Während China ambitioniert versucht, eine führende Rolle in der globalen KI-Industrie zu übernehmen, verlangsamen interne und externe Herausforderungen immer wieder den Fortschritt. Die jüngsten Verzögerungen beim chinesischen KI-Startup Deepseek beleuchten ein tieferliegendes Problem: Chinas strukturelle Abhängigkeiten im Technologiebereich, insbesondere bei Halbleitern und KI-Infrastruktur.
Ein ambitionierter Plan mit Stolpersteinen: Deepseeks KI-Vision
Als Deepseek im Frühjahr 2023 mit seinem Foundation Language Model „Deepseek-LLM“ an die Öffentlichkeit trat, sahen viele das chinesische Startup als den ersten ernstzunehmenden Herausforderer von OpenAI, Google DeepMind und Anthropic. Das Unternehmen, mit Hauptsitz in Peking, wurde maßgeblich von Ex-Tencent- und Huawei-Forschern gegründet und investierte früh in großskalige Trainingsdaten, Transformer-Architekturen und eigene Infrastrukturlösungen.
Doch die Veröffentlichung des nächsten Modells, Deepseek V2, verzögert sich seit Monaten. Ursprünglich für das erste Quartal 2025 angesetzt, wurde der Rollout nun auf unbestimmte Zeit verschoben – laut Branchenkreisen wegen massiver Engpässe bei der Beschaffung von Hochleistungs-GPUs und Problemen beim Zugriff auf moderne Trainingsplattformen.
Das Chip-Dilemma: Von Nvidia abgeschnitten
Seit den verschärften US-Exportkontrollen im Oktober 2023, die speziell auf KI-Chips und Tools wie CUDA-Bibliotheken abzielen, dürfen Firmen wie Nvidia keine Hochleistungs-GPUs – etwa die A100 oder H100 – mehr nach China liefern. Diese Chips sind jedoch essenziell für das Training großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs). Deepseek wie auch andere chinesische KI-Firmen greifen daher zunehmend auf veraltete Hardware oder inländische Alternativen zurück, was Qualität und Entwicklungsgeschwindigkeit beeinträchtigt.
Chinas heimische Chipindustrie versucht zwar, die Lücke zu schließen – führend dabei ist der Halbleiterhersteller SMIC. Doch aktuelle Analysen, etwa vom US-amerikanischen Center for Strategic and International Studies (CSIS), zeigen, dass chinesische Fertigungen Stand 2025 maximal 7nm-Chips liefern können – mit Performanceeinschränkungen und niedrigerer Yield-Rate gegenüber westlichen Hochleistungschips.
Statistik: Laut einer Schätzung von Bernstein Research (2024) macht Chinas Zugriff auf fortschrittliche KI-GPUs (7nm und kleiner) aktuell nur etwa 4 % des globalen Angebots aus, verglichen mit über 90 % für US-Firmen und deren Partnerländer.
Huawei Ascend: Hoffnungsträger mit Limitierungen
Als einer der wenigen chinesischen Hersteller hochwertiger KI-Chips gilt der Techriese Huawei. Seine „Ascend“-Serie – insbesondere der Ascend 910B – ist für KI-Anwendungen optimiert und kommt bei chinesischen Organisationen wie der Baidu Cloud oder in staatlich geförderten Projekten immer häufiger zum Einsatz.
Doch trotz der beeindruckenden theoretischen Leistung von bis zu 320 TFLOPS FP16 sind Huawei-Chips stark auf das hauseigene CANN-Ökosystem angewiesen. Viele globale Frameworks – etwa PyTorch, TensorFlow oder JAX – müssen aufwendig portiert werden. Zudem berichten Entwickler regelmäßig über fehlende Treiberstabilität, eingeschränkte Toolchains und mangelnde Kompatibilität mit gängigen ML-Workflows.
Dies bestätigt eine interne Analyse der Alibaba DAMO Academy (veröffentlicht im August 2024), die Huawei Ascend bei ML-Benchmarking-Tests unter Volllast im Vergleich zu Nvidia H100 um bis zu 35 % langsamer einstuft.
Fragmentierte Software-Infrastruktur bremst Innovation
Die Hardwareproblematik wird zusätzlich durch Softwarefragmentierung verschärft. Während Open-Source-Lösungen wie Hugging Face, Transformers oder DeepSpeed global als De-facto-Standards gelten, hinkt deren Einsatz in China technisch oft hinterher – nicht zuletzt, weil viele davon auf Nvidia CUDA-Stacks aufbauen, die im Land schwer zu nutzen sind.
Ein prominentes Beispiel ist MegEngine von Megvii, als chinesische KI-Alternative entwickelt – doch mangels breiter Community-Unterstützung und begrenzter Dokumentation konnte sich die Plattform nicht gegenüber PyTorch durchsetzen. Entwickler berichten von mangelnder Interoperabilität, fehleranfälligen Trainingspipelines und kaum verfügbaren Diagnosefunktionen.
Statistik: Laut einer Studie des AI Institute der Tsinghua-Universität (2024) nutzen nur 17 % der chinesischen KI-Firmen standardisierte MLOps-Systeme, wohingegen der globale Durchschnitt bei 41 % liegt.
Strategien zur Überwindung der Hürden
Dennoch zeigen erfolgreiche chinesische Player wie Baidu, iFlyTek oder Inspur, dass technologische Innovation trotz außenpolitischer Einschränkungen möglich ist – mit starkem Fokus auf Eigenentwicklung und vertikaler Integration.
Folgende Handlungsempfehlungen könnten helfen, das chinesische KI-Ökosystem resilienter zu machen:
- Aufbau eigener Rechenzentren: Lokale KI-Zentren mit dedizierter Inhouse-Infrastruktur können Abhängigkeiten von Cloud- oder Westanbietern reduzieren.
- Förderung nationaler Frameworks: Investitionen in eigene Optimierer, Compiler-Stacks und Trainingsbibliotheken senken langfristig den Druck durch fehlende externe Software.
- Talente binden und skalieren: Programme zur Rückgewinnung von Fachkräften aus dem Ausland und zur Ausbildung neuer ML-Engineers verbessern die Innovationskraft nachhaltig.
Das geopolitische Spielfeld: KI wird zur strategischen Kernressource
Künstliche Intelligenz ist kein reines Forschungsthema mehr – sondern eine geostrategische Ressource wie selten zuvor. Die USA, China und die EU versuchen, technologische Souveränität herzustellen. In China wirkt sich dies besonders stark auf Startups wie Deepseek aus, deren Wachstum nun nicht nur vom Talentpool oder Kapital abhängt, sondern immer stärker von Halbleitern, Infrastrukturzugang und internationalen Tech-Beziehungen.
Der chinesische Staatsrat kündigte Mitte 2024 neue Richtlinien zur Förderung „strategisch relevanter KI-Technologien“ an – inklusive steuerlicher Vorteile für Unternehmen, die Hard- und Software ganz oder teilweise lokal entwickeln. Zudem werden Joint Ventures zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren forciert, mit Fokus auf nationale KI-Plattformen.
Deepseek zwischen Vision und Realität
Für Deepseek bleibt die Vision einer unabhängigen, leistungsstarken chinesischen LLM-Plattform trotz aller Rückschläge bestehen. Interne Roadmaps legen nahe, dass man an einem modularen Modelltraining auf heterogener Hardware arbeitet – etwa mit Huawei Ascend und Alibaba Yitian-Instanzen. Zugleich investiert das Unternehmen weiter in eigene Datenannotation und domänenspezifische Optimierungen (z. B. für Medizin und Recht).
Doch die Frage bleibt: Kann ein Startup den Brückenschlag zwischen westlich geprägtem KI-Standard und chinesischer Eigenlösung vollziehen – oder bleibt Deepseek ein Beispiel für ambitionierte Technologie mit systemisch begrenzter Reichweite?
Fazit: Technologische Autonomie erfordert mehr als nationale Strategien
Die Herausforderungen für Chinas KI-Industrie, wie verzögert bei Deepseek sichtbar, sind vielschichtig: fehlende Chips, inkompatible Software, geopolitischer Druck. Zwar sind nationale Gegenmaßnahmen im Gang – etwa durch Huawei oder Baidu – doch der Vorsprung westlicher Systeme in Sachen Stabilität, Entwicklungswerkzeuge und Interoperabilität ist nach wie vor gewaltig.
Für Akteure im globalen KI-Markt lohnt sich ein Blick über den Tellerrand: Chinas Ansatz, eigene Plattformen aufzubauen, könnte mittelfristig neue Innovationsimpulse liefern oder zur Bildung alternativer Tech-Standards führen. Vorausgesetzt, man bewältigt die technologischen Engpässe.
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