Quantencomputer versprechen einen revolutionären Wandel in der Welt der Informationstechnologie. Der Begriff „Quantum Advantage“ steht im Zentrum dieses Wandels – doch was genau steckt hinter diesem Konzept, und wie nah sind wir tatsächlich dran? In diesem Artikel geben wir einen Einblick in den Stand der Technik, analysieren den Fortschritt führender Unternehmen und diskutieren die realen Anwendungen jenseits des Hypes.
Was ist Quantum Advantage?
„Quantum Advantage“ (zu Deutsch etwa „Quantenüberlegenheit“ oder „Quanten-Vorteil“) bezeichnet den Punkt, an dem ein Quantencomputer in der Lage ist, eine spezifische Aufgabe deutlich effizienter zu lösen als der leistungsstärkste klassische Computer. Dies kann entweder in Form von deutlich geringeren Laufzeiten, erheblich reduzierten Ressourcen oder mit besserer Genauigkeit geschehen.
Ein oft damit verwechselter Begriff ist die „Quantum Supremacy“, die Google im Jahr 2019 mit seinem 53-Qubit-Prozessor Sycamore beanspruchte. Damals berechnete Sycamore eine zufällig generierte Matrix in 200 Sekunden – eine Leistung, die ein klassischer Supercomputer in rund 10.000 Jahren erreichen würde, so Google. Kritiker – darunter IBM – widersprachen dieser Einschätzung allerdings deutlich, weil der Vergleich nicht unter fairen Bedingungen erfolgt sei.
Warum ist Quantum Advantage so bedeutsam?
Die Bedeutung des Quantum Advantage liegt weniger in theoretischen Fähigkeiten als in der praktischen Nutzbarkeit. Sobald Quantencomputer reale Probleme – etwa in der Materialforschung, Logistik oder Kryptografie – besser lösen können als klassische Systeme, verändert sich das gesamte Innovationsökosystem. Dies betrifft unter anderem:
- Pharmaforschung: Molekulare Simulationen neuer Wirkstoffe würden massiv beschleunigt.
- Finanzmodelle: Komplexe Optimierungsprobleme wie Portfoliomanagement oder Risikomodellierung könnten effizienter abgebildet werden.
- Maschinelles Lernen: Quantenmethoden versprechen eine alternative Herangehensweise an neuronale Netzwerke und große Datenräume.
Laut einer Analyse von McKinsey (2024) könnten Unternehmen, die frühzeitig in Quantenlösungen investieren, bis 2035 einen wirtschaftlichen Mehrwert von bis zu 1,3 Billionen US-Dollar heben.
Der Wettlauf um die Quantenüberlegenheit – Wo steht die Industrie heute?
Derzeit konkurrieren Technologieunternehmen, Forschungsinstitute und Start-ups weltweit um den ersten echten Quantum Advantage bei praktischen Anwendungsfällen. Führend sind vor allem IBM, Google, die University of Science and Technology of China (USTC), das kanadische Unternehmen Xanadu und diverse europäische Programme.
IBM veröffentlichte im November 2023 seine Quantum-Roadmap mit dem Ziel, bis 2025 einen Quantenprozessor mit mehr als 10.000 Qubits auf Grundlage des modularen Ansatzes „Quantum System Two“ zu entwickeln. Zudem präsentierte IBM im Mai 2023 erste Demonstrationen des „quantum utility“ – ein Vorläufer des Quantum Advantage, bei dem Quantencomputer einen klaren Nutzen bei realistischen Aufgaben zeigen, wie beispielsweise Differenzengleichungen und Fehlerkorrekturverfahren.
Ein weiterer Meilenstein: Im Mai 2023 veröffentlichte IBM in Nature zusammen mit der University of California eine Studie, in der ein Quantencomputer eine komplexe Dynamik in Quantensystemen simulierte – schneller und genauer als ein klassischer Computer. Dies war einer der bisher deutlichsten Schritte in Richtung praktikabler Quantum Advantage.
Google hingegen verfolgt mit seinem Quantenchip „Sycamore 2“ eine skalierte Entwicklung. Ziel ist ein deutlich fehlerresistenteres System mit niedriger Verlustleistung. Jüngste Updates aus dem Google Quantum AI-Labor deuten darauf hin, dass bei bestimmten Suchalgorithmen wie Grover’s Algorithm bereits erste Vorteile erkennbar sind – allerdings in eng begrenzten Anwendungsfeldern.
Laut dem „Quantum Computing Industry Report 2024“ von The Quantum Insider investieren derzeit mehr als 780 Unternehmen weltweit in Quantencomputing-Lösungen. Der Sektor verzeichnet für das Jahr 2024 ein weltweites Investitionsvolumen von rund 2,4 Milliarden US-Dollar (Quelle: McKinsey, BCG, TQI).
Reale Anwendungen statt Science Fiction
Die Anwendungsmöglichkeiten von Quantencomputing reichen von Klassikern wie der Faktorisierung großer Zahlen bis hin zu disruptiven Neuerungen:
- Materialwissenschaft: Mit Hilfe von Quantencomputern lassen sich beispielsweise supraleitende Materialien simulieren, die den heutigen Modellen weit überlegen sind.
- Supply Chain Optimierung: DHL, Volkswagen und Airbus testen bereits Quantenalgorithmen zur Route-Optimierung und Ressourcenplanung.
- Klimaforschung: Durch Simulation komplexer Klimamodelle wird ein genaues Verständnis von Entwicklungen auf molekularer Ebene möglich.
Ein Beispiel aus der Praxis ist das US-Start-up Zapata Computing, das mit Shell an der Optimierung chemischer Reaktionspfade für nachhaltige Energiegewinnung arbeitet. Auch BASF, BMW und Allianz investieren gezielt in Quantenprojekte über das Quantenkonsortium QUTAC in Deutschland.
Herausforderungen auf dem Weg zum Durchbruch
So groß das Potenzial – so groß sind auch die Hürden. Die entscheidenden technologischen Herausforderungen lassen sich in drei Felder gliedern:
- Fehlerkorrektur: Quantenfehler propagieren exponentiell. Ohne praktikable Fehlerkorrektursysteme bleibt skalierbares Computing unerreichbar.
- Skalierbarkeit: Die Herstellung und Kühlung großer Quantenprozessoren ist extrem aufwendig und kostenintensiv.
- Programmierung: Die Programmiermodelle unterscheiden sich fundamental von klassischen Sprachen – es fehlt an Entwicklertalenten und Werkzeugen.
Ein praktischer Ansatz zur Bewältigung dieser Probleme ist der sogenannte Noise Intermediate-Scale Quantum (NISQ) Ansatz. Dieser zielt darauf ab, mit heutigen, fehleranfälligen Qubit-Systemen möglichst brauchbare Ergebnisse bei ausgewählten Problemlösungen zu liefern. Tools wie PennyLane (Xanadu), Qiskit (IBM) oder Cirq (Google) helfen Entwicklerteams, Quantenalgorithmen konkret zu implementieren.
Die IBM Quantum Development Roadmap (Stand September 2024) zeigt, dass hybride Architekturen – also Klassischer + Quantenprozessor gemeinsam – bereits heute ein wichtiger Zwischenschritt sind. So lassen sich etwa Monte-Carlo-Simulationen teilweise auf Quantenebene beschleunigen.
Wie Unternehmen sich heute vorbereiten können
Auch wenn der praktische Quantum Advantage noch nicht in der Breite erreicht ist, lohnt es sich für Unternehmen, jetzt aktiv zu werden. Folgende Tipps helfen bei der strategischen Vorbereitung:
- Identifizieren Sie Prozesse mit hohem Optimierungspotenzial, wie Logistik, Portfolio-Optimierung oder Simulationen.
- Bilden Sie fachübergreifende Teams aus Data Scientists, Physikern und Softwareentwicklern weiter in offenen Frameworks wie Qiskit oder Braket.
- Nutzen Sie kommerzielle Cloud-Zugänge zu Quantenprozessoren (z. B. via IBM Quantum, D-Wave oder Amazon Braket) für erste Pilotprojekte.
Eine aktuelle Gartner-Umfrage (Q2/2024) zeigte, dass bereits 28 % der befragten Unternehmen erste PoC-Projekte im Quantenbereich evaluieren oder umsetzen – vor allem in den Branchen Pharma, Automotive und Finance.
Wie geht es weiter?
Die Dynamik im Quantencomputing nimmt spürbar zu. Mit zunehmender Rechenleistung, besseren Materialprozessen und intelligenter Fehlerkorrektur rückt das Ziel des Quantum Advantage näher. Einigkeit herrscht in der Fachwelt darüber, dass ein „breiter“ Quanten-Vorteil (d. h. für verschiedene Branchen und Aufgaben) nicht vor Ende dieses Jahrzehnts zu erwarten ist – doch die Weichen stellen sich heute.
Europa setzt über Projekte wie EuroHPC JU oder das Deutsche Zentrum für Quantencomputing (DZQ) gezielte Impulse, um nicht von US- und chinesischen Vorreitern abgehängt zu werden. Die führenden Unternehmen investieren in Education-Programme und Entwicklungsökosysteme, um die Kommerzialisierung vorzubereiten.
Quantum Advantage ist weit mehr als ein Buzzword – es ist ein strategisches Ziel mit potenziell durchschlagender Wirkung für Wissenschaft und Wirtschaft. Wer heute investiert, könnte sich morgen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern.
Wir sind gespannt auf Ihre Meinung: Wie bereiten sich Ihre Organisation oder Ihr Team auf Quantenprozesse vor? Teilen Sie Ihre Perspektiven in unserer Community und diskutieren Sie mit uns die Zukunft der Rechenleistung.




