Künstliche Intelligenz

KI als Forscher: Der Paradigmenwechsel in der Entdeckung von Medikamenten

Ein lichtdurchflutetes Labor mit modernen Bildschirmen und komplexen Molekülmodellen, auf denen ein motiviertes, interdisziplinäres Team aus Forschern in heller Arbeitskleidung konzentriert die Zukunft der Medikamentenentwicklung mithilfe künstlicher Intelligenz gestaltet – warmes Tageslicht fällt sanft durch große Fenster und schafft eine einladende, hoffnungsvolle Atmosphäre.

Die Entdeckung neuer Medikamente war lange ein Prozess, der Jahre oder gar Jahrzehnte beanspruchte. Mit dem Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI) zeichnet sich jedoch ein fundamentaler Wandel ab: KI-Systeme übernehmen zunehmend die Rolle des forschenden Entdeckers, insbesondere im Kampf gegen Coronavirus-Varianten. Was dieser Paradigmenwechsel für die medizinische Forschung bedeutet – und welche ethischen Fragen er aufwirft – analysieren wir in diesem Beitrag.

Von der Laborbank zur GPU: Wie KI die Arzneimittelentwicklung revolutioniert

Die klassische Wirkstoffforschung ist ein teures, risikobehaftetes und extrem zeitintensives Unterfangen. Laut einem Bericht der Tufts University kostete die Entwicklung eines neuen Medikaments im Jahr 2022 durchschnittlich 2,6 Milliarden US-Dollar und dauerte 10 bis 15 Jahre. Dieses Modell gerät zunehmend unter Druck – und auch infolge der COVID-19-Pandemie wurde deutlich, wie dringend schnelle, zielgerichtete Therapeutika benötigt werden.

Inzwischen setzen zahlreiche Biotech-Unternehmen und Forschungseinrichtungen KI-gesteuerte Systeme ein, um neue Moleküle zu identifizieren, deren Wirkung vorherzusagen und die Synthese zu simulieren. Dabei kommen vor allem Deep-Learning-Modelle zum Einsatz, die auf riesigen Datensätzen trainiert werden – darunter Genomdatenbanken, molekulare Strukturdaten, klinische Versuchsdaten und Literaturarchive.

Ein besonders aufsehenerregender Schritt war 2023 die Entwicklung eines Kandidatenwirkstoffs gegen eine SARS-CoV-2-Variante durch das KI-Modell AlphaFold von DeepMind, kombiniert mit dem Moleküldesign-Tool Enamine REAL Space. Unter Nutzung vortrainierter Transformer-Netzwerke generierte die KI innerhalb von Tagen mehrere vielversprechende Molekülstrukturen – ein Prozess, der manuell Monate beansprucht hätte.

KI gegen das mutierende Virus: Modellieren, Vorhersagen, Therapieren

Mit jeder neuen Coronavirus-Mutation steht die medizinische Forschung erneut vor einer Herausforderung. KI bietet hier einen entscheidenden Vorteil: Sie kann potenzielle Escape-Mutationen vorhersagen, lange bevor sie sich verbreiten. Ein Beispiel liefert das Projekt „nferX“ des MIT-Spin-offs nference, das mithilfe eines neuronalen Netzwerks mutationale Hotspots an SARS-CoV-2-Spike-Proteinen modellierte und Therapieansätze gegen resistente Varianten identifizierte.

Besonders leistungsfähig sind sogenannte generative Modelle (wie Generative Adversarial Networks, GANs), die neuartige Molekülstrukturen designen, die in menschlichen Daten bisher nicht vorkamen. Auch reinforcement learning kommt zunehmend zum Einsatz, wie beim KI-Agenten INSILICO, der in präklinischen Studien gegen fibrotische Lungenkrankheiten Erfolge zeigte und 2024 erstmals zur Evaluation eines antiviralen Wirkstoffs gegen SARS-CoV-2 eingesetzt wurde.

Darüber hinaus ermöglicht die KI-basierte Proteinstrukturvorhersage – etwa durch AlphaFold 3 – eine präzise Modellierung von Wirkorten, was die gezielte Entwicklung sogenannter Small Molecules oder monoklonaler Antikörper unterstützt.

Statistik: KI-Anwendungen in der Medizin auf dem Vormarsch

Laut einer Erhebung von Statista nutzten im Jahr 2024 bereits 38 % der globalen Pharmaunternehmen KI-gestützte Plattformen zur Kandidatenidentifikation. Die Marktgröße für KI in der Arzneimittelentwicklung wird bis 2026 auf 4,9 Milliarden US-Dollar geschätzt (Quelle: MarketsandMarkets Research, 2024). Ein enormer Zuwachs, der das disruptive Potenzial der Technologie unterstreicht.

Auch in klinischen Studien kommt zunehmend KI zum Einsatz, etwa bei der Patientenrekrutierung, Risikoanalyse und Nebenwirkungsbewertung. Laut McKinsey & Company könnten durch KI bis zu 30 % der Gesamtkosten in der Arzneimittelentwicklung eingespart werden.

Ethische Fragen und regulatorische Grauzonen

So vielversprechend KI in der Wirkstoffforschung ist – sie wirft auch komplexe ethische Fragen auf. Wem gehört ein von einer KI generierter Wirkstoff? Wie lässt sich Transparenz sicherstellen, wenn Blackbox-Modelle wie Deep Neural Networks zum Einsatz kommen? Und wie schützt man Patientendaten in einem Umfeld, das stark von datenhungrigen Algorithmen abhängt?

Die World Health Organization (WHO) forderte 2023 in einem Positionspapier klare regulatorische Leitlinien für KI-gestützte Forschung an, insbesondere bei sicherheitsrelevanten Anwendungen. Bislang sind gesetzliche Rahmenbedingungen oft vage oder überholt und variieren stark zwischen Ländern und Regionen.

Viele Experten fordern deshalb internationale Standards und die Zertifizierung KI-gestützter Software als „digitales Medizinprodukt“, ähnlich wie klassische Arzneimittel. Nur so lasse sich Vertrauen schaffen und eine forschungsethische Grundlage bewahren.

Auch die „human-in-the-loop“-Debatte – also wie stark Menschenprozesse und Entscheidungen beeinflussen oder ob KI autonom handeln darf – bleibt zentral für die Zukunft medizinischer Innovation.

Von der Entdeckung zur Marktreife: Herausforderungen und Potenziale

Der erste durch KI entdeckte Wirkstoff, DSP-1181 (gegen Zwangsstörungen), erreichte 2020 die klinische Phase 1 – in nur 12 Monaten statt der üblichen 4,5 Jahre. Ein Meilenstein. Dennoch bleibt der Weg von der molekularen Entdeckung bis zur Marktzulassung lang und reguliert. Die KI mag hier den Anfang beschleunigen – die Hürden in Studien, Zulassungsverfahren und Massenproduktion bleiben bestehen.

Hinzu kommen Herausforderungen bei der Generalisierbarkeit: Viele KI-Modelle sind stark auf bestimmte Targets trainiert und verlieren an Genauigkeit, wenn sie mit neuartigen oder stark mutierten Virusvarianten konfrontiert werden. Daher gewinnen Simulationsplattformen wie DeepMind’s „PathogenSurge“ an Bedeutung, die kontinuierlich aktuelle Virusdaten integrieren.

Wie sich Forscher, Unternehmen und Politik heute vorbereiten können

Für die Zukunft der medizinischen Forschung ist der Einzug von KI kein Optional, sondern ein Muss. Doch wie können sich Forschungseinrichtungen und Unternehmen systematisch auf den KI-Paradigmenwechsel vorbereiten?

  • Datenqualität sicherstellen: Nur kuratierte, diverse, hochwertige Daten ermöglichen zuverlässige KI-Ergebnisse. Forschungsinfrastrukturen müssen in Data Lakes und Interoperabilitätsstandards investieren.
  • Ethikprozesse etablieren: Interne AI Ethics Boards und regelmäßig geprüfte Transparenzrichtlinien helfen, regulatorische Anforderungen proaktiv zu beachten.
  • Interdisziplinäre Teams bilden: Erfolgreiche KI-Entwicklung gelingt nur im Zusammenspiel zwischen Bioinformatikern, Medizinern, Computer Scientists und Juristen.

Auch staatlich geförderte Programme wie das deutsche Forschungsnetzwerk „KIFAM“ (Künstliche Intelligenz in der Arzneimittelforschung und Medizin) leisten hier wichtige Pionierarbeit, etwa durch gemeinsame Datenpools oder Schulungsinitiativen.

Fazit: KI ist nicht nur ein Tool – sie verändert die Rolle der Forschung

Die Entwicklung von Medikamenten durch KI steht exemplarisch für eine Transformation, die weit über Geschwindigkeit und Kosteneffizienz hinausgeht. Sie verändert die Rolle des Forschers selbst, von einem schrittweisen Entdecker zu einem kuratierenden Supervisor über komplexe Algorithmen.

Wie weit wir diesen Wandel gestalten – oder von ihm getrieben werden – hängt davon ab, wie frühzeitig wir ethische und regulatorische Leitplanken setzen, kollaborative Plattformen schaffen und Vertrauen durch Transparenz fördern.

Wir laden die Community ein, in den Kommentaren ihre Erfahrungen mit KI in der Forschung zu teilen: Nutzen Sie bereits KI-Plattformen in der Wirkstoffentwicklung? Welche Chancen und Grenzen sehen Sie? Diskutieren Sie mit!

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