Webdesign & UX

Entscheidungsfindung im Design: Die Rolle von Prinzipien ohne Experten

Ein lebendiges, warm ausgeleuchtetes Büro mit einem interdisziplinären Team in moderner Arbeitsatmosphäre, die konzentriert an Tablets und Laptops zusammenarbeitet, um Designentscheidungen anhand klarer Prinzipien zu treffen – natürliche Tageslichtstrahlen durch große Fenster schaffen eine freundliche, produktive Stimmung voller Zusammenarbeit und Vertrauen.

Gute Designentscheidungen erfordern nicht immer den direkten Input eines Experten – sofern solide Prinzipien als Richtschnur dienen. In Zeiten agiler Teams und Remote Work geraten Designprozesse zunehmend in Situationen, in denen unmittelbar kein UX-Profi zur Hand ist. Was können Teams tun, um dennoch qualitativ hochwertige Entscheidungen zu treffen?

Designprinzipien als Werkzeug: Definition und Bedeutung

Designprinzipien sind übergeordnete, abstrakte Leitlinien, die helfen, gestalterische Entscheidungen konsistent und zielgerichtet zu treffen. Sie basieren auf Erkenntnissen aus Psychologie, Designforschung und Best Practices und dienen als Entscheidungsgrundlage in Zweifelsfällen oder bei Abwesenheit konkreter Handlungsanweisungen.

Beispiele für etablierte UX-Prinzipien sind etwa „User First“, „Consistency“, „Feedback & Visibility“ oder „Affordance“. Diese Prinzipien sind nicht neu, aber ihre Anwendung gewinnt an Bedeutung angesichts zunehmender Dezentralisierung und interdisziplinärer Teams.

Wenn der Experte fehlt: Design in agilen, verteilten Umgebungen

Agile Entwicklungsmethoden und Remote-Setups sind in modernen Produktteams die Regel. Laut dem InVision Product Design Report 2023 arbeiten heute über 66 % der Product-Teams crossfunktional remote – ein Anstieg von 22 % im Vergleich zu 2020. In solchen Umgebungen sind Entscheidungen ohne direkten Expertenkontakt häufig an der Tagesordnung.

Nicht immer steht ein Senior UX Designer zur Verfügung. Oft müssen Frontend-Entwickler, Product Owner oder sogar Marketingverantwortliche eigenständig gestalterische Entscheidungen treffen. Hier kommen Designprinzipien ins Spiel.

Vorteile der Prinzipien-geführten Entscheidungsfindung

Das Nutzen von Designprinzipien bietet einige klare Vorteile, insbesondere wenn kein direkter UX-Sparringspartner greifbar ist:

  • Konsistenz: Prinzipien helfen, Standpunkte zu objektivieren und Entscheidungen konsequent an den Produktwerten auszurichten.
  • Effizienz: Designprinzipien verkürzen Entscheidungszyklen und reduzieren interne Reibungsverluste bei der Abstimmung.
  • Nachvollziehbarkeit: Entscheidungen können besser argumentiert und dokumentiert werden, was die Teamkommunikation stärkt.

Ein Beispiel dafür liefert der Softwareanbieter Atlassian, der seine Designentscheidungen stark auf drei zentrale Prinzipien stützt: Clarity, Efficiency, Consistency. Diese gelten teamübergreifend und ermöglichen einheitliche Nutzererlebnisse trotz verteilter Verantwortung.

Grenzen des Prinzips: Wenn Leitlinien nicht genügen

So hilfreich Designprinzipien auch sind – sie sind kein Ersatz für tiefgehende UX-Kompetenz. Ihre Anwendung setzt voraus, dass sie verstanden und in den jeweiligen Kontext übertragen werden können. In der Praxis stoßen Teams dabei regelmäßig auf Herausforderungen:

  • Abstraktion: Prinzipien sind oft allgemein formuliert und lassen Raum für unterschiedliche Interpretationen.
  • Priorisierung: Was, wenn zwei Prinzipien in Konflikt stehen – etwa zwischen Klarheit und ästhetischem Anspruch?
  • Fehlende Feedbackschleifen: Ohne Testing oder Expertenfeedback bleibt oft unklar, ob die Entscheidung wirklich zum besseren Erlebnis führt.

Ein UX Collective-Artikel von 2022 beschreibt diesen Spannungsbereich anhand eines Beispiels aus dem E-Commerce: Ein Team entschied sich aus Konsistenzgründen, einen Call-to-Action durchgehend unten zu platzieren, obwohl Nutzer in Usability Tests immer wieder den oberen Button bevorzugten. Das Resultat war ein Rückgang der Conversion-Rate um 11 % – ein klassischer Zielkonflikt zwischen Prinzip und Nutzerverhalten.

Entwicklung und Pflege wirksamer Designprinzipien

Nicht jedes Team kann sich auf bereits etablierte Prinzipien verlassen. Erfolgreiche Organisationen investieren daher bewusst in die Formulierung, Dokumentation und Kommunikation ihrer Designprinzipien. Dabei gilt:

  • Anwendungsnähe: Prinzipien sollten sich auf konkrete Produktkontexte übertragen lassen.
  • Partizipation: Die Entwicklung sollte crossfunktional erfolgen – nicht allein durch Designer.
  • Beobachtbarkeit: In regelmäßigen Design-Reviews sollte sichtbar sein, wie Prinzipien angewendet werden.

Laut einer aktuellen weltweiten Umfrage von Figma im Jahr 2024 geben 47 % der Produktteams an, eigene Designprinzipien im Team oder in der Organisation etabliert zu haben. Davon verwenden 62 % diese regelmäßig in Entscheidungssituationen – insbesondere dann, wenn ein UX-Experte nicht verfügbar ist.

Praxis-Tipp: Tools wie Notion, Confluence oder Zeroheight eignen sich hervorragend, um Designprinzipien gut auffindbar und versionierbar zu dokumentieren. Ergänzt um unterstützende Beispiele, schaffen sie eine robuste Wissensbasis für Designentscheidungen in Expertenabwesenheit.

Von Theorie zu Praxis: Erfolgsrezepte aus Projekterfahrung

Designentscheidungen auf Prinzipien zu stützen, ist besonders wirksam, wenn sie in ein klar strukturiertes Entscheidungsmodell eingebettet werden. Folgende Ansätze haben sich in der Praxis bewährt:

  • „Principle-driven Design Sprints“: Durch gezielte Leitfragen in frühen Sprintphasen lassen sich Gestaltungsalternativen effizient bewerten, ohne die Expertise eines UX-Spezialisten vorauszusetzen.
  • „UX Checklists“ mit Prinzipien-Verknüpfung: Beispielsweise im Formulardesign prüft eine vordefinierte Prüfliste Aspekte wie Klarheit, Feedbackverhalten oder Barrierefreiheit – gestützt durch die zugewiesenen Prinzipien.
  • Retro-Analyse von Designentscheidungen: In Retros oder Post-Mortems analysieren Teams, welche Prinzipien hilfreich waren und wo sie versagt haben. Daraus lassen sich Prozesse kontinuierlich verbessern.

Ein Beispiel aus der Praxis: Das Startup Treyd, das eine internationale B2B-FinTech-Lösung entwickelt, setzt bewusst auf Prinzipien-Workshops, in denen crossfunktionale Teams quartalsweise die Anwendbarkeit vorhandener Designprinzipien reflektieren und bei Bedarf anpassen.

Strategien zur Schulung und nachhaltigen Nutzung im Team

Damit Prinzipien im Alltag funktionieren, müssen sie teamweit verstanden und verinnerlicht werden. Dies gelingt nicht über Dokumente allein. Folgende Maßnahmen haben sich bewährt:

  • Onboarding-Trainings: Neue Teammitglieder erhalten eine Einführung in die Prinzipien inklusive Fallbeispiele.
  • Interaktive Formate: Interne „UX Clinics“ oder „Design Office Hours“ ermöglichen es, Prinzipien auf reale Herausforderungen anzuwenden.
  • Design Mentorsysteme: Erfahrenere Kolleg:innen begleiten Entscheidungsprozesse und reflektieren sie gemeinsam mit weniger erfahrenen Teammitgliedern.

Ein Case Study von Shopify zeigt, dass die Einführung eines quartalsweisen „UX Gym“-Formats, in dem interdisziplinär an realen Use Cases gearbeitet wurde, die Prinzipientreue nachweislich gesteigert hat. Nach sechs Monaten gaben 78 % der Mitarbeitenden an, Designprinzipien aktiv in Entscheidungen einzubeziehen – ein Zuwachs von 24 %.

Fazit: Prinzipien als praktischer Kompass für effektives Design

Designprinzipien ersetzen keine Expertise, aber sie sind ein entscheidender Orientierungspunkt, wenn die Expertise fehlt. Richtig formuliert, dokumentiert und angewendet, helfen sie Teams dabei, fundierte, nutzerzentrierte Entscheidungen zu treffen – sogar ohne direkten Zugriff auf eine:n UX-Spezialist:in.

Vor allem in agilen und verteilten Arbeitsstrukturen sind sie nicht nur nützlich, sondern essenziell. Ihre Wirksamkeit hängt dabei von klarer Kommunikation, kontinuierlicher Reflexion und praktischer Verankerung ab.

Welche Designprinzipien haben sich in euren Projekten am bewährtesten gezeigt? Welche Konflikte erlebt ihr bei ihrer Anwendung? Teilt eure Erfahrungen mit uns in den Kommentaren oder diskutiert mit unserer Community – wir sind gespannt auf eure Sichtweisen!

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