Obwohl klassische Virenscanner seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle im Kampf gegen Malware spielen, geraten sie zunehmend unter Druck. Neue Cyber-Bedrohungen agieren intelligenter, komplexer und oft unbemerkt – sind herkömmliche Antivirenlösungen damit überfordert?
Die Evolution der Bedrohungslage
Moderne Schadsoftware hat sich in den vergangenen Jahren massiv weiterentwickelt. Neben bekannten Formen wie Ransomware oder Banking-Trojanern treten heute Advanced Persistent Threats (APT), dateilose Angriffe und polymorphe Malware immer stärker in den Vordergrund. Besonders beunruhigend: Cyberkriminelle nutzen zunehmend KI-Technologien, um Schadcode an Erkennungssystemen vorbei zu schleusen.
Ein aktuelles Beispiel ist ein Android-Trojaner, den Sicherheitsforscher von ThreatFabric Anfang 2025 enttarnten. Die neue Malware mit dem Codenamen „Broxy“ tarnt sich als legitime Systemanwendung, kann Push-Nachrichten abfangen, Session-Cookies stehlen und wird scheinbar per Phishing-Kampagnen über manipulierte App-Stores verbreitet. Auffällig: Viele gängige Antiviren-Apps für Android erkannten die Bedrohung nicht oder zu spät.
Solche Entwicklungen verdeutlichen, dass klassische Virenscanner häufig reaktiv agieren – sie erkennen Gefahren erst, nachdem eine Signatur erstellt wurde. Doch moderne Malware-Varianten verändern sich permanent, wodurch signaturbasierte Erkennung an Effektivität verliert.
Wie funktionieren heutige Virenscanner?
Hersteller von Antivirenlösungen setzen längst nicht mehr nur auf Signaturen. Ergänzend kommen heuristische Verfahren, Verhaltensanalysen, Cloud-Scanning und Sandboxing zum Einsatz. Laut einer Marktstudie von AV-TEST (2025) identifizieren sogenannte Next-Gen-Virenscanner bis zu 98,1 % bekannter Malware-Bedrohungen im Labormodus. Doch realitätsnahe Tests zeigen eine deutlich höhere Fehlerrate im echten Netzbetrieb – insbesondere bei Zero-Day-Exploits oder dateilosen Angriffen.
Ein weiterer Schwachpunkt: Die meisten Virenscanner benötigen tiefgehenden Systemzugriff. Das erhöht nicht nur das Risiko, selbst Ziel von Angriffen zu werden, sondern auch die Angriffsfläche für Privatsphäreverletzungen. Immer wieder sorgten Datenpannen und unzureichende Verschlüsselung bei Antivirus-Herstellern für Schlagzeilen.
Neue Technologien gegen neue Bedrohungen
Die Zukunft der Endpoint-Sicherheit liegt nicht mehr allein in klassischen Virenscannern. Vielmehr setzen Sicherheitsunternehmen auf KI-basierte Erkennungsmethoden, verhaltensbasierte Analyseplattformen und Zero-Trust-Architekturen.
So hat beispielsweise CrowdStrike im Juni 2025 sein Falcon-Modul um ein Enhanced Behavioral AI Framework erweitert, mit dem Angriffe auch ohne bisher bekannte Merkmale identifiziert werden können. Auch Microsoft treibt mit Defender for Endpoint seine Entwicklung in Richtung XDR (Extended Detection and Response) konsequent voran.
Ein aufsehenerregender Vergleich von MITRE Engenuity (2024) zwischen verschiedenen Endpoint Detection and Response (EDR)-Lösungen zeigte: Plattformen mit starker KI-Unterstützung wiesen eine um bis zu 36 % höhere Detektionsrate bei unbekannter Malware auf als herkömmliche Virenscanner.
Vor allem Unternehmen setzen zunehmend auf diese fortschrittlichen Tools: Laut einer IDC-Studie von April 2025 planen 62 % aller befragten IT-Sicherheitsabteilungen mittelständischer Firmen, traditionelle Antivirenlösungen bis spätestens 2027 vollständig durch EDR- oder XDR-Plattformen zu ersetzen.
Alternative Schutzmaßnahmen für Endnutzer
Für Privatanwender stellt sich die Frage: Was kann ich jenseits von Virenscannern tun, um mich sicher im Netz zu bewegen? Denn auch wenn Antivirenlösungen als Basisschutz weiterhin sinnvoll bleiben – ein ganzheitlicher Ansatz ist entscheidend.
- Regelmäßige Software-Updates: Sicherheitslücken in Betriebssystemen und Apps gehören zu den häufigsten Angriffsvektoren. Automatische Updates sollten aktiviert sein.
- Multi-Faktor-Authentifizierung nutzen: Wo immer möglich, sollte MFA aktiviert werden – besonders bei E-Mail-Konten, Cloud-Diensten und Online-Banking.
- Sensibilisierung und Schulung: Das größte Sicherheitsrisiko bleibt der Mensch. Phishing-Aufklärung und kritisches Denken beim Downloaden unbekannter Dateien sind essenziell.
Daneben gewinnen Hardening-Strategien wieder an Bedeutung – etwa durch die gezielte Deaktivierung unnötiger Systemdienste oder den Einsatz eingeschränkter Benutzerkonten. Auch netzwerkseitiger Schutz, z. B. durch DNS-Filter wie NextDNS oder Pi-hole, bietet eine zusätzliche Sicherheitsschicht speziell gegen Tracking und Malware-Hosts.
IT-Security-Experten betonen zudem die Wichtigkeit eines zuverlässigen Backups: Datenverlust durch Ransomware lässt sich nur durch regelmäßige, offline gespeicherte Backups ernsthaft vermeiden.
Was sagen die Experten?
Wir haben mit mehreren IT-Sicherheitsexperten über die Rolle von Virenscannern in der heutigen Bedrohungslage gesprochen. Dr. Annika Richter, Sicherheitsarchitektin bei G DATA, betont: „Virenscanner bleiben ein wichtiges Element der Schutzkette – aber sie dürfen kein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Nur in Verbindung mit Netzwerkschutz, Nutzerverhalten und Monitoring ist echter Schutz möglich.“
Auch Prof. Tobias Hahn, Leiter des Instituts für IT-Sicherheit der Technischen Hochschule Aachen, sieht die Grenzen klassischer AV-Lösungen: „Die Fähigkeit zur Frühidentifikation neuer Angriffsmuster entscheidet – und das schaffen nur KI-gestützte Systeme mit Zugriff auf globale Threat-Intelligence-Daten.“
Das bedeutet im Umkehrschluss: Privatanwender sollten prüfen, ob ihre Sicherheitslösungen bereits moderne Erkennungstechniken integrieren – und gegebenenfalls auf Alternativen wie Emsisoft, Bitdefender oder Malwarebytes mit zusätzlicher Verhaltensanalyse umsteigen.
Ist das Ende klassischer Antivirenlösungen nahe?
Trotz aller Kritik: Totgesagte leben länger. Zwar geraten klassische Antivirus-Programme zunehmend unter Druck, doch sie bilden weiterhin eine wichtige Verteidigungslinie – insbesondere gegen Massenangriffe und bekannte Gefahren.
Dennoch sollten sowohl Unternehmen als auch Privatanwender ihre Strategie überdenken und auf intelligente, adaptive Verteidigungstechnologien setzen. Die Zeiten, in denen ein einzelner Virenscanner als Allheilmittel galt, sind endgültig vorbei.
Laut Check Point Research nahm die Zahl der dateilosen Angriffe von Januar bis Oktober 2025 im Vergleich zum Vorjahr um 27 % zu – ein deutliches Indiz dafür, dass Erkennung und Abwehr künftig neu gedacht werden müssen.
Fazit: Kombinierter Schutz ist der Schlüssel
Die Bedrohungslage verändert sich dynamisch – und mit ihr die Anforderungen an gute IT-Sicherheit. Herkömmliche Virenscanner leisten weiterhin einen Beitrag, sind aber längst nicht mehr ausreichend. Nur durch ein vernetztes Zusammenspiel aus Verhaltenserkennung, Zero-Trust-Prinzipien und Nutzerbewusstsein entsteht echter Schutz gegen moderne Angriffe.
Welche Security-Tools nutzt ihr aktuell – klassisch oder Next-Gen? Teilt eure Erfahrungen und Empfehlungen mit unserer Community in den Kommentaren!




