Rechenzentren gelten als Rückgrat der digitalen Infrastruktur – und genau deshalb ist deren Ausfallsicherheit essenziell. Mit der Partnerschaft von Ineratec und Rolls-Royce nimmt ein innovativer Ansatz Fahrt auf: E-Fuels als nachhaltige Option für die Notstromversorgung. Was wie Zukunftsmusik klingt, rückt nun in greifbare Nähe – mit weitreichenden Folgen für Resilienz, Nachhaltigkeit und regulatorische Konformität.
Strategische Allianz: E-Fuels treffen auf Ingenieurkunst
Im Mai 2024 gaben der deutsche Power-to-Liquid-Pionier Ineratec und der britische Motorenspezialist Rolls-Royce Power Systems (MTU) eine weitreichende Kooperation bekannt. Ziel ist es, synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Quellen – sogenannte E-Fuels – in Notstromanlagen für Rechenzentren einzusetzen. Dabei fungiert Ineratec als Hersteller klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe auf Basis von CO₂ und grünem Wasserstoff, während Rolls-Royce seine Expertise in Dieselaggregaten und Notstromsystemen einbringt.
Diese Kombination adressiert gleich mehrere drängende Herausforderungen der Branche: Die Sicherstellung unterbrechungsfreier Stromversorgung bei gleichzeitiger Reduktion des CO₂-Fußabdrucks. Bisherige Notstromsysteme basieren fast ausschließlich auf fossilen Dieselkraftstoffen – ein wachsendes Problem angesichts immer strengerer Umweltvorgaben und ESG-Kriterien.
Die Kooperation markiert einen Wendepunkt. Sie setzt ein klares Signal, dass Nachhaltigkeit und Hochverfügbarkeit keine Gegensätze mehr sein müssen – im Gegenteil: Sie sind künftig untrennbar verbunden.
Technologischer Hintergrund: So funktionieren E-Fuels von Ineratec
Das Herzstück der Lösung liegt in der Technologie von Ineratec. Das Karlsruher Unternehmen nutzt modulare chemische Reaktoren, um aus CO₂ und grünem Wasserstoff synthetische Kohlenwasserstoffe herzustellen. Dieser Prozess basiert auf der Fischer-Tropsch-Synthese, die durch innovative Designansätze miniaturisiert und skalierbar geworden ist. So entsteht ein flüssiger Kraftstoff, der in bestehenden Verbrennungssystemen genutzt werden kann – ganz ohne technische Umrüstung.
Ineratec baut derzeit im Industriepark Höchst bei Frankfurt am Main eine der weltweit größten Anlagen zur E-Fuel-Produktion. Die Anlage soll ab 2026 jährlich bis zu 4.000 Tonnen synthetischen Kraftstoff liefern – mit dem Ziel, mittelfristig industrielle und kritische Infrastrukturen wie Rechenzentren zuverlässig mit synthetischem Notstrom zu versorgen.
Rolls-Royce testet parallel seine MTU-Notstromaggregate mit verschiedenen synthetischen Kraftstoffblends – unter anderem mit HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) und nun verstärkt mit den E-Fuel-Produkten von Ineratec. Die Tests zeigen bisher vielversprechende Resultate sowohl hinsichtlich Emissionsverhalten als auch Betriebsstabilität.
Mehr Resilienz durch grüne Redundanz
Rechenzentren sind auf Redundanz angewiesen – nicht nur bei Server-Hardware und Netzwerkinfrastruktur, sondern vor allem bei der Stromversorgung. Notstromgeneratoren (Diesel Gensets) gehören seit Jahrzehnten zum Standard. Doch angesichts von Klimakrise, geopolitischen Lieferabhängigkeiten und Nachhaltigkeitsanforderungen braucht es ein Update für diese kritische Backuplösung.
Hier punkten E-Fuels auf mehreren Ebenen:
- Kompatibilität: Sie können in bestehenden Geräten ohne Umbau verwendet werden.
- Klimaneutralität: Der CO₂-Kreislauf ist geschlossen, da das zuvor gebundene Kohlendioxid bei der Verbrennung wieder freigesetzt wird.
- Unabhängigkeit: Die Herstellung aus Wasserstoff und CO₂ kann lokal, dezentral und in geopolitisch stabilen Regionen erfolgen.
Laut einer Studie des Uptime Institute berichteten im Jahr 2023 mehr als 60 % der Betreiber weltweit von einem signifikanten Stromausfall innerhalb der letzten drei Jahre – viele davon mit wirtschaftlichen Schäden im siebenstelligen Bereich. Resilienz ist also kein Nice-to-have mehr, sondern ein zentrales Kriterium moderner Datacenter-Planung.
Durch die Integration synthetischer Kraftstoffe stellen Betreiber sicher, dass auch in klimarelevanten Notfallszenarien (z. B. Dieselknappheit, CO₂-Bepreisung) eine Notstromversorgung gewährleistet bleibt. Das stärkt nicht nur die Versorgungssicherheit – es gibt auch Pluspunkte beim ESG-Rating und in der öffentlichen Wahrnehmung.
Nachhaltiger Notstrom als Zukunftsstandard
Die Partnerschaft zwischen Ineratec und Rolls-Royce ist mehr als ein technisches Pilotprojekt – sie schafft die Grundlage für einen neuen Standard in der Infrastrukturplanung. Dabei trifft sie den Nerv der aktuellen Debatte: Wie lassen sich Innovation, Klimaschutz und Versorgungssicherheit verbinden?
Denn laut dem Branchenverband Bitkom stieg der Strombedarf deutscher Rechenzentren 2022 auf knapp 19 Terawattstunden – das entspricht rund 3,5 % des deutschen Gesamtverbrauchs. Mit wachsender Zahl von Edge- und Hyperscale-Datacentern wird auch der Bedarf an Redundanzsystemen steigen. Notstrom also nicht als Nischenlösung, sondern als systemische Stellschraube für CO₂-Einsparungen.
Rolls-Royce plant bereits, die gesamte MTU-AGR-Technologielinie mittelfristig E-Fuel-kompatibel zu machen. Ineratec wiederum bereitet neue Produktionsstandorte in den USA und dem Nahen Osten vor, um Skalierungspotenziale zu erschließen. Die Nachfrage nach nachhaltigem Backup-Strom dürfte ab 2026 deutlich anziehen – getrieben durch ESG-Offenlegungspflichten, Green Deal-Förderprogramme und Druck von Investoren.
Wettbewerbsvorteil durch regulatorische Weitsicht
Zu den wichtigsten Treibern der Entwicklung zählt die politische Regulierung. Die neue EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet ab 2025 Unternehmen dazu, ihre Nachhaltigkeitsrisiken und -maßnahmen offenzulegen. Für Betreiber großer Rechenzentren wird die Frage nach CO₂-effizientem Notstrom zum Prüfkriterium in Audits und Lieferantenbewertungen.
Zudem plant die EU-Kommission laut einem Entwurf zur „Net-Zero Industry Act“ die Schaffung eines strategischen E-Fuel-Marktes, um Industrie und Infrastruktur klimaresilient abzusichern. Unternehmen, die jetzt bereits auf grüne Backup-Systeme setzen, verschaffen sich nicht nur einen Image-, sondern auch einen genehmigungsrechtlichen Vorteil bei künftigen Ausbauplänen.
Praxistipps: So gelingt der Umstieg auf synthetischen Notstrom
- Führen Sie eine detaillierte Vergleichsanalyse zwischen herkömmlichen Diesel und E-Fuel durch, inkl. Lebenszykluskosten und regulatorischer Risiken.
- Arbeiten Sie mit OEMs (z. B. Rolls-Royce) zusammen, um Aggregate gezielt auf E-Fuel-Testbetrieb umzurüsten und zu zertifizieren.
- Sichern Sie frühzeitig Lieferverträge mit Produzenten wie Ineratec, um Versorgungssicherheit auch in Versorgungskrisen zu gewährleisten.
Ein Blick in die Zukunft der Infrastrukturbranche
Die Partnerschaft zwischen Ineratec und Rolls-Royce steht exemplarisch für eine neue Dynamik im Infrastruktursektor: Klimaziele, Resilienzanforderungen und Innovation wachsen zusammen. In der Kombination aus synthetischen Kraftstoffen und bewährter Anlagentechnik liegt enormes Potenzial – wirtschaftlich wie ökologisch.
Die eigentliche Tragweite wird sich ab 2026 zeigen, wenn erste Großrechenzentren vollständig auf E-Fuel-ready umstellen. Was heute als Vorreiterprojekt gilt, könnte morgen Industrie-Standard werden. Fest steht: Nachhaltigkeit gehört künftig zur Systemarchitektur – auch und gerade im Backup-Bereich.
Wie sehen Ihre Pläne für eine klimaresiliente Stromversorgung aus? Tauschen Sie sich mit anderen Infrastrukturexpert:innen in den Kommentaren aus – wir freuen uns auf Ihre Perspektiven.