Seit der Übernahme von VMware durch Broadcom herrscht unter deutschen Cloud-Providern Unsicherheit. Doch warum halten viele Anbieter weiterhin am VMware-Stack fest – und was bedeutet das für ihre Zukunftsfähigkeit im zunehmend dynamischen Infrastrukturbereich?
VMware bleibt das Rückgrat deutscher Cloud-Provider
Für viele Cloud-Dienstleister in Deutschland gilt VMware trotz steigender Lizenzpreise und wachsender Konkurrenz weiterhin als unverzichtbar. Die Marktpenetration der Virtualisierungstechnologie im deutschsprachigen Raum ist historisch gewachsen. Laut einer IDC-Studie aus dem Jahr 2023 basiert rund ein Drittel aller On-Premises-Cloud-Installationen in DACH auf VMware-Technologie (Quelle: IDC, „Cloud Adoption in DACH 2023“).
Diese tiefe Integration in bestehende Workflows, Monitoring-Systeme und IT-Prozesse macht es für viele Provider schwierig, kurzfristig auf Alternativen umzuschwenken. Zudem erwarten viele Unternehmenskunden – insbesondere im gehobenen Mittelstand – eine VMware-basierte Infrastruktur, auch bei Managed Services. Eine Umfrage unter deutschen Managed Service Providern von Techconsult zeigt, dass 61 % ihre Kunden-Workloads auf VMware hosten (Techconsult Trendstudie 2024).
Broadcoms Übernahme verändert das Spiel
Die 69 Milliarden US-Dollar schwere Übernahme von VMware durch Broadcom Ende 2023 hat massive Umwälzungen im Markt ausgelöst. Broadcom verfolgt eine aggressive Monetarisierungsstrategie: Lizenzen wurden auf ein Subscription-Modell umgestellt, freie Bundles aufgeweicht, Partnerprogramme überarbeitet und kleinere Schulungs- und Supportkanäle wegrationalisiert. Für Reseller und kleinere Cloud-Anbieter bedeutet das oft: höhere Kosten, weniger Flexibilität, weniger Kontrolle.
Ein Beispiel: Seit Anfang 2024 gibt es keine einzelnen vSphere Essentials Bundles mehr für kleinere Hosting-Anbieter – der Einstiegspunkt liegt jetzt bei Broadcoms „VMware Cloud Foundation“ im Rahmen der sogenannten „Partner Lifecycle Services“ (PLS). Dies treibt die Einstiegskosten in schwindelerregende Höhen, gerade für kleinere Anbieter mit wenigen Hosts.
„Wir wurden de facto gezwungen, unser gesamtes Pricing neu zu kalkulieren“, sagt Mario Wolf, CTO eines norddeutschen Infrastructure-as-a-Service-Anbieters, im Interview. „Ohne eigene Entwicklungsressourcen wird es zunehmend schwerer, profitabel mit VMware zu arbeiten.“
Die Folgen für den deutschen Cloud-Markt
Die zentrale Herausforderung: Cloud-Provider sind häufig selbst KMU und haben nicht die Ressourcen, alternative Virtualisierungsplattformen wie Proxmox, KVM oder Nutanix in kurzer Zeit produktiv hochzufahren und gleichzeitig Compliance-Anforderungen wie DSVGO und BSI-Grundschutz einzuhalten.
Zudem wirkt sich der neue Kurs von Broadcom auch auf die Channel-Partnerstruktur aus. Die „VMware Partner Connect“-Plattform wurde 2024 stark eingeschränkt. Viele Partner berichten von Verzögerungen bei Lizenzfreigaben und fehlender Kommunikation. Dies betrifft insbesondere Service Provider im Cloud-Provider-Programm (VCPP), die bislang vorteilhaft über Aggregatoren einkaufen konnten. Diese Route fällt nun weg – VCPP liefert Lizenzen nur noch direkt aus.
Hinzu kommt Unsicherheit bei Updates und Support-Policy. Ein Managed Services Anbieter aus Süddeutschland erklärt im Gespräch: „Wir haben drei Kunden, die bereits Projekte zur Migration Richtung OpenStack prüfen – nicht, weil sie VMware schlecht finden, sondern weil sie Broadcom nicht mehr vertrauen.“
Widerstand ist da – aber Alternativen sind nicht trivial
Ein vollständiger Wechsel etwa auf OpenStack, Red Hat Virtualization oder Proxmox VE ist strategisch möglich, bringt aber zahlreiche Herausforderungen mit sich: fehlende Kompatibilität zu Kundentools, Schulungsaufwand, Integrationsprobleme mit bestehenden Netzwerk- und Storage-Systemen.
Analystin Julia Lerner vom Marktforschungsinstitut Crisp Research meint: „Gerade mittelgroße Hosting-Anbieter sind in einer Zwickmühle. VMware ist teuer geworden, aber technologisch immer noch der Standard. Alternativen wie OpenNebula oder KubeVirt sind spannend, aber noch nicht reif für breite Produktionslasten.“
Immer mehr Cloud-Provider in Deutschland diskutieren daher hybride Szenarien: VMware als Backbone-Lösung für bestehende Kunden, neue Plattformen für Greenfield-Implementierungen.
Praktische Handlungsempfehlungen für Cloud-Provider:
- Jetzt den VMware-Footprint analysieren und pro Workload die wirtschaftliche Tragfähigkeit bewerten.
- Strategischen Alternativen wie KVM, Proxmox oder OpenStack durch Proof-of-Concept-Projekte testen.
- Lizenzmodelle von Broadcom frühzeitig kennen und verhandeln – insbesondere bei Multi-Jahres-Verträgen.
Veränderte Marktmechanismen durch Konsolidierung
Broadcoms Strategie folgt einem Muster: Nach der Übernahme von CA Technologies und Symantec wurde jeweils das Portfolio gestrafft, das Geschäft auf Topkunden fokussiert und kleinere Marktsegmente weitgehend konsolidiert. Genauso ergeht es aktuell scheinbar VMware – mit direkten Auswirkungen auf ganze Hosting-Ökosysteme in Europa.
„Es ist eine klare Konzentration auf Enterprise-Kunden sichtbar, der klassische Mittelstand wird kaum noch adressiert“, sagt Dominik Seifert, Geschäftsführer eines Managed Hosting Anbieters aus Bayern. „Viele Partner fühlen sich allein gelassen.“
Die Folge: Eine Erosion der Partnerbasis und drohende Monopoltendenzen. Gleichzeitig wittern Open-Source-Projekte Morgenluft. Proxmox VE vermeldete laut GitHub Trends im ersten Halbjahr 2024 ein Wachstum aktiver Entwicklerbeiträge von über 40 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Strategische Lehren: Jetzt Transformation planen
Technologisch bleiben viele VMware-Komponenten (NSX, vSAN, vCenter) auch 2025 führend. Doch Cloud-Provider, die sich ausschließlich darauf verlassen, riskieren eine Abhängigkeit von kommerziellen Strategiewechseln ohne Mitspracherecht. Die aktuelle Entwicklung liefert eine Blaupause für künftige Risikobewertungen im Hinblick auf Lieferanten- und Plattformabhängigkeit.
Ökosysteme, die auf mehreren Hyperscaler-unabhängigen Virtualisierungsplattformen aufgebaut sind, sind resilienter. Vorbilder liefern europäische Anbieter wie OVHcloud, die frühzeitig auf OpenStack setzten, oder norwegische Cloud-Dienstleister mit LXD-Containern als leichtgewichtiger KVM-Alternative.
Empfehlenswerte nächste Schritte:
- Abhängigkeiten im Lizenzmanagement durch eine Plattformstrategie mit Open-Source-Komponenten verringern.
- Know-how im Bereich Infrastructure-as-Code aufbauen, um Migrationen standardisiert umsetzen zu können.
- Community-nahe Plattformen wie Proxmox, OpenStack oder Harvester langfristig mitdenken, um Innovationszyklen frühzeitig aufzunehmen.
Fazit: Zwischen Pragmatischem Festhalten und notwendigem Umbruch
Die deutsche Cloud-Branche steht am Scheideweg: VMware bleibt für viele Betreiber unverzichtbar – operativ wie wirtschaftlich. Gleichzeitig zwingen Broadcoms Entscheidungen zum Umdenken. Nachhaltige Strategien setzen auf Plattformvielfalt, Standardisierung und offene Systeme.
Die Frage ist nicht mehr, ob eine Transformation erfolgt – sondern wann und wie.
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Nutzt ihr VMware weiterhin, oder setzt ihr bereits auf Alternativen? Diskutiert mit unserer Redaktion und der Community in den Kommentaren oder auf LinkedIn!