Angesichts zunehmender Cyberbedrohungen und wachsender regulatorischer Anforderungen rückt ein Begriff immer stärker in den Fokus von IT-Verantwortlichen: Cyber Resilience. Mit dem anstehenden Cyber Resilience Act der EU gewinnt dieses Konzept nun auch auf gesetzlicher Ebene an Bedeutung – und verlangt von Unternehmen ein grundlegendes Umdenken in ihrer IT-Sicherheitsstrategie.
Was bedeutet Cyber Resilience?
Cyber Resilience beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, cyberbezogene Störungen nicht nur zu verhindern, sondern auch effektiv darauf zu reagieren und sich rasch davon zu erholen. Im Gegensatz zu klassischer IT-Sicherheit, die primär auf Prävention ausgerichtet ist, umfasst Cyber Resilience einen holistischen Ansatz: Prävention, Detektion, Reaktion und Wiederherstellung werden gleichermaßen berücksichtigt.
Das Ziel: Geschäftsprozesse trotz Sicherheitsvorfällen aufrechterhalten und langfristig absichern. In Zeiten zunehmender Cyberangriffe – 2024 registrierte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) über 70.000 gemeldete Sicherheitsvorfälle allein in Deutschland – wird Cyber Resilience zum essenziellen Bestandteil digitaler Unternehmensstrategien.
Der EU Cyber Resilience Act: Regelwerk für sichere Software und Produkte
Am 15. März 2024 veröffentlichte die EU mit dem Cyber Resilience Act (CRA) ein umfassendes Gesetzespaket, das die Cybersicherheit vernetzter Produkte und Software in Europa standardisieren soll. Das Ziel: Sicherheitsanforderungen über den gesamten Lebenszyklus digitaler Produkte hinweg verbindlich machen – von der Entwicklung über die Bereitstellung bis hin zu Updates und die Kommunikation von Schwachstellen.
Der CRA betrifft dabei eine breite Produktpalette – von IoT-Geräten über Industrieanwendungen bis zu klassischen Softwarelösungen. Hersteller, Importeure und Händler werden zukünftig verpflichtet sein, die Konformität ihrer Produkte mit den neuen Sicherheitsanforderungen nachzuweisen. Betroffen sind dabei insbesondere:
- Unternehmen, die vernetzte Hardware oder Software auf dem EU-Markt vertreiben
- Hersteller von kritischen digitalen Produkten (z. B. Anwendungen für Infrastruktur oder Energieversorgung)
- Entwickler sicherheitsrelevanter Softwarelösungen
Die Fristen sind bereits definiert: Der CRA soll nach seiner finalen Verabschiedung im Rat und Parlament ab 2027 verbindlich angewendet werden – mit Übergangsfristen von 36 Monaten (Standardprodukte) bzw. 21 Monaten (kritische Produkte mit hohem Risiko).
Ein Paradigmenwechsel von IT-Sicherheit zu Cyber Resilience
Der shift von „Cybersecurity“ zu „Cyber Resilience“ bedeutet mehr als semantische Feinheiten. Während klassische IT-Sicherheit oft als technisches Problem adressiert und isoliert betrachtet wird, erfordert Cyber Resilience eine strategische, unternehmensweite Integration. Unternehmen müssen sich fragen:
- Wie robust sind unsere Prozesse gegenüber digitalen Angriffen?
- Wie schnell können wir nach einem Sicherheitsvorfall den Betrieb wieder aufnehmen?
- Welche organisatorischen, technischen und personellen Ressourcen benötigen wir für Resilienz statt nur für Prävention?
Die DDoS-Attacke auf eine große deutsche Krankenhausgruppe im Herbst 2023 – mit einem Betriebsstillstand von über 3 Tagen – zeigt deutlich, dass Prävention alleine keine Ausfälle verhindert. In modernen Sicherheitsstrategien gewinnt deshalb die Schnelligkeit der Wiederherstellung (Mean Time to Recovery, MTTR) an operativer Bedeutung.
Auswirkungen auf Unternehmen: Vom IT-Team bis zur Vorstandsebene
Mit dem Inkrafttreten des CRA werden Unternehmen in der EU verpflichtet sein, bereits in ihrer Produktentwicklung Cybersicherheitsmechanismen zu verankern – Security by Design wird Norm. Das betrifft nicht nur Entwickler, sondern auch Prozesse in der Qualitätssicherung, Zuliefererkontrolle und Lifecycle-Kommunikation.
Besonders die Geschäftsleitung ist gefordert: Der CRA sieht vor, dass Organisationen einen Nachweis über kontinuierliche Risikobewertung, Schwachstellenmanagement und Pflicht zur Meldung kritischer Sicherheitsprobleme innerhalb von 24 Stunden leisten. Damit wird Cyber Resilience zur Chefsache.
Laut einer Umfrage von IDC aus dem Jahr 2024 sehen 64 % der europäischen Unternehmen größere Herausforderungen in der Umsetzung der CRA-Anforderungen, insbesondere beim Patch-Management von Altsoftware und bei der Nachverfolgung von Software-Komponenten.
Geforderte Maßnahmen für mehr Cyber Resilience
Cyber Resilience bedeutet, IT nicht mehr nur als Infrastruktur, sondern als strategisches Asset zu betrachten. Unternehmen müssen handeln – auch unabhängig von gesetzlichen Regularien. Hier einige bewährte Maßnahmen:
- Zero Trust-Architektur implementieren: Jeder Nutzer, jedes Gerät und jede Anwendung muss kontinuierlich verifiziert werden – ohne „Vertrauen per default“.
- Business Continuity & Incident Response Pläne erstellen: Simulieren Sie regelmäßig Notfallpläne, um im Ernstfall vorbereitet zu sein.
- Regelmäßige Software Bill of Materials (SBOM): Transparenz über eingesetzte Softwarekomponenten und deren Herkunft sichert Kontrollierbarkeit und Compliance.
Zusätzlich empfiehlt das BSI seit 2024 ein resilienzfokussiertes Security-Rahmenwerk, das auf den Prinzipien der NIST-Cybersecurity-Frameworks basiert und speziell für mittelständische Unternehmen angepasst wurde.
Einbindung von DevSecOps und Automatisierung
Um CRA-konform zu agieren, rücken Entwicklung, Sicherheit und Betrieb enger zusammen. Der DevSecOps-Ansatz, bei dem Sicherheitsprüfungen automatisiert in Entwicklungszyklen integriert werden, gilt dabei als Schlüsselstrategie. Automatisierte Codeanalysen, Schwachstellenscanner und Infrastructure-as-Code lassen sich lückenlos in CI/CD-Pipelines integrieren. So lässt sich nicht nur Compliance sicherstellen, sondern auch die Time-to-Market verkürzen.
Zugleich gewinnen Security Orchestration, Automation and Response (SOAR)-Lösungen an Bedeutung, um im Incident-Fall automatisiert Maßnahmen auszulösen – von Alarmierung bis hin zur Isolierung kompromittierter Systeme.
Cyber Resilience als Wettbewerbsvorteil
Längst ist IT-Sicherheit nicht nur Risikomanagement, sondern auch Vertrauenswährung. Kunden fordern transparente Sicherheitspraktiken. Investoren achten vermehrt auf ESG-konforme IT-Governance. Und Partner wählen zunehmend resilient agierende Organisationsstrukturen.
Cyber Resilience kann damit ein echter Wettbewerbsvorteil sein. Unternehmen, die jetzt in resiliente Architekturen, Prozesse und Teams investieren, stärken nicht nur ihre Abwehr, sondern auch ihre Innovations- und Handlungsfähigkeit – selbst in Krisenzeiten.
Fazit: Widerstandskraft ist die neue Sicherheit
Mit dem kommenden Cyber Resilience Act rückt ein Paradigmenwechsel in der IT-Sicherheit in greifbare Nähe. Statt reiner Abwehrmaßnahmen braucht es robuste Architekturen, ausgereifte Reaktionspläne und ganzheitliches Denken – von der Entwicklung bis zur Geschäftsführung.
Die Zeit zum Handeln ist jetzt – nicht erst 2027. Wer Cyber Resilience strategisch angeht, schafft nicht nur gesetzliche Compliance, sondern übernimmt Verantwortung für digitale Stabilität in einer vernetzten Welt.
Diskutieren Sie mit: Welche Maßnahmen setzen Sie bereits zur Cyber Resilience um? Welche Herausforderungen sehen Sie mit dem CRA auf Ihr Unternehmen zukommen? Teilen Sie Ihre Einschätzungen, Best Practices oder Fragen mit unserer Community im Kommentarbereich.