Fehlerstromschutz ist ein kritischer Bestandteil jeder elektrischen Infrastruktur – insbesondere in Rechenzentren, wo Ausfallzeiten schnell hohe finanzielle Schäden verursachen können. Während Fehlerstromschutzschalter (RCDs) jahrzehntelang als bewährter Standard galten, setzt sich im professionellen Umfeld zunehmend die Fehlerstromüberwachung mittels RCM (Residual Current Monitoring) durch. Warum dieser Wandel Fahrt aufnimmt, wo genau die Vorteile liegen – und welche Herausforderungen Betreiber dabei berücksichtigen sollten – zeigt dieser Fachartikel.
Vom Fehlerstromschutzschalter zur kontinuierlichen Überwachung
Traditionell kommen im Gebäudeschutz sogenannte Fehlerstromschutzschalter (RCDs, umgangssprachlich auch FI-Schalter) zum Einsatz. Diese Geräte erkennen Differenzströme zwischen Außenleitern und dem Neutralleiter und trennen den betroffenen Stromkreis im Fehlerfall innerhalb von Millisekunden. Sie schützen so effektiv vor lebensgefährlichen Stromunfällen – insbesondere bei Isolationsfehlern oder leitfähigem Körperkontakt.
Doch RCDs haben inhärente Schwächen: Sie sind binär – entweder aktiv oder ausgelöst – und bieten keine Möglichkeit, sich entwickelnde Probleme im Vorfeld zu erkennen. In Systemen mit besonders hoher Verfügbarkeitsanforderung, wie in Rechenzentren, Serverräumen oder industriellen Anlagen, kann ein ungeplanter Abschaltvorgang durch eine RCD-Auslösung katastrophale Folgen haben. Hier setzt RCM an.
Was ist RCM und wie funktioniert es?
RCM steht für „Residual Current Monitoring“ – die permanente, präventive Überwachung von Differenzströmen in elektrischen Anlagen. Anstelle eines Auslösens bei Grenzwertüberschreitung registriert das System kontinuierlich auftretende Fehlerströme und zeichnet diese auf. Betreiber erhalten so einen frühzeitigen Hinweis auf sich entwickelnde Störungen oder Isolationsprobleme – lange bevor eine sicherheitsrelevante Schwelle überschritten wird.
Ein RCM-System besteht typischerweise aus einem Differenzstromsensor (z. B. Summenstromwandler) und einer intelligenten Auswerteeinheit. Die erfassten Daten können in übergeordnete Gebäudemanagementsysteme (BMS) oder SCADA-Plattformen integriert werden und bieten so eine zentrale Überwachung aller Abgänge in Echtzeit.
Besonders relevant ist diese Form der Überwachung in IT-Systemen nach DIN VDE 0100-560 und DIN EN 62020-1. Dort ermöglichen RCMs durch kontinuierliche Kontrolle die Erfüllung von Vorgaben zur Anlagenüberwachung und erhöhen gleichzeitig die Betriebssicherheit signifikant – ohne aktive Eingriffe in laufende Systeme.
Warum RCM im Rechenzentrum sinnvoller ist als RCD
Die Anforderungen an Rechenzentren könnten nicht höher sein: Eine Studie von Uptime Institute (2023) zeigt, dass 60 % aller Rechenzentren in den letzten drei Jahren ungeplante Ausfallzeiten verzeichnen mussten. Die durchschnittlichen Kosten pro Minute Ausfallzeit liegen mittlerweile bei über 9.000 Euro (Quelle: Uptime Institute Global Data Center Survey 2023).
Vor diesem Hintergrund sind traditionell mechanisch trennende Schutzschalter wie der RCD problematisch, da sie potenziell auch bei sporadischen Differenzströmen sicherheitsbedingt auslösen – und damit kritische Systeme vom Netz nehmen können. Die Vorteile von RCM treten hier deutlich hervor:
- Proaktive Instandhaltung: Durch Trendanalysen lassen sich sich entwickelnde Isolationsfehler frühzeitig erkennen und beheben.
- Keine Unterbrechung bei Fehlerstrom: Solange die Schwellenwerte nicht sicherheitskritisch sind, wird nicht abgeschaltet – was Hochverfügbarkeitsanforderungen gerecht wird.
- Compliance sichergestellt: RCM-Systeme unterstützen die normgerechte Überwachung nach DIN VDE 0100-600, 0105-100 und ermöglichen dokumentierbare Prüfpflichten.
Ein weiterer Vorteil gegenüber RCD-basierten Lösungen: Fehlerstromtypen wie glatte Gleichfehlerströme (Typ B) werden durch moderne RCM-Geräte ebenfalls erkannt – klassische RCDs müssen hier manuell angepasst oder erweitert werden.
Praxisbeispiele: RCM erfolgreich im Einsatz
Ein praxisnahes Fallbeispiel liefert ein renommierter Colocation-Anbieter mit mehreren Standorten in der DACH-Region. Dort wurde die bisherige Schutztechnik auf ein RCM-basiertes System umgestellt. Innerhalb von sechs Monaten konnten über das Building Management System mehr als 15 potenziell kritische Isolationsfehler proaktiv erkannt und behoben werden – ohne eine einzige Netzauslösung. Nach eigenen Angaben senkte das Unternehmen dadurch die ungeplanten Techniker-Einsätze um 40 %.
Auch bei der Deutschen Bahn kommt RCM-Technologie zum Einsatz: In Bleispeicheranlagen zur Energieversorgung für Stellwerke kommt es mit herkömmlicher Schutztechnik regelmäßig zu Fehlabschaltungen. Durch Umrüstung auf RCM konnten diese Vorfälle laut einer internen Studie um 80 % reduziert werden.
Herausforderungen bei der Implementierung
So vielversprechend RCM klingt – die Umsetzung ist mitunter komplex. Zu den häufigsten Herausforderungen zählen:
- Nachrüstung in Bestandssysteme: Besonders in Altanlagen müssen Schaltschränke und Leitungswege entsprechend vorbereitet oder umgebaut werden.
- Grenzwertdefinition und Alarming: Betreiber müssen sinnvoll differenzierte Schwellwerte definieren – orientiert am Leitungstyp, Verbrauchercharakteristik und Umgebungseinflüssen.
- Datenflut beherrschbar machen: Die Integration in bestehende IT-Lösungen wie DCIM, SCADA oder EMS erfordert leistungsfähige Schnittstellen und ein durchdachtes Alarm-Handling.
Ein häufiger Fehler besteht darin, RCM als reines Überwachungstool ohne tiefergehende Auswertung zu betrachten. Tatsächlich sollte diese Technologie integraler Bestandteil einer vorausschauenden Instandhaltungsstrategie sein.
Trend: Smarte Fehlerstromüberwachung im IoT-Kontext
Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der Verbreitung modularer Datacenter-Architekturen wird auch die Anforderung an vernetzte Monitoring-Komponenten immer größer. Moderne RCM-Geräte verfügen daher oft über Ethernet-Schnittstellen, MQTT-Protokolle oder Anbindungsmöglichkeiten an RESTful APIs. Das ermöglicht eine direkte Einbindung in digitale Zwillinge des Datacenters oder KI-basierte Predictive Maintenance-Systeme.
Hersteller wie Bender, Janitza oder Schneider Electric treiben diesen Trend mit hardwarebasierten sowie Edge-kompatiblen Lösungen aktiv voran. Gleichzeitig wird das Thema Cybersecurity wichtiger: Da sicherheitsrelevante Daten über Netzwerke übertragen werden, müssen Authentifizierung, Verschlüsselung und Zugangsbeschränkungen frühzeitig berücksichtigt werden.
Handlungsempfehlungen für Betreiber
- RCM-Strategie definieren: Prüfen Sie, welche kritischen Strompfade im Rechenzentrum besonders überwachungsbedürftig sind und legen Sie grundsätzliche Zielwerte für Differenzströme fest.
- Integration in bestehende Systeme: Planen Sie Schnittstellentechnologien und Protokolle zur Einbindung in BMS oder DCIM-Systeme gleich mit – idealerweise standardisiert über Modbus TCP, SNMP oder MQTT.
- Schulungen organisieren: Technikteams sollten mit den Vorzügen, Grenzen und der Auswertung von RCM vertraut gemacht werden – insbesondere im Hinblick auf Interpretation von Alarmen und Trendentwicklung.
Fazit: RCM als Schlüsseltechnologie für ausfallsichere IT-Infrastruktur
Der Wechsel von reaktivem Schutz (RCD) hin zur proaktiven Überwachung (RCM) markiert einen bedeutenden Entwicklungsschritt für stromkritische Infrastrukturen wie Rechenzentren. Die Fähigkeit, drohende Isolationsprobleme frühzeitig zu erkennen, ohne Systeme vorschnell vom Netz zu trennen, schafft mehr Handlungsspielraum und verhindert im Idealfall kostenintensive Ausfälle.
Auch vor dem Hintergrund zunehmend komplexer Stromverteilung – Stichwort: Edge-Computing, modulare Data Cubes, Microgrid-Kopplung – ist der Einsatz von RCM-Technologie heute essenziell. Die Investition in smarte Fehlerstromüberwachung bedeutet nicht nur bessere Sicherheit, sondern auch höhere Verfügbarkeit, reduzierte Betriebskosten und ein Plus an Nachhaltigkeit.
Wie sieht es in Ihrem Rechenzentrum aus? Nutzen Sie bereits RCM-Systeme, oder stehen Sie vor der Entscheidung zur Umrüstung? Diskutieren Sie mit der Community in den Kommentaren und teilen Sie Ihre Erfahrungen.




