen wurden im Vorjahr registriert (Quelle: DGUV, Jahresstatistik 2023). Diese Zahlen machen deutlich: Die Risiken sind real und erfordern sorgfältig geprüfte Schutzsysteme – gleich welcher Art.

Handlungsempfehlungen für Rechenzentrumsbetreiber

  • Gefährdungsbeurteilung professionell erstellen lassen: Nutzen Sie die Expertise unabhängiger Prüfstellen wie TÜV, DEKRA oder zertifizierter Elektrofachplaner, um eine rechts- und auditkonforme Beurteilung zu erhalten.
  • Maßnahmen ganzheitlich denken: Kombinieren Sie – wo sinnvoll – technische und organisatorische Schutzkonzepte. Schulungen, Notfallpläne und Zugriffskontrollen sind ebenso wichtig wie physikalische Schutzmaßnahmen.
  • Dokumentation und Prüfzyklen etablieren: Halten Sie alle getroffenen Maßnahmen nachvollziehbar in Betriebs- und Wartungsdokumentationen fest. Führen Sie regelmäßige Wiederholungsprüfungen und Aktualisierungen Ihrer Gefährdungsbeurteilung durch.

Fazit: Schutzwirkung statt Schema F

Die Debatte um FI-Schalter versus Gefährdungsbeurteilung ist nicht bloß eine technische Detailfrage, sondern berührt zentrale Fragen der Verantwortung, des Technologieeinsatzes und der unternehmerischen Risikosteuerung. Es wird deutlich: Die individuellen Gegebenheiten eines Rechenzentrums sollten stets über starre Schutzdogmen gestellt werden.

Wer Sicherheit strategisch denkt, wird künftig auf fundierte Gefährdungsbeurteilungen nicht verzichten können – ganz gleich, ob ergänzend zu FI-Schaltern oder als zentrale Säule einer integralen Sicherheitsarchitektur.

Wie lösen Sie die Herausforderung in Ihrem Rechenzentrum? Teilen Sie Ihre Erfahrungen, Meinungen oder Fragen in den Kommentaren – die Community profitiert von jedem praktischen Einblick.

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