Die nächste Generation von Hyperscale-Rechenzentren muss sich mehr als je zuvor an den wachsenden Anforderungen von KI-Arbeitslasten messen lassen. Um dem steigenden Energiebedarf und den thermischen Herausforderungen zu begegnen, setzen Siemens und Nvent auf eine revolutionäre Referenzarchitektur. Diese kombiniert flüssige Direktkühlung mit modularen, hocheffizienten Energieversorgungssystemen – und könnte damit zum neuen Industriestandard avancieren.
Die Herausforderung: Künstliche Intelligenz verändert thermische und elektrische Anforderungen
Mit der rasant steigenden Verbreitung von KI-Anwendungen wachsen auch die Anforderungen an Rechenzentren in bisher ungekanntem Ausmaß. Hochleistungs-GPUs wie Nvidias H100 oder AMDs MI300X verarbeiten Petaflops an Daten und erzeugen dabei enorme Verlustwärme. Klassische luftbasierte Kühlsysteme stoßen hier schnell an thermische Grenzen.
Laut der International Energy Agency (IEA) könnten Rechenzentren weltweit bereits 2026 bis zu 1.000 TWh Strom pro Jahr verbrauchen – ein Anstieg von mehr als 60 % gegenüber 2022 (IEA, 2024). Besonders GPU-lastige Workloads wie generative KI oder maschinelles Lernen treiben diesen Trend. Gleichzeitig steigt der Druck, energieeffizienter und nachhaltiger zu wirtschaften.
Die Antwort: Eine modulare Referenzarchitektur von Siemens und Nvent
Genau hier setzt die neue gemeinsame Lösung von Siemens und Nvent an. Mit ihrer jüngst vorgestellten Referenzarchitektur adressieren beide Unternehmen speziell den Hochleistungsbedarf von KI-Rechenzentren im Hyperscale-Format. Das Konzept vereint mehrere technologische Komponenten in einem integrierten System:
- Direktflüssigkühlung: Nvent Icepak-Technologie zur Kühlung von Hochleistungs-Chips mit geringerem Energieverbrauch als Luftkühlung.
- Modulare Stromverteilung: Siemens‘ Sivacon S8 Stromverteilersystem ermöglicht intelligente Energieüberwachung und flexible Skalierbarkeit.
- Digitale Zwillinge: Über Siemens‘ Industrial Edge Plattform lassen sich thermische und elektrische Simulationen in Echtzeit auswerten.
Dieses Zusammenspiel ermöglicht es, Dichte und Leistung von Rechenzentren deutlich zu steigern, ohne dabei die thermische oder energetische Belastungsgrenze zu überschreiten.
Flüssigkühlung: Warum Luft nicht mehr ausreicht
Die thermischen Leistungsdichten moderner High-End-Chips wie jene von Nvidia oder Intel übersteigen mittlerweile 1.000 W pro Einheit – Tendenz steigend. Luftkühlung mit herkömmlichen Klimageräten reicht daher in vielen Fällen nicht mehr aus, um Hotspots zu verhindern oder überhitzte Komponenten auszuschließen.
Flüssigkühlung bietet hier signifikante Vorteile. Im Unterschied zur Luftkühlung kann Flüssigkeit die Wärme fast 3.500-mal effizienter aufnehmen. Nvent setzt auf sogenannte Cold Plate-Lösungen, bei denen direkt auf dem Prozessor montierte Kühlplatten die Verlustwärme abführen. Dies reduziert nicht nur den Energiebedarf für die Kühlung (PUE), sondern verlängert nachweislich die Lebensdauer der Hardware.
Ein zusätzlicher Pluspunkt: Flüssigkühlung trägt zur Verringerung der Flächenkosten bei. Verdichtete Racks mit bis zu 100 kW sind möglich, während luftgekühlte Umgebungen typischerweise bei 15–30 kW pro Rack enden.
Effiziente Stromversorgung: Der unsichtbare Rückhalt
Neben der Wärmelast ist auch die Stromzufuhr ein kritischer Punkt bei KI-basierten Workloads. Cluster aus GPUs und Speicher benötigen enorme Energiemengen – punktuell bis zu mehreren Megawatt. Bisherige Entwicklungen setzten stark auf zentrale Strominfrastrukturen. Die modulare Lösung von Siemens geht hier einen anderen Weg: Sie erlaubt granulare, racknahe Stromverteilung mit integrierter Energiemessung auf Phasenebene.
Das erlaubt Betreibern nicht nur eine präzisere Überwachung von Leistungsverbräuchen, sondern auch eine einfachere Erweiterung bestehender Strukturen. Angesichts der Tatsache, dass der durchschnittliche Energieverbrauch eines Hyperscale-Rechenzentrums laut Uptime Institute mittlerweile bei über 400 MW liegt (Uptime Institute Global Data Center Survey 2023), ist dieser Ansatz ein entscheidender Faktor für Zukunftsfähigkeit und ESG-Compliance.
Praxisbeispiel: Pilotinstallation in Nordamerika
Eine frühe Implementierung der Siemens/Nvent-Referenzarchitektur wurde kürzlich in einem nordamerikanischen Hyperscale-Rechenzentrum umgesetzt. Dabei konnte die durchschnittliche Rack-Dichte von 30 auf 80 kW gesteigert und gleichzeitig die Cooling-PUE um 28 % gesenkt werden. Das geplante Rollout auf andere Standorte ist bereits im Gange.
Die Betreiber berichten insbesondere über geringere Wartungskosten, mehr Flexibilität bei Stromanforderungen und eine spürbar bessere Steuerbarkeit der thermischen Lasten. Auch der Netzausgleich konnte durch die Lastverlagerung über intelligente Strommanagementsysteme verbessert werden.
Branchenentwicklung: Weg von der Luft, hin zur Flüssigkeit
Die Entwicklung von Flüssigkühlung ist nicht nur ein Nischenphänomen. Laut einer Studie von Omdia geben 2025 voraussichtlich über 40 % aller Hyperscale-Betreiber an, zumindest teilweise Flüssigkühlung einzusetzen. Noch 2020 lag dieser Wert bei 2 %. Neben Meta, Google und Microsoft investiert aktuell auch Amazon Web Services signifikant in eigene Flüssigkühlungstechnologien.
Diese Dynamik wird unter anderem durch regulatorische Förderungen vorangetrieben. In Deutschland etwa unterstützt die Bundesförderung für effiziente Wärmenutzung (BEW) gezielt Projekte, die nachhaltige Kühltechnologien in Rechenzentren pilotieren.
Handlungsleitfaden für Betreiber von Hyperscale- und Colocation-Rechenzentren
Um von der neuen Referenzarchitektur und aktuellen Branchentrends zu profitieren, sollten Betreiber folgende Maßnahmen in Erwägung ziehen:
- Thermische Simulationen durchführen: Vor der Integration neuer KI-Cluster sollten digitale Zwillinge erstellt werden, um Kühl- und Stromanforderungen genau zu modellieren.
- Hybridkühlstrategien evaluieren: Ein Mix aus Flüssig- und Luftkühlung kann bei heterogenen Workloads möglichst effiziente Bedingungen schaffen.
- Modulare Stromverteilung implementieren: Flexiblere Stromverteilungssysteme wie S8 erhöhen Skalierbarkeit und ermöglichen schnellere Reaktionszeiten bei Änderung der Lastverteilung.
Fazit: Paradigmenwechsel für KI-Infrastrukturen
Die Kombination aus Flüssigkühlung und modularer Energieverteilung markiert einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der Planung und dem Betrieb leistungsfähiger KI-Rechenzentren. Die von Siemens und Nvent vorgeschlagene Architektur schafft es, industrielle Robustheit mit zukunftsweisender Energieeffizienz zu verknüpfen – ein Rezept, das angesichts der Prognosen zum Wachstum von KI-Arbeitslasten hochrelevant ist.
Wer jetzt in flexible, skalierbare und nachhaltige Infrastrukturen investiert, verschafft sich langfristige Vorteile am Marktplatz der Rechenleistung. Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit Flüssigkühlung oder modularer Stromverteilung gemacht? Diskutieren Sie mit unserer Community in den Kommentaren!




