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Digitale Souveränität und Glasfaserproduktion in Deutschland: Ein dringender Weckruf

In einem hell erleuchteten, modernen Industriegebäude arbeitet ein motiviertes Team von Fachkräften konzentriert an der Produktion von Glasfaserkabeln, umgeben von hochpräzisen Maschinen und warmem Tageslicht, das Optimismus und technische Zukunftskraft ausstrahlt.

Die digitale Transformation steht und fällt mit einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur – Glasfaser bildet dabei das Rückgrat. Doch in Deutschland gerät die Produktion dieser Schlüsseltechnologie ins Hintertreffen. Ein Weckruf, der nicht länger ignoriert werden darf.

Glasfaser als kritische Infrastruktur: Worum es geht

Die Digitalisierung durchdringt alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Ob Cloud-Services, KI-Anwendungen, öffentliche Verwaltung oder Industrie 4.0 – ohne eine zuverlässige und breit verfügbare Hochleistungsinfrastruktur bleiben viele Potenziale ungenutzt. Glasfasernetze bieten das notwendige Rückgrat: Sie ermöglichen Datenübertragung mit bisher unerreichter Stabilität, Sicherheit und Geschwindigkeit. Gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen, Energiewende und digitaler Abhängigkeiten rückt ihre strategische Bedeutung stärker in den Vordergrund.

Deutschland gilt beim Glasfaserausbau jedoch noch immer als Nachzügler in Europa. Laut dem FTTH Council Europe lag die Glasfaseranschlussquote (FTTH/B Coverage) in Deutschland 2023 bei lediglich 26,8 Prozent, was deutlich unter dem EU-Durchschnitt von rund 62 Prozent liegt (FTTH Council Europe, März 2023).

Made in Germany? Aktuelle Herausforderungen in der Glasfaserproduktion

Für den flächendeckenden Ausbau fehlt es nicht nur am Tempo beim Ausbau selbst, sondern auch an einer belastbaren industriellen Basis zur Herstellung von Glasfaserkabeln. In jüngster Zeit verschärft sich die Situation durch strukturelle Wettbewerbsnachteile in Deutschland: hohe Energiepreise, steigende Produktionskosten, ein Mangel an Fachkräften und zunehmender Importdruck aus Asien, insbesondere aus China.

Wie der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) in einem Positionspapier im Jahr 2024 festhielt, sind mehrere deutsche Kabelwerke bereits von der Schließung bedroht oder produzieren unter wirtschaftlich bedrohlichen Bedingungen. Gleichzeitig wächst die Importabhängigkeit: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kamen 2023 über 54 Prozent aller Glasfaserkabelimporte aus China – ein Anstieg von 11 Prozentpunkten im Vergleich zu 2020 (Destatis, Februar 2024).

Der Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS) warnt zudem davor, dass die Qualität und Langlebigkeit nicht-europäischer Produkte teilweise nicht dieselben Standards erfüllen wie bei inländischer Produktion, was langfristig die Betriebssicherheit der Netze gefährden kann.

Forderungen des ZVEI: Eine industriepolitische Kurskorrektur

Angesichts dieser Entwicklung fordert der ZVEI eine industriepolitische Kehrtwende. In einem öffentlichen Appell legt der Verband eine Reihe konkreter Maßnahmen nahe, um die Produktion von Glasfaserkabeln langfristig im Inland zu sichern:

  • Energiepreisvergünstigungen für produzierende Unternehmen, insbesondere solche mit stromintensiven Prozessen wie Glaszug und Kabelverarbeitung.
  • Förderprogramme zur Modernisierung bestehender Fertigungskapazitäten und zur Entwicklung neuer innovationsbasierter Herstellungsverfahren.
  • Erhöhung der Resilienz durch formale Mindestanteile europäischer Komponenten in öffentlich geförderten Ausbauprojekten.

„Digitale Souveränität beginnt nicht im Rechenzentrum, sondern in der Produktionshalle“, sagte Dr. Gunther Kegel, Präsident des ZVEI, auf dem Infrastrukturforum 2024 in Berlin. „Wer seine digitale Infrastruktur vollständig auf globale Lieferketten stützt, gibt einen Teil seiner Unabhängigkeit auf.“

Europas Infrastruktur zwischen Abhängigkeit und Autonomie

Die Frage der digitalen Souveränität gewinnt auf europäischer Ebene zunehmend an Gewicht. Seit dem Ukraine-Krieg und den Lieferkettenproblemen der Corona-Pandemie ist klar geworden: essentiell benötigte Technologien wie Chips, Cloud-Dienste und inzwischen auch Glasfaserinfrastruktur dürfen nicht allein aus außereuropäischen Quellen stammen. Die Europäische Kommission hat dieses Thema unter dem Begriff „open strategic autonomy“ strategisch aufgegriffen.

Ein zentrales Element ist dabei das Connectivity Package, das Teil des Digital Decade Policy Program 2030 ist. Dieses fordert, dass bis 2030 alle europäischen Haushalte mit Gigabitverbindungen ausgestattet sein sollen – möglichst durch nachhaltige und souveräne europäische Produktion. Noch jedoch gibt es auf EU-Ebene wenig verbindliche Regelwerke zur Lokalisierung kritischer Infrastruktur entlang industrieller Lieferketten.

Was auf dem Spiel steht: Folgen für Wirtschaft und Sicherheit

Ein Rückgang der Glasfaserproduktion in Deutschland würde nicht nur Industriezweige wie Telekommunikation, Cloud Hosting, Smart City oder autonomes Fahren treffen, sondern auch strategische Bereiche wie Verteidigung, Energieversorgung und Gesundheitswesen. Immer mehr kritische Infrastrukturen laufen heute über Hochgeschwindigkeitsverbindungen, deren Verfügbarkeit als Teil der nationalen Sicherheit betrachtet wird.

Nicht zuletzt führt die asymmetrische Abhängigkeit – etwa von chinesischen Vorprodukten – zu einem geopolitischen Risiko: Im Konfliktfall könnten Lieferketten unterbrochen werden, Preise steigen oder Qualitätsstandards unterlaufen werden. Vergleichbare Entwicklungen ließen sich zuletzt bei der Halbleiterkrise und dem Lithium-Ionen-Batteriemarkt beobachten.

Auch wirtschaftlich drohen Folgen: „Wird die Produktion verlagert, gehen Know-how, Innovationskraft und Fachkräfte verloren, die Deutschland im globalen Wettbewerb dringend braucht“, sagt Prof. Dr. Jens Böckenhoff vom Fraunhofer IZM.

Jetzt gegensteuern: Handlungsempfehlungen für Politik und Industrie

Damit die digitale Transformation nicht an strukturellen Schwächen der Infrastrukturproduktion scheitert, sind zielorientierte Maßnahmen erforderlich. Beteiligte Akteure können bereits heute an mehreren Hebeln ansetzen:

  • Aufbruch zur Industriestrategie 2.0: Politik und Wirtschaft sollten gemeinsam eine Glasfaser-Allianz für Europa schmieden, bestehend aus Herstellern, Betreibern und öffentlichen Institutionen – analog zur European Chips Act-Initiative.
  • Standortattraktivität erhöhen: Um Investitionen zu fördern, müssen schnellere Genehmigungsverfahren, steuerliche Anreize und ein verlässlicher regulatorischer Rahmen geschaffen werden.
  • Netzinvestitionen strategisch steuern: Fördermittel sollten an Nachhaltigkeits- und Sicherheitskriterien geknüpft und ausländische Anbieter strenger geprüft werden.

Von operativer Seite gilt es außerdem, Forschung und Entwicklung zu stärken: Neue Materialien, automatisierte Produktionsprozesse und nachhaltige Glasverarbeitungstechnologien könnten die Effizienz steigern und Deutschlands Stellung als Technologieland festigen.

Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass eine enge Verzahnung zwischen Staat und Industrie Früchte trägt: Dort wurde 2023 ein nationales Glasfaser-Kompetenzzentrum gegründet, das Normung, Qualitätssicherung und Ausbildung bündelt.

Fazit: Die Stunde der Netz-Infrastrukturpolitik

Der Handlungsdruck ist hoch, der Weg aber noch offen. Die digitale Souveränität Europas hängt entscheidend davon ab, ob infrastrukturelle Schlüsseltechnologien wieder stärker lokal gefertigt werden – Glasfaser eingeschlossen. Deutschland steht hier an einem kritischen Punkt: Zwischen globalem Wettbewerb und strategischer Selbstbehauptung braucht es Mut zur Industriepolitik und innovationsgetriebener Zusammenarbeit.

Wer die Zukunft mitgestalten will, darf nicht nur auf die Verfügbarkeit von Datenleitungen vertrauen. Er muss sie bauen – und zwar in Europa.

Wir laden unsere Leserinnen und Leser ein, ihre Perspektiven, Projekt-Erfahrungen und Ideen zur Förderung der Glasfaserproduktion mit uns zu teilen. Schreiben Sie uns, diskutieren Sie mit – und helfen Sie mit, die digitale Basis unserer Zukunft zu sichern.

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