Rechenzentren stehen zwar im Zentrum der digitalen Transformation, sind jedoch auch massive Energieverbraucher. Angesichts steigender Klimaschutzanforderungen gewinnt die nachhaltige Nutzung von Abwärme als Schlüsseltechnologie rasant an Bedeutung.
Rechenzentren und ihre ökologische Herausforderung
Weltweit verbrauchen Rechenzentren laut einer Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) jährlich etwa 1-1,5 % des globalen Stroms – Tendenz steigend. Allein in Deutschland waren es 2023 rund 16 Milliarden Kilowattstunden, so das Borderstep Institut. Während der Bedarf an cloudbasierten Anwendungen, KI-Systemen und Edge Computing wächst, rückt die Frage in den Fokus, wie dieser enorme Energiehunger nachhaltiger gestaltet werden kann.
Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Abwärme, die durch Serverbetrieb und Kühlung entsteht. Statt diese ungenutzt an die Umgebung abzugeben, kann sie effizient in bestehende Fernwärmenetze eingespeist werden – eine Option mit erheblichen ökologischen und wirtschaftlichen Vorteilen.
Abwärmenutzung: Prinzip, Potenziale und Praxis
Das Prinzip ist einfach: Server erzeugen bei Betrieb Wärme, die über Kühlsysteme abgeführt wird. Wird diese Wärme jedoch gezielt eingefangen, temperiert und weiterverteilt, lässt sich ein erheblicher Teil der Energieverluste rückgewinnen. Mit geeigneter Technik – wie Wärmepumpen, Wärmetauschern und Pufferspeichern – lässt sich die Niedrigtemperaturwärme so aufbereiten, dass sie in Nah- oder Fernwärmenetze eingespeist werden kann.
Das Potenzial ist enorm. Laut dem Projekt Green IT Amsterdam könnten europaweit über 50 TWh Fernwärme pro Jahr allein aus der Abwärme von Rechenzentren gewonnen werden. Dies könnte Millionen Tonnen CO2 einsparen – vorausgesetzt, die Infrastruktur zur Nutzung ist vorhanden.
Fallbeispiel Gießen: Ein Rechenzentrum als Wärmelieferant
Ein aktuelles und prominentes Beispiel für kluge Abwärmenutzung ist das geplante Rechenzentrum am Campus Gießen von Mainova WebHouse. In Kooperation mit dem Energieversorger Mainova und der THM (Technische Hochschule Mittelhessen) soll hier nicht nur ein energieeffizienter Standort entstehen, sondern aktiv zur lokalen Wärmewende beigetragen werden.
Bis zu 40 % des Wärmebedarfs in einem neuen Gießener Stadtquartier könnten künftig durch die Abwärme dieses Rechenzentrums gedeckt werden, wie Mainova mitteilt. Das Zentrum wird mit neuester Kühltechnologie und hochmoderner Wärmerückgewinnung ausgestattet. Herzstück des Konzepts ist die Einspeisung der überschüssigen Serverwärme in das lokale Nahwärmenetz – ein Paradebeispiel für Sektorenkopplung und energetische Synergien durch Digitalisierung.
Umwelteffekte und wirtschaftliche Vorteile
Die Vorteile dieser Entwicklung sind eindeutig:
- Reduktion von Treibhausgasen: Durch Einspeisung der Abwärme in Fernwärmenetze kann die Nutzung von Erdgas deutlich verringert werden. Bis zu 500 Tonnen CO2-Einsparung jährlich sind bei größeren Anlagen realistisch.
- Kosteneffizienz: Betreiber von Rechenzentren können durch Abwärmeverwertung neue Einnahmequellen erschließen oder Anreize durch Förderprogramme erhalten.
- Stärkung der städtischen Infrastruktur: Kommunale Energie- und Wärmenetze profitieren direkt von zusätzlicher CO2-armer Wärmeversorgung.
Besonders in Zeiten hoher Energiepreise ist die lokale Wärmeerzeugung aus Rechenzentren ein strategischer Vorteil. Der deutsche Branchenverband Bitkom fordert daher schon seit 2022 eine stärkere regulatorische Berücksichtigung und gezielte Investitionsanreize für Abwärmenutzung.
Technische und regulatorische Herausforderungen
Trotz der hohen Potenziale gibt es Hürden. Zum einen ist die Temperatur der Serverwärme oft zu gering (zwischen 25-40 °C), um direkt in Fernwärmenetze eingespeist zu werden. Hier benötigen Betreiber Wärmepumpen, was zusätzliche Investitionen und Energieeinsatz bedeutet. Zum anderen hapert es vielerorts an geeigneter Infrastruktur und klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Die Bundesnetzagentur arbeitet derzeit an Richtlinien, um die Netzintegration von Abwärme zu vereinfachen. Zudem könnte das novellierte Gebäudeenergiegesetz (GEG) in kommenden Versionen eine verpflichtende Abwärmenutzung für neue Rechenzentren vorsehen – wie es bereits in Dänemark und den Niederlanden der Fall ist.
Energieeffizienz als ganzheitliche Strategie
Abwärmenutzung allein macht ein Rechenzentrum noch nicht nachhaltig. Sie ist Teil eines umfassenden Konzepts, zu dem auch Energieeffizienz, grüne Stromversorgung und modulare Bauweisen gehören. Moderne Anlagen setzen auf Direktflüssigkühlung, freie Kühlung über Außentemperaturen oder KI-gestütztes Energiemanagement zur Reduktion des Total Power Usage Effectiveness (PUE).
Der durchschnittliche PUE-Wert in Deutschland liegt laut Borderstep bei 1,6, Spitzenreiter erreichen 1,2 oder darunter. Ziel muss es sein, durch Technologieeinsatz und smarte Planung ganzheitlich Ressourcen zu sparen – inklusive Koppelung mit Photovoltaik, Wind oder grüner Wasserstofftechnologie.
Praktische Handlungsempfehlungen für Betreiber
Damit der Einstieg in die Abwärmenutzung gelingt, sollten Betreiber folgende Punkte berücksichtigen:
- Kooperationspartner frühzeitig einbinden: Stadtwerke, Wärmenetzbetreiber und Kommunen sollten von Anfang an in die Planung einbezogen werden.
- Förderprogramme nutzen: Die KfW bietet Programme zur CO2-freien Energieversorgung von Rechenzentren. Auch EU-Fördergelder sind abrufbar.
- Technologische Machbarkeit prüfen: Eine professionelle Machbarkeitsstudie inklusive Wirtschaftlichkeitsanalyse vermeidet spätere Investitionsrisiken.
Künftige Entwicklungen und Blick in die Branche
Der Trend zeigt klar nach oben: Laut Uptime Institute plant ein Drittel der Hyperscaler bis 2026 ihre Rechenzentren mit Abwärmenutzung auszustatten oder Wärme anzubieten. Auch auf europäischer Ebene wird das Thema forciert – unter anderem durch das EU-Klimaziel „Fit for 55“ und die Implementierung nachhaltiger Taxonomien im Investitionssektor.
Innovative Konzepte wie Unterwasserrechenzentren, Mikronetze und AI-basiertes Thermomanagement zeigen bereits, wohin die Entwicklung geht. Entscheidend ist: Nachhaltigkeit wird zum Wettbewerbsvorteil – nicht nur regulatorisch, sondern auch auf Investoren- und Kundenseite.
Fazit: Von der Abwärme zum Fortschritt
Die Energiezukunft der Rechenzentren liegt nicht nur in effizienter Technik, sondern in der intelligenten Verknüpfung mit der Umwelt – im wahrsten Sinne des Wortes. Abwärmenutzung bietet einen konkreten Hebel, um Digitalisierung mit Dekarbonisierung zu vereinen.
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