Mit der offiziellen Inbetriebnahme von „Jupiter“, Europas erstem Exascale-Supercomputer, betritt die europäische Tech-Landschaft eine neue Ära. Das System verspricht massive Rechenleistungen für Wissenschaft, Industrie und Politik – und könnte Europas digitale Souveränität nachhaltig stärken.
Ein Meilenstein für das europäische Hochleistungsrechnen
Am Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen wurde im Sommer 2025 der Supercomputer Jupiter (Joint Undertaking Pioneer for Innovative and Transformative Exascale Research) offiziell eingeweiht. Betrieben durch das europäische HPC-Konsortium EuroHPC Joint Undertaking, ist er der erste europäische Rechner mit Exascale-Leistung – das heißt: Jupiter kann mehr als eine Trillion (10^18) Rechenoperationen pro Sekunde ausführen.
Mit einer theoretischen Spitzenleistung von über 1 Exaflops (1.000 Petaflops) und einem hybriden System, das sowohl klassische CPUs als auch GPU-Beschleuniger nutzt, positioniert sich Jupiter in einer globalen Liga, die bislang von den USA und China dominiert wurde. Zum Vergleich: Der derzeit schnellste Supercomputer der Welt – der „Frontier“ am Oak Ridge National Laboratory in den USA – erreicht laut Top500-Liste im November 2024 eine Leistung von rund 1,2 Exaflops.
Die Baukosten für Jupiter belaufen sich auf ungefähr 500 Millionen Euro und wurden zu gleichen Teilen von der EU und dem deutschen Bildungs- und Forschungsministerium (BMBF) getragen. Das System basiert auf der modularen Architektur von Siemens/ParTec und wird mit energieeffizienten NVIDIA Grace Hopper Superchips betrieben.
Diese strategische Investition zielt darauf ab, Europas Unabhängigkeit in Schlüsselbereichen wie Rohstoffsicherung, Cybersicherheit und digitaler Infrastruktur zu stärken.
Digitale Souveränität als europäisches Kernziel
Die Europäische Kommission betont seit Jahren die Bedeutung digitaler Souveränität, insbesondere angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und zunehmender Abhängigkeit von US-Dienstleistern. Mit Jupiter untermauert Europa seine Ambitionen, sich technologisch zu emanzipieren und eigene Infrastrukturen aufzubauen, die unabhängig von internationalen Lieferketten oder politischen Unsicherheiten sind.
Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt, erklärte anlässlich des Starts von Jupiter: „Europa braucht seine eigenen Rechenressourcen, um seine technologischen Wettkämpfe zu gewinnen – im Bereich Künstliche Intelligenz (KI), bei der Medikamentenentwicklung oder bei nachhaltigen Industrieprojekten.“
Auch institutionelle Einrichtungen wie die Europäische Weltraumagentur ESA, das CERN oder das Max-Planck-Institut zählen zu den priorisierten Nutzern der Exascale-Plattform und können damit auf Rechenpower zurückgreifen, die vorher nur außerhalb Europas verfügbar war.
Anwendungsfelder mit Transformationspotenzial
Der Zugriff auf Exascale-Rechenleistung verspricht Fortschritte in einer Vielzahl von Bereichen:
- Meteorologische Berechnungen: Komplexe, hochauflösende Klimamodelle mit Echtzeitdatenintegration, etwa zur besseren Vorhersage von Extremwetterereignissen oder globalen Klimaentwicklungen.
- Gesundheitsforschung: Schnelleres Wirkstoffdesign mittels KI-gestützter Molekülanalyse, Simulation individueller Krankheitsverläufe oder pandemiebezogener Ausbreitungsprognosen.
- Materialforschung: Entwicklung neuer hochperformanter Materialien für die Energiewende – von leichten Luftfahrtwerkstoffen bis hin zu Supraleitern für Quantencomputer.
- Künstliche Intelligenz und Large Language Models: Training fortgeschrittener, mehrsprachiger KI-Modelle mit europäischem Datenschwerpunkt, etwa als Alternative zu GPT-Systemen von OpenAI oder Google.
Ein konkretes Beispiel: Im Rahmen des EU-Projekts Destination Earth soll Jupiter genutzt werden, um einen digitalen Zwilling der Erde zu erstellen – ein umfassendes, rechenintensives Modell, das Umweltrisiken und Klimawandel mit bisher unerreichter Genauigkeit simulieren kann. Dafür ist eine immense Rechenleistung notwendig, die nur ein Exascale-System liefern kann.
Europäische Infrastruktur im Aufwind
Jupiter ist ein wichtiger Schritt, aber Teil eines größeren Ganzen. Insgesamt betreibt das EuroHPC-JU aktuell neun Supercomputing-Zentren auf dem Kontinent, darunter LUMI in Finnland, der aktuell zweitschnellste Rechner Europas mit rund 550 Petaflops, sowie Leonardo in Italien.
Mit der Finalisierung von Jupiter steigt Europa nicht nur technologisch auf, sondern etabliert auch offene Schnittstellen und Cloud-Services für europäische Unternehmen, Start-ups und Forschungseinrichtungen. Diese Demokratisierung des Zugangs zu HPC-Ressourcen kann langfristig gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen, insbesondere gegenüber Anbietern in den USA und China.
Auch im Energiekontext zeigt Jupiter Innovationskraft: Der Supercomputer wird mit Strom aus erneuerbaren Quellen speisen und nutzt ein fortschrittliches Warmwasserkühlungssystem, das eine Energieeffizienz von über 92 % ermöglichen soll (Quelle: Forschungszentrum Jülich, 2025).
Die aktuelle Marktdynamik zeigt zudem die Relevanz solcher Projekte: Laut IDC werden weltweit bis 2027 rund 38 Milliarden US-Dollar in High Performance Computing investiert, davon 9,5 Milliarden in Europa. (Quelle: IDC Worldwide HPC Forecast, Q2 2024)
Damit Europa diese Chancen nachhaltig nutzen kann, braucht es koordinierte Strategien – nicht nur technisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich.
Empfehlungen für Unternehmen und Forschungseinrichtungen
Um das Potenzial von Jupiter und weiterer europäischer HPC-Infrastrukturen optimal zu nutzen, empfehlen Experten folgende Maßnahmen:
- Frühzeitige Integration in Förderprojekte: Nutzung von EU-Programmen wie Horizon Europe oder das Digital Europe Programme, um Zugang zu Rechenzeit und Projektpartnern zu erhalten.
- Aufbau von HPC-Kompetenzzentren: Besonders KMUs profitieren vom Wissenstransfer durch spezialisierte HPC-Schulungszentren wie EuroCC oder PRACE.
- Datenethik und Datenschutz priorisieren: Forschende sollten auf DSGVO-konforme Datenverarbeitung achten und besonders bei sensiblen Medizindaten sichere Verfahren etablieren.
Zudem sind offene Schnittstellen und standardisierte APIs entscheidend, damit nationale HPC-Dienste interoperabel bleiben und Synergien durch föderierte Datenräume entstehen.
Brücken zwischen Europa und der Welt
Auch wenn digitale Souveränität ein zentrales Ziel ist, steht die europäische HPC-Strategie nicht im Widerspruch zu internationaler Zusammenarbeit. Im Gegenteil: Über Initiativen wie GAIA-X oder das European Open Science Cloud-Projekt sollen Datenflüsse kontrolliert, aber nicht abgeschottet werden.
So plant beispielsweise das CERN engere Kooperationen mit US-amerikanischen Forschungszentren beim Datenaustausch in der Teilchenphysik. Entscheidend ist laut Analysten, dass Europa nicht in isolationistische Denkweisen verfällt, sondern offene Technologien mit strategischer Kontrolle vereint.
Fazit: Chancen nutzen, Herausforderungen gestalten
Mit Jupiter verfügt Europa erstmals über eine Rechenressource, die globale Maßstäbe setzt – und das Embedded in ein zunehmend starkes Netzwerk europäischer HPC-Zentren. Damit eröffnen sich enorme Potenziale für Innovation, sektorübergreifenden Fortschritt und internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Gleichzeitig erfordert der Hochlauf solcher Infrastruktur kontinuierliche Investitionen, regulatorische Weitsicht und einen integrativen Zugang für Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft. Datensouveränität darf nicht mit Verschlossenheit verwechselt werden – das Ziel muss ein fairer, sicherer und innovativer digitaler Binnenmarkt sein.
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