Wenn Hightech auf Ackerbau trifft: Künstliche Intelligenz revolutioniert die Landwirtschaft – und könnte die Antwort auf einen der drängendsten Engpässe liefern. Das Startup Prefiro entwickelt Ernte-Roboter, die speziell für den arbeitsintensiven Spargelanbau konzipiert sind. Wie gut funktioniert das – und was bedeutet KI für die Zukunft der Landarbeit?
Wenn der Roboter zur Ernte fährt
Der deutsche Agrarsektor steht vor tiefgreifenden Umbrüchen: Fachkräftemangel, hohe Lohnkosten und eine zunehmend digitalisierte Wertschöpfungskette fordern innovative Antworten. Ein besonders arbeitsintensiver Bereich ist die Spargelernte – jährlich ein Wettlauf gegen die Uhr und den Spargel selbst, der bei passenden Wetterbedingungen bis zu sieben Zentimeter pro Tag wachsen kann. Genau hier setzt das Münchner Startup Prefiro an.
Prefiro hat einen autonomen Roboter entwickelt, der mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Kamerasystemen reifen Spargel erkennt, präzise sticht und sammelt. Der sogenannte „Spargel-Picker“ basiert auf einem Deep-Learning-Modell, das durch mehrere tausend Bilddatensätze trainiert wurde. Sensorik, Robotik und Bildverarbeitung greifen nahtlos ineinander – der Clou: Der Roboter lernt kontinuierlich dazu.
Wirtschaftliche Vorteile im Fokus: Kosten, Effizienz, Skalierbarkeit
Prefiros Vision ist nicht nur technologisch spannend, sondern adressiert ein handfestes ökonomisches Problem. Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) bezifferte den Anteil der Lohnkosten an der gesamten Spargelproduktion im Jahr 2023 auf durchschnittlich 45 %. Saisonarbeiter – aktuell noch überwiegend aus Osteuropa – sind schwer zu rekrutieren, zumal sich viele aufgrund geringerer Verdienstsicherheit beruflich umorientieren.
Ein KI-gesteuerter Roboter kann rund um die Uhr arbeiten, ist wetterunabhängig einsetzbar und verursacht langfristig deutlich geringere Personalkosten. Nach Angaben von Prefiro soll ein einzelner Roboter in der Lage sein, bis zu 1,2 Tonnen Spargel pro Tag zu ernten – das entspricht der Leistung von fünf bis sieben menschlichen Erntehelfern. Studien des Fraunhofer IOSB zeigen, dass autonome Ernteverfahren in der Kategorie Frischgemüse die Betriebskosten um bis zu 30 % senken können (Fraunhofer IOSB, 2023).
Langfristig birgt diese Technologie nicht nur großes Exportpotenzial, sondern auch die Chance, den ländlichen Raum wirtschaftlich zu stärken. Bereits jetzt verzeichnen deutsche Landtechnikunternehmen steigende Investitionen in agrarische KI-Technologien. Laut einer Studie von McKinsey gaben 2024 rund 27 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Europa an, KI-Technologien aktiv zu pilotieren oder produktiv zu nutzen (McKinsey, 2024).
Auswirkungen auf die menschliche Arbeitskraft – Jobkiller oder Chance zur Transformation?
Doch auch wenn die ökonomischen Vorteile auf der Hand liegen, stellen sich berechtigte Fragen nach sozialen Auswirkungen. Wird der Mensch in der Landwirtschaft durch Maschinen ersetzt? Die Antwort ist komplexer als ein einfaches Ja oder Nein.
AI-gestützte Roboter wie der von Prefiro übernehmen monotone und physisch anstrengende Tätigkeiten – was nicht automatisch zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt, sondern zu einer Verschiebung. Neue Kompetenzen in der Wartung, Steuerung und Datenanalyse der Systeme werden wichtiger. Arbeitsplätze im Agrarsektor gewinnen durch den Einsatz intelligenter Technologien womöglich an Attraktivität, da körperlich belastende Tätigkeiten abnehmen.
Experten wie Prof. Dr. Jürgen Braun vom Institut für Agrartechnologie der Universität Hohenheim betonen: „Die KI ersetzt nicht den Menschen in der Landwirtschaft – sie erweitert seine Möglichkeiten. Entscheidend ist, dass Aus- und Weiterbildung rechtzeitig angepasst werden.“
Weitere KI-Use Cases in der Landwirtschaft: Von der Aussaat bis zur Ernte
Prefiro steht exemplarisch für eine größere Bewegung: Künstliche Intelligenz durchdringt zunehmend alle Phasen der landwirtschaftlichen Produktion. Einige weitere relevante Anwendungsbeispiele sind:
- Präzisionsbewässerung: KI-gestützte Systeme analysieren Wetter-, Boden- und Pflanzendaten in Echtzeit und steuern Bewässerungsanlagen bedarfsgerecht – besonders relevant in Zeiten zunehmender Wasserknappheit.
- KI-gestützte Pflanzenschutzmaßnahmen: Unternehmen wie PEAT (Berlin) nutzen neuronale Netzwerke zur Erkennung und Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten. Apps wie Plantix erkennen über Smartphone-Bilder Schädlinge und Krankheiten mit bis zu 95 % Genauigkeit.
- Predictive Farming: KI-Modelle simulieren Ernteerträge, Schädlingsdruck und Bodennährstoffe. Das israelische Unternehmen Taranis etwa kombiniert Drohnenbilder mit Machine Learning zur Früherkennung von Problemen im Pflanzenwachstum.
Gemeinsam ist allen Anwendungsfeldern: KI ersetzt weniger das menschliche Erfahrungswissen als dass sie dieses augmentiert – durch Geschwindigkeit, Skalierung und Datenintegration.
Implementierung – das sollten landwirtschaftliche Betriebe beachten
Bei aller Faszination für neue Technologien bleibt der Praxistransfer entscheidend. Bevor KI-Lösungen wie Prefiros Spargelroboter flächendeckend eingesetzt werden, sind Pilotprojekte, Fördermittel und optimierte Nutzerschnittstellen wichtige Stellschrauben.
Landwirte, die über die Implementierung von KI nachdenken, sollten folgende Punkte berücksichtigen:
- Prozesse analysieren: Wo entstehen die höchsten Kosten oder Engpässe im Betrieb? KI entfaltet ihren wirtschaftlichen Nutzen besonders dort, wo repetitive, datengestützte Aufgaben dominieren.
- Interoperabilität prüfen: Die neue Lösung sollte mit vorhandener Infrastruktur (z. B. Traktorsteuerung, Wetterdatenbanken) kompatibel sein, um Datensilos zu vermeiden.
- Weiterbildung einplanen: Mitarbeiter benötigen Schulung im Umgang mit der neuen Technologie, um Fehler zu vermeiden und Optimierungspotenzial zu erkennen.
Staatliche Programme wie das Bundesförderprogramm „Digitalisierung in der Landwirtschaft“ bieten finanzielle Unterstützung und Beratung für innovative Lösungen. Auch Kooperationen mit Hochschulen oder Startups fördern die praktische und nachhaltige Umsetzung.
Fazit: Der Anfang einer neuen Agrarära
Ob Spargelernte mit robotischer Präzision oder digitale Pflanzenärzte per App – die Landwirtschaft der Zukunft ist datengetrieben, effizienter und technologiegestützt. Startups wie Prefiro machen vor, wie mit KI konkret Probleme gelöst werden können, an denen traditionelle Strukturen scheiterten.
Die Transformation schreitet voran – doch sie braucht offene Dialoge, klare ethische Leitplanken und den Mut zur Veränderung. In der KI liegt das Potenzial, Ernährungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und ökologische Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, wenn sie klug eingesetzt wird.
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