Viele digitale Produkte scheitern nicht an der Technik, sondern am fehlenden Verständnis für die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer. Wer weiß, was User wirklich wollen, baut bessere Erlebnisse – und das beginnt mit einer fundierten Product Discovery. Was das genau bedeutet, wie es gelingt und warum UX-Profis nicht darauf verzichten sollten, beleuchtet dieser Beitrag.
Was ist eine Product Discovery?
Der Begriff Product Discovery beschreibt einen strukturierten Prozess in der Produktentwicklung, bei dem Teams frühzeitig herausfinden, welche Kundenprobleme tatsächlich gelöst werden müssen – und wie ein Produkt aussehen sollte, um echten Mehrwert zu liefern. Anders als klassische Anforderungsanalysen stellt die Discovery die Nutzerperspektive radikal in den Vordergrund.
Die UX-Designerin Curie Kure definiert Product Discovery im Gespräch mit dem Softwareexperten Richard Seidl als „entscheidende Vorphase eines jeden digitalen Produkts, in der sich Strategie, Nutzerbedürfnisse und technische Machbarkeit finden und verbinden müssen“. Ziel sei es, nicht einfach ein Produkt zu bauen, sondern das richtige Produkt zu bauen.
Warum Product Discoveries für UX unverzichtbar sind
UX Design lebt davon, dass Designentscheidungen auf echten Nutzerbedürfnissen basieren. Product Discoveries bieten dafür die methodische Grundlage. Sie helfen Teams, nutzerzentriert zu denken, Risiken frühzeitig zu erkennen und Klarheit über den Produktnutzen zu erlangen – noch bevor erste Zeilen Code geschrieben werden.
Laut einer Studie von McKinsey (“The Business Value of Design”, 2018) schneiden Unternehmen, die UX früh strategisch einbinden, um bis zu 32 % besser bei Umsatzwachstum ab als der Durchschnitt ihrer jeweiligen Branchen. Product Discoveries sind ein Schlüsselelement dieser Strategie, da sie UX-Beteiligung frühzeitig ermöglichen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein FinTech-Startup, das laut Seidl ursprünglich ein neues Anlage-Dashboard plante, stellte in der Discovery-Phase fest, dass Nutzer sich in Wahrheit vor allem Orientierung und Sicherheit bei Finanzentscheidungen wünschen. Statt also nur Visualisierungen zu bauen, integrierte das Team eine persönliche Empfehlungskomponente. Das Resultat: 40 % höhere Conversion-Raten und deutlich reduzierte Abbruchraten im Anmeldeprozess.
Wie läuft eine Product Discovery ab?
Ein erfolgreicher Product Discovery-Prozess folgt keiner starren Checkliste, sondern basiert auf iterativer Erkenntnisgewinnung. Dennoch lassen sich typische Phasen identifizieren:
- Verstehen: Geschäftsziele, Stakeholder-Erwartungen und technische Rahmenbedingungen erfassen.
- Nutzerforschung: Interviews, Umfragen, Nutzerbeobachtungen oder Datenanalysen nutzen, um Bedürfnisse zu validieren.
- Ideengenerierung: Auf Basis der Erkenntnisse werden Hypothesen und erste Produktideen entwickelt.
- Prototypen und Tests: Schnelle, testbare Konzepte mit echten Nutzern überprüfen (Design Sprints, Paper Prototypes, etc.).
- Entscheidung: Erkenntnisse zur Umsetzung priorisieren und MVP (Minimum Viable Product) formulieren.
Dabei ist es entscheidend, möglichst interdisziplinär zu arbeiten. Nur wenn UX-Designer, Devs, Product Owner und Stakeholder gemeinsam an der Discovery teilnehmen, entstehen tragfähige Lösungen.
Best Practices für erfolgreiche Product Discoveries
Problemorientierte Produktentwicklung braucht Struktur und Offenheit. Die folgenden bewährten Praktiken aus der UX-Community helfen dabei, Product Discoveries wirksam zu gestalten:
- Timeboxing: Eine Discovery darf kein Fass ohne Boden sein. Curie Kure empfiehlt, klare Zeitrahmen von zwei bis vier Wochen zu setzen – abhängig von Komplexität und Teamgröße.
- Hypothesen statt Anforderungen: Statt „Die App muss dies können“ besser fragen: „Wir glauben, dass Nutzer Feature X benötigen, weil…“. Das fördert Validierung und Diskussion.
- Früh testen, oft hinterfragen: Prototypen schon mit wenigen Usern validieren – laut Nielsen Norman Group reichen fünf Nutzer, um 85 % der Usability-Probleme zu identifizieren.
Ein weiterer methodischer Schlüssel ist das Dual-Track-Agile-Modell, das Discovery und Delivery parallel laufen lässt. So werden Erkenntnisse nicht isoliert, sondern fließen kontinuierlich in Entwicklung und Design ein.
Curie Kure & Richard Seidl: „Discovery ist Haltung, nicht nur Methode“
Im gemeinsamen Dialog betonen Kure und Seidl, dass Product Discovery über bloße UX-Methodik hinausgeht. „Es ist eine Haltung, nämlich nicht zu glauben, wir wüssten schon alles – sondern bereit zu sein, dazuzulernen“, so Seidl. Kure ergänzt: „Discovery scheitert nicht an mangelnden Tools, sondern am Willen, Kontrolle loszulassen und den Nutzer wirklich zu hören.“
In agilen Organisationen könne Discovery sogar ein Hebel für kulturellen Wandel sein – weg vom reinen Feature-Fokus, hin zu wertorientierter Produktentwicklung. Mit einem offenen Mindset werde jede Interaktion zur Gelegenheit, Nutzerbedürfnisse besser zu verstehen.
Wie Unternehmen Product Discoveries erfolgreich verankern
Damit Product Discoveries nicht im Lab-Charakter verharren, sondern nachhaltig Wirkung entfalten, müssen sie systematisch in Prozesse und Kultur eingebettet werden. Drei strategische Hebel sind dabei entscheidend:
- UX als früher Partner im Prozess: UX-Designer und Researcher sollten nicht nur UI-Fragen lösen, sondern aktiv an der Produktstrategie mitentwickeln.
- Shared Understanding fördern: Gemeinsame Workshops, Customer Journeys und Opportunity Maps helfen, ein geteiltes Bild der Nutzerrealität zu schaffen.
- Daten kombinieren: Quantitative Nutzungsdaten (z. B. aus Analytics) und qualitative Forschung (z. B. Interviews) ergeben zusammen ein tiefes Verständnis der Nutzerbedürfnisse.
Laut einer 2023 von InVision durchgeführten Studie (Design Maturity Report) arbeiten Teams mit hohem Design-Reifegrad 2,5-mal häufiger intensiv an Product Discoveries – und erzielen signifikant bessere Nutzerbewertungen sowie schnellere Time-to-Market-Zeiten.
Fazit: Entdeckungen, die Produkte besser machen
Wenn Unternehmen aufhören, einfach nur neue Features zu bauen, und stattdessen echte Nutzerprobleme entdecken, entsteht Raum für Innovation und Relevanz. Product Discoveries sind keine Kür, sondern die Pflicht jedes UX-getriebenen Produkts. Sie erfordern Zeit, Mut und ein Umdenken – doch die Investition zahlt sich aus.
Welche Methoden nutzt ihr in euren Teams für frühzeitige Nutzervalidierung? Habt ihr Erfahrungen mit Product Discovery-Prozessen gesammelt? Teilt eure Einblicke, Learnings und Fragen gern in den Kommentaren – und lasst uns gemeinsam immer bessere digitale Erlebnisse gestalten.