Der Energiebedarf von Rechenzentren wächst rasant – und mit ihm die Notwendigkeit für zuverlässige, aber auch nachhaltige Notstromlösungen. Während Dieselgeneratoren bislang als Standard gelten, rücken klimaneutrale Alternativen wie E-Fuels in den Fokus. Können synthetische Kraftstoffe die Zukunft der Rechenzentrums-Stromsicherheit sichern?
Warum Rechenzentren neue Lösungen brauchen
Rechenzentren sind das Rückgrat der digitalen Welt. Ob Cloud-Computing, Streaming oder E-Commerce – ohne Rechenzentren steht die Digitalisierung still. Laut dem Borderstep Institut lag der Stromverbrauch deutscher Rechenzentren im Jahr 2023 bei etwa 18 TWh – ein Anstieg von 4 % im Vergleich zum Vorjahr. Ausfallsicherheit ist dabei entscheidend: Selbst wenige Minuten ohne Strom können Millionenverluste verursachen.
Notstromaggregate, meist auf Dieselbasis, gelten seit Jahrzehnten als sichere Rückfallebene. Doch die Kritik wächst: hohe CO₂-Emissionen, giftige Abgase, fossile Abhängigkeit. In Zeiten Klimaneutralität und ESG-Reporting werden nachhaltige Alternativen immer wichtiger – auch wirtschaftlich, da Umweltauflagen und CO₂-Bepreisung steigen.
E-Fuels: Synthetische Hoffnungsträger im Notstrombetrieb
Eine der spannendsten Entwicklungen kommt derzeit von Ineratec und Rolls-Royce. Die Partner wollen gemeinsam synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) für stationäre Energiesysteme wie Notstromaggregate entwickeln – konkret für die MTU-Aggregate aus dem Rolls-Royce-Geschäftsbereich Power Systems. Dabei geht es nicht nur um Pilotversuche, sondern um eine serienreife Dekarbonisierung gnadenlos kritischer Infrastruktur.
Ineratec, ein deutsches Cleantech-Unternehmen, produziert E-Fuels in einem Power-to-Liquid-Verfahren. Aus Wasserstoff und CO₂ entsteht ein synthetisches Erdöl, das in konventionellen Verbrennungsmotoren genutzt werden kann – ohne technische Umrüstung. Dank Nutzung erneuerbarer Energien bei der Herstellung gelten E-Fuels als nahezu klimaneutral.
Rolls-Royce testete bereits 2023 erste MTU-Motoren mit HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) und kündigte an, bis 2030 alle neuen Notstromlösungen mit synthetischen oder biogenen Kraftstoffen anzubieten. Dies könnte den CO₂-Fußabdruck deutlich senken – bei gleichbleibender Zuverlässigkeit.
Ökologische Vorteile gegenüber Diesel-Systemen
Der größte Vorteil nachhaltiger Notstromlösungen liegt zweifelsohne in der Emissionsbilanz. Während Dieselaggregate im Betrieb erhebliche Mengen CO₂, NOx und Feinstaub freisetzen, können synthetische Kraftstoffe bilanziell klimaneutral arbeiten – vorausgesetzt, die Herstellung nutzt grüne Energie und das CO₂ stammt aus Recyclingprozessen (z. B. Direktabscheidung oder Biogasanlagen).
Laut einer Studie des Fraunhofer ISE aus dem Jahr 2023 reduzieren E-Fuels, hergestellt mit Strom aus 100 % erneuerbaren Quellen, den CO₂-Fußabdruck bei Verbrennung um bis zu 90 % gegenüber fossil erzeugtem Diesel. Zudem entsteht weniger Schwefeldioxid und Ruß – ein Gewinn für Stadtstandorte, wo Luftreinheitsvorgaben besonders streng sind.
Weitere ökologische Pluspunkte entstehen durch:
- Vermeidung der Lagerung fossiler Brennstoffe vor Ort
- Reduktion von Transportemissionen bei regionaler E-Fuel-Produktion
- Potenzial zur vollständigen Kreislaufwirtschaft, wenn CO₂ direkt rückgewonnen wird
Wirtschaftlichkeit: Noch teuer, aber langfristig attraktiv
Kritiker monieren aktuell die hohen Produktionskosten von E-Fuels. Tatsächlich liegen sie im Schnitt noch bei 3–6 €/Liter (Quelle: Agora Verkehrswende, 2024), während fossiler Diesel bei 1,60–1,80 €/Liter liegt. Allerdings: Technologiefortschritte, Skalierungseffekte und regulatorische Push-Faktoren wie CO₂-Bepreisung oder Dieselverbote werden das Verhältnis verändern.
Rolls-Royce und Ineratec setzen bei ihrer Kooperation auf Langfristigkeit. Durch Power Purchase Agreements (PPA) und Integration in Wasserstoff-Hubs sollen Preisniveaus wettbewerbsfähig werden. Zudem wirkt sich die Nutzung nachhaltiger Kraftstoffe positiv auf ESG-Ratings und steuerliche Bevorzugung aus – nicht zu vernachlässigende Faktoren für Betreiber mit internationalem Kundenstamm.
Ein weiterer ökonomischer Aspekt: Wartung und Betrieb konventioneller Dieselaggregate belasten die TCO (Total Cost of Ownership) durch Filterwechsel, Entsorgungskosten und Emissionsabgaben. E-Fuel-basierte Systeme könnten hier einfacher skalieren – mit längeren Intervallen und geringerer Umweltlast.
Praktische Handlungsempfehlungen für Rechenzentrumsbetreiber:
- Jetzt Machbarkeitsstudien für den Einsatz von E-Fuels in bestehenden Notstromaggregaten einleiten
- Förderprogramme für alternative Energiesysteme (z. B. im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude – BEG) prüfen
- Kooperationen mit innovativen Anbietern wie Ineratec oder H2-Kompetenzzentren aufbauen
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein mittelständischer Colocation-Betreiber in Nordrhein-Westfalen testet seit Anfang 2024 ein hybrides Notstromsystem bestehend aus Batteriespeicher, PV-Anlage und rückfallfähigen E-Fuel-Aggregaten – mit positiven Betriebserfahrungen auch bei Lastspitzen.
Alternativen im Feld: HVO, Brennstoffzellen und Batteriespeicher
Während E-Fuels großes Potenzial bieten, sind sie nicht die einzige Antwort auf das Diesel-Dilemma. Einige Betreiber setzen bereits heute auf HVO (Hydrotreated Vegetable Oil), ein Biokraftstoff, der mit existenten Dieselmotoren kompatibel ist. Laut Neste, einem der führenden Produzenten, reduziert HVO die Treibhausgasemissionen um bis zu 90 % gegenüber fossilem Diesel.
Elektrische Batteriesysteme wiederum liefern emissionsfreie Energie – sofern der Strom grün ist. Sie eignen sich vor allem für Kurzzeitüberbrückung oder zur Glättung von Lastspitzen. In Verbindung mit PV oder Wind entsteht ein stabiles System, das ideal mit E-Fuel-Lösungen kombiniert werden kann.
Spannend sind auch Brennstoffzellen, insbesondere auf Wasserstoffbasis. Sie liefern Strom sehr effizient und emissionsarm. Ihr Nachteil ist derzeit noch die vergleichsweise niedrige Verfügbarkeit und hohe Kapitalbindung. Für Hyper-Scale-Betreiber wie Google oder Microsoft könnten sie perspektivisch dennoch hochattraktiv sein – vor allem im Kontext der Dekarbonisierung der Scope-1-Emissionen.
Zukunftsausblick: Wohin steuert die Branche?
Die Sustainable-IT-Agenda hat Rechenzentren längst erreicht. Laut Uptime Institute erwarten 74 % der weltweit befragten Datenzentrumsverantwortlichen in ihrer Global Data Center Survey 2024, dass regulatorische Umweltauflagen in den nächsten fünf Jahren stark zunehmen werden. EU-Taxonomie, Energieeffizienzgesetz und nationale Förderinitiativen verstärken diesen Trend.
Die Notstromversorgung ist historisch ein nachgelagerter Bereich – das ändert sich jetzt. Der zunehmende Fokus auf Nachhaltigkeit, gepaart mit steigender Belastung der Stromnetze, erzwingt innovative Strategien. Betreiber müssen ihre Backup-Systeme als integralen Bestandteil ihrer Klimapläne betrachten.
Bereits heute setzen erste Hyperscaler eigene Nachhaltigkeits-Standards: AWS testet Wasserstoff-Brennstoffzellen, Microsoft investiert in Langzeitspeichertechnologien, Google nutzt AI zur Effizienzsteigerung. Es ist zu erwarten, dass E-Fuels, Hybridlösungen und digitale Steuerungslösungen künftig gemeinsam neue Benchmarks für resilient-nachhaltige Infrastrukturen setzen werden.
Fazit: Zeit zum Umdenken – und Handeln
Die Zukunft der Rechenzentrums-Notstromversorgung ist grün – oder gar nicht. Klassischer Diesel hat aus Klimasicht ausgedient. Unternehmen wie Ineratec und Rolls-Royce zeigen, wie synthetische Kraftstoffe die Lücke zwischen Versorgungssicherheit und Klimaneutralität schließen können. Noch sind E-Fuels eine Investition in die Zukunft – aber eine notwendige angesichts regulatorischer, ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen.
Jetzt sind Betreiber, Entwickler und Entscheidungsträger gefragt, sich aktiv zu vernetzen, Pilotprojekte anzustoßen und nachhaltige Strategien für den Netzersatzbetrieb zu etablieren. Wie sieht eure Lösung für das Rechenzentrum 2030 aus? Diskutiert mit uns über Best Practices, Förderinstrumente und technische Innovationen im Kommentarbereich oder auf LinkedIn!