Wie kann ein globaler Tech-Konzern wie SAP den Wandel durch Künstliche Intelligenz (KI) bewältigen, ohne dabei massive Stellenstreichungen vorzunehmen? CEO Christian Klein setzt auf ein ungewöhnliches, aber viel diskutiertes Konzept: Weiterbildung statt Entlassung. Sein Plan könnte Vorbild für andere Industriegrößen werden.
Transformation durch Fortbildung – SAPs Antwort auf die KI-Revolution
Im Januar 2024 verkündete SAP-CEO Christian Klein im Rahmen der Präsentation der Geschäftszahlen, dass das Unternehmen weltweit rund 8.000 Stellen umstrukturieren – aber nicht notwendigerweise abbauen – werde. Der Fokus liege dabei verstärkt auf Umschulungen und Weiterbildungen, insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz. Ziel sei es, die Belegschaft „zukunftssicher“ zu machen und den Übergang in die KI-gestützte Arbeitswelt sozialverträglich zu gestalten.
Mit dieser Ansage verfolgt SAP eine Gegenstrategie zum oft diskutierten KI-bedingten Stellenabbau in der IT- und Dienstleistungsbranche. Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums („Future of Jobs Report 2023“) könnten bis 2027 weltweit rund 83 Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung wegfallen – gleichzeitig entstehen jedoch etwa 69 Millionen neue Jobs. Diese Dynamik will SAP proaktiv gestalten.
Learning Culture 2.0: Wie SAP seine Mitarbeitenden fit für KI macht
SAP investiert massiv in Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme. Im Zentrum steht die interne Initiative „SkillUP@SAP“, die bereits 2023 gestartet wurde und kontinuierlich ausgebaut wird. Dabei erhalten Mitarbeitende Zugang zu über 20.000 Lernmodulen auf unternehmenseigenen sowie externen Lernplattformen wie Coursera, edX und LinkedIn Learning. Die Inhalte reichen von Grundlagen der Datenanalyse bis hin zu Deep Learning mit TensorFlow oder dem Prompt Engineering für Generative KI.
Die strategischen Maßnahmen umfassen unter anderem:
- Personalisierte Lernpfade: SAP nutzt KI-gestützte Lernanalytik, um den individuellen Qualifikationsbedarf von Mitarbeitenden zu ermitteln und passgenaue Schulungen anzubieten.
- Job-Transition-Programme: Beschäftigte in veränderungsanfälligen Rollen, z. B. im klassischen IT-Support, werden frühzeitig identifiziert und aktiv in High-Demand-Rollen wie Data Engineering oder KI-Trainer überführt.
- Blended Learning & Mentoring: Neben E-Learning setzt SAP auf Hybridformate mit Workshops, Peer-Coaching und internen Communitys – besonders wirksam sind diese in internationalen Teams.
Diese Programme unterscheiden sich deutlich von klassischen Weiterbildungsansätzen: Statt punktueller Schulungen setzt SAP auf kontinuierliches Lernen als Bestandteil der Unternehmenskultur. Damit folgt der Konzern auch einem klaren wirtschaftlichen Kalkül.
Warum Weiterbildung günstiger als Stellenabbau ist
Der gezielte Wandel von Berufsbildern sei langfristig günstiger als Massenentlassungen, so Klein. „Wir glauben, dass es wirtschaftlich und kulturell nachhaltiger ist, bestehende Talente zu entwickeln, statt ständig neue Fachkräfte teuer zu rekrutieren.“
Dabei verweist SAP auf interne Berechnungen, die Einsparungen durch interne Weiterbildung gegenüber externem Recruitment von bis zu 35 % zeigen. Auch ein Report von McKinsey (2022) stützt diese Annahme: Firmen, die Weiterbildung und interne Mobilität priorisieren, steigerten ihre Produktivität um durchschnittlich 12 % und reduzierten Fluktuationskosten markant.
Der soziale Mehrwert solcher Strategien ist nicht zu unterschätzen – insbesondere in Zeiten wachsender Unsicherheit über die Zukunft der Arbeitswelt. Laut einer Umfrage von PwC („Hopes and Fears Survey 2023“) befürchten 30 % der Arbeitnehmer weltweit, dass ihr Job durch Technologie ersetzt wird. Gleichzeitig wünschen sich 77 % gezielte Unterstützung beim Aufbau neuer Fähigkeiten.
Herausforderungen und Kritik: Nicht alle sind überzeugt
Trotz der ambitionierten Programme bleibt Kritik nicht aus. Gewerkschaften und Mitarbeitervertretungen fordern mehr Transparenz bei Auswahlkriterien für Umschulungen sowie verbindliche Jobgarantien nach Weiterbildungsmaßnahmen. Ohne echten Rollenwechsel könne die Weiterbildung auch als Mittel zur Verzögerung des tatsächlichen Stellenabbaus genutzt werden.
Auch externe Analysten mahnen zur Vorsicht. Marc Müller, Arbeitsmarktforscher am ifo Institut, betont: „Nicht jede Aufgabe lässt sich einfach transformieren. Es besteht das Risiko, Mitarbeitende mit gutem Willen, aber unzureichender Unterstützung in ineffektive Lernprozesse zu schicken.“
Ein weiteres Problem: Die messbare Wirkung von Weiterbildungen ist oft schwer zu erfassen. Nur ein Teil der SAP-Angestellten wird voraussichtlich zu KI-Fachkräften umgeschult werden können – der Rest soll in sogenannte „complementary roles“ wechseln, bei denen Menschen und KI zusammenarbeiten.
Vorbildfunktion und Zukunftsperspektiven
Dennoch wird SAPs Ansatz international aufmerksam beobachtet. Als einer der größten europäischen Softwarekonzerne mit über 105.000 Mitarbeitenden in mehr als 140 Ländern wirkt das Unternehmen als Trendsetter. Auch Konzerne wie Siemens, Bosch und Infineon kündigten inzwischen KI-Weiterbildungsangebote nach SAP-Vorbild an.
Langfristig könnte dies tiefgreifende Effekte auf den Arbeitsmarkt haben. Wenn Unternehmen aktiv in „human-centered AI“ und Weiterbildungsökosysteme investieren, dürften sich neue Kooperationsmodelle mit Hochschulen, Startups und Regierungsprogrammen entwickeln.
Experten empfehlen Unternehmen daher:
- Strategische Potenzialanalyse: Identifizieren Sie frühzeitig Rollenprofile, die durch Automatisierung gefährdet sind, und gleichen Sie diese mit zukünftigen Skill-Anforderungen ab.
- Lernkultur fördern: Integrieren Sie Lernen in die Performance-Struktur, z. B. durch Lernziele in jährlichen Mitarbeitergesprächen.
- Partnerschaften mit Bildungsanbietern: Nutzen Sie externe Expertise, um High-End-KI-Kurse für Mitarbeitende schnell zugänglich zu machen.
SAPs Beispiel zeigt: Es ist möglich, technologische Disruption mit sozialer Verantwortung zu verbinden – wenn Unternehmen bereit sind, in die Zukunftsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden zu investieren.
Fazit: Weiterbildung als Weg in eine gemeinsame Zukunft mit KI
Die Transformation der Arbeitswelt durch KI ist unausweichlich. Entscheidend ist daher, wie Unternehmen ihr Personal auf diesem Weg mitnehmen. SAP liefert mit seiner Weiterbildungsstrategie ein mutiges, wirtschaftlich durchdachtes und sozial verträgliches Modell. Es stellt nicht nur kurzfristige Effizienz in den Vordergrund, sondern setzt auf nachhaltige Innovationskraft durch Know-how.
Was denken Sie? Ist SAPs Weiterbildungsstrategie ein realistischer Weg oder zu optimistisch gedacht? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren oder schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen zum Thema KI-Weiterbildung im Unternehmen. Ihre Perspektive zählt!