Wenn in Deutschlands Industrie eine Sicherheitslücke ausgemacht wird, sorgt seit Kurzem eine neue Instanz für geordnete Reaktion: das CERT@VDE. Als neuer Partner im internationalen CVE-Programm gewinnt es strategisch an Bedeutung – für die Cybersicherheit von Maschinenbau bis B2B-IT.
Koordinierte Sicherheit: Was ist das CERT@VDE?
Das Computer Emergency Response Team des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (CERT@VDE) fungiert seit 2024 als CNA (CVE Numbering Authority) innerhalb des globalen Common Vulnerabilities and Exposures (CVE)-Programms. Als Tochter des VDE trägt es eine zentrale Rolle bei der Identifikation, Veröffentlichung und Koordination von Sicherheitslücken in Deutschland – insbesondere im industriellen Kontext.
Mit seiner CNA-Anerkennung durch die gemeinnützige US-Organisation MITRE, die das CVE-System verwaltet, darf CERT@VDE nun eigenständig CVEs für entdeckte Schwachstellen vergeben. Damit reiht es sich neben internationalen Größen wie Microsoft, Siemens oder Google ein. Die deutsche Industrie profitiert dadurch von kürzeren Kommunikationswegen, einem tieferen Domänenverständnis und einer deutschsprachigen Koordinierung für Schwachstellen, vor allem im Maschinen- und Anlagenbau, in Embedded Systems und kritischen Infrastrukturen.
Kontext: Von globalen Schwachstellen zur nationalen Verantwortung
Das CVE-System dient als globales Register für öffentlich bekannte Schwachstellen in Software, Hardware und Firmware. Jede bestätigte Schwachstelle erhält eine CVE-ID und wird von einer CNA in Zusammenarbeit mit MITRE kuratiert. Vor der Beteiligung des CERT@VDE waren in Deutschland primär Hersteller wie Siemens sowie größere CERTs, etwa das BSI CERT-Bund, für die Vergabe von CVEs verantwortlich.
Mit Stoff für jährlich über 28.000 veröffentlichte Schwachstellen (Quelle: CVE MITRE, Stand 2024), ist eine verlässliche Dokumentation essenziell – besonders mit Blick auf den EU Cyber Resilience Act und nationale KRITIS-Vorgaben. Die Beteiligung eines branchennahen deutschen CERTs wie CERT@VDE füllt eine Lücke im Sicherheits-Ökosystem.
Was bedeutet die CNA-Rolle konkret?
Als CNA ist CERT@VDE berechtigt, CVE-Nummern für gemeldete Schwachstellen innerhalb seines Mandatsbereiches – vorrangig industrielle Steuerungssysteme (ICS), OT-Komponenten und industrielle Software – selbstständig zu vergeben. Es ist auch in der Lage, Entwickler, Integratoren und Betreiber bei der strukturierten Offenlegung von Schwachstellen zu beraten, bevor diese öffentlich kommuniziert werden.
Im Gegensatz zu Sicherheitsforschern, denen oft internationale Kommunikationshürden im Weg stehen, erleichtert CERT@VDE den Prozess für lokale Akteure erheblich. Die Experten fungieren als Brücke zwischen entdeckter Schwachstelle, betroffenen Herstellern und dem öffentlichen CVE-Repositorium. Ziel ist es, Disclosure-Prozesse schneller, strukturierter und sicherer zu gestalten.
Vorteile für Deutschlands IT-Sicherheitslandschaft
Die strategische Einbindung von CERT@VDE in das CVE-System kommt zu einer Zeit, in der Industrie-4.0-Lösungen und OT-Infrastrukturen immer häufiger Ziel von Angriffen werden. Laut einer Studie von IBM X-Force aus dem Jahr 2024 waren 36 % aller erfassten Angriffe weltweit auf industrielle Steuerungsumgebungen gerichtet – ein Anstieg von 9 Prozentpunkten gegenüber 2022.
Gleichzeitig zeigt eine CSIS-Studie von 2023, dass nur 21 % aller Unternehmen weltweit ihre OT-Sicherheitslücken binnen 30 Tagen schließen. Hier setzt der koordinierende Ansatz des CERT@VDE an: Frühzeitige, strukturierte und lokal koordinierte Reaktionen reduzieren das Risiko, dass Lücken unentdeckt bleiben oder verzögert gepatcht werden. Davon profitieren kleine und mittelständische Unternehmen ebenso wie kritische Infrastrukturbetreiber in Energiewirtschaft, Transport und Produktion.
Ein zentrales Ziel des CERT@VDE ist die Verbesserung der Mean Time to Remediation (MTTR), also die durchschnittliche Zeit zur Behebung einer Schwachstelle. Durch optimierte Kommunikation und gezielte Vernetzung mit Industriepartnern erwartet man eine spürbare Beschleunigung im Patch-Management-Prozess.
Einblicke aus der Industrie: Statements und Reaktionen
Große Industrieakteure wie Bosch Rexroth oder Phoenix Contact begrüßen die CNA-Rolle des CERT@VDE. In einem Statement gegenüber dem VDE formulierte ein Sicherheitsexperte von WAGO: „Das CERT@VDE jako CNA ist für uns eine wichtige Schnittstelle. Durch den regionalen Bezug und die technische Nähe funktioniert die Koordination besser als das über internationale Player machbar wäre.“
Auch kleine Unternehmen profitieren: Gerade für mittelständische Entwickler ist die direkte, deutsche Ansprechbarkeit ein wesentlicher Vorteil. Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere bei Security-Research im Embedded-Bereich schnelle Klarheit über CVE-Zuweisungen wesentlich zur vertrauensvollen Offenlegung beiträgt.
Darüber hinaus steigt auch das internationale Vertrauen in die deutsche CERT-Struktur. Denn je professioneller nationale Akteure in CVE-Prozesse eingebunden sind, desto höher ist die Qualität und Vollständigkeit der weltweit veröffentlichten Sicherheitsinformationen.
Folgen für Geschwindigkeit und Effizienz von Sicherheitsupdates
Die CNA-Zertifizierung des CERT@VDE ist mehr als ein symbolischer Akt – sie ist ein konkreter Effizienzhebel. Durch direkte CVE-Vergabe ohne Umwege über internationale Stellen wird die Zeit zwischen Entdeckung und Veröffentlichung von Schwachstellen deutlich verkürzt. Das bedeutet wiederum: Hersteller und Betreiber erhalten schneller belastbare Informationen, um Gegenmaßnahmen einzuleiten.
In der Praxis verkürzt sich die „Time to Publish“ – laut Erfahrungswerten – um bis zu 40 %, wenn ein lokales CNA eingebunden ist. Neben Geschwindigkeit geht es auch um Kontext: CERT@VDE versteht die technischen und regulatorischen Details deutscher Infrastruktur besser als viele internationale CERTs, was zu passenderen Einschätzungen und daraus folgenden Handlungsempfehlungen führt.
Tipps: Besserer Schutz durch strukturierte Zusammenarbeit
Um von der neuen Rolle des CERT@VDE als CNA optimal zu profitieren, sollten Unternehmen – insbesondere aus dem industriellen Umfeld – folgende Empfehlungen beachten:
- Frühzeitig Sicherheitslücken melden: Entwickler und Betreiber sollten Schwachstellen aktiv identifizieren und gezielt an CERT@VDE melden, um strukturierte Koordination zu gewährleisten.
- Sicherheitsprozesse intern an CVE-Protokolle anpassen: Unternehmen müssen ihre Prozesse für Schwachstellenmanagement so strukturieren, dass CVE-kompatible Meldungen zügig umgesetzt werden können.
- Regelmäßige Kommunikation mit CERT@VDE etablieren: Ein fester Austausch – sei es im Rahmen von Arbeitskreisen oder durch individuelle Ansprechpartner – hilft dabei, im Ernstfall schnell reagieren zu können.
Zukunftsausblick und technologische Relevanz
Mit der Integration von CERT@VDE als CVE-CNA wird Deutschland als IT-Sicherheitsstandort gestärkt. Die Initiative reiht sich in eine umfassendere Entwicklung ein, bei der Europa zunehmend versucht, eigene Strukturen zur digitalen Resilienz aufzubauen – ein Trend, der durch geopolitische Unsicherheiten und neue regulatorische Anforderungen befördert wird.
Durch die Verknüpfung technischer Exzellenz, industrieller Nähe und global anerkannter Sicherheitsstandards könnte das CERT@VDE Modellcharakter für nationale Sicherheitskoordinierungen auch in anderen europäischen Ländern gewinnen. Die Nutzung von Automatisierungsplattformen wie VINCE oder INCA für Disclosure-Management könnte künftige Prozesse zusätzlich beschleunigen und transparent machen.
Damit das gelingt, muss es allerdings gelingen, Sicherheitsverantwortung auch kulturell tiefer in Unternehmen zu verankern. Ein national aktives, fachlich breit aufgestelltes CERT wie das CERT@VDE ist dafür ein starker Ankerpunkt.
Fazit: Neue Lagezentrale für Cybersicherheit made in Germany
Das CERT@VDE hebt Deutschlands industrielle IT-Sicherheitsinfrastruktur auf ein neues Niveau. Als CNA im CVE-System bietet es konkrete Vorteile: schnellere Sicherheitsprozesse, bessere Kommunikation und lokales Verständnis für industrielle Besonderheiten.
Doch nachhaltiger Schutz entsteht nicht nur durch Strukturen, sondern durch Zusammenarbeit. Unternehmen sollten das Angebot des CERT@VDE aktiv nutzen – durch frühzeitige Kontaktaufnahme, strukturierte Sicherheitsprozesse und offene Kommunikation. Nur gemeinsam lässt sich ein belastbares IT-Sicherheitsnetzwerk für die vernetzte Industrie schaffen.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Sicherheitslücken im Industrieumfeld gemacht? Welche Rolle kann ein CNA vor Ort spielen? Diskutieren Sie mit in unserer Community – Ihre Meinung zählt.