Die Sicherheit in der Software-Lieferkette ist zur neuen Achillesferse moderner Unternehmen geworden. Spätestens seit der wachsenden Zahl an Supply Chain Angriffen – wie unlängst im Fall des NPM-Repositorys – ist klar: Die Bedrohungslage verlagert sich tief in die IT-Infrastruktur. Wie also können Unternehmen ihre Lieferketten gegen gezielte Manipulationen absichern?
Supply Chain Attacken: Eine unterschätzte Cyber-Bedrohung
Unter Supply Chain Angriffen versteht man gezielte Manipulationen entlang der digitalen Lieferkette von Softwareprodukten – etwa durch eingeschleusten Schadcode in vertrauenswürdige Drittanbieter-Komponenten oder -Bibliotheken. Ein bekanntes Beispiel: der SolarWinds-Hack 2020, bei dem über ein kompromittiertes Update rund 18.000 Kunden Zugang zu infizierter Software erhielten – darunter US-Regierungsbehörden.
2024 sorgte ein weiterer Vorfall für Aufsehen: Angreifer infiltrierten das Node Package Manager (NPM) Repository – die zentrale Plattform für JavaScript-Bibliotheken – und veröffentlichten manipulierte Pakete mit Backdoors. Laut GitHub wurden infizierte Pakete teils millionenfach heruntergeladen, bevor sie entdeckt und entfernt wurden.
Besonders kritisch: Supply Chain Angriffe nutzen das Vertrauen in etablierte Tools und Frameworks aus. Eine Sicherheitslücke wirkt sich potenziell auf Tausende Projekte und Systeme weltweit aus.
Ein Blick in die Zahlen: Cyber-Risiken entlang der Lieferkette
Laut der Studie “Cybersecurity Supply Chain Risk Report 2024” von BlueVoyant gaben 98 % der befragten Unternehmen weltweit an, von Vorfällen betroffen gewesen zu sein, die auf Schwachstellen in der Lieferkette zurückzuführen sind. Gleichzeitig verfügen nur 23 % über eine vollständig implementierte Strategie zum Management von Drittanbieterrisiken.
Ein weiterer Report von ENISA (European Union Agency for Cybersecurity) aus dem Jahr 2023 zeigt, dass 62 % aller dokumentierten Supply-Chain-Angriffe auf Open-Source-Komponenten abzielen – ein Trend, der sich 2024 weiter verschärft hat. Besonders betroffen sind stark genutzte Plattformen wie PyPI, Maven Central oder eben NPM.
Diese Zahlen verdeutlichen: IT-Sicherheit endet nicht mehr an der eigenen Firewall. Die Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied – und dieses liegt immer öfter außerhalb des direkten Einflussbereichs.
Angriffsvektoren verstehen: Wie Supply Chain Kompromittierungen ablaufen
Um präventive Maßnahmen gezielt umzusetzen, ist ein grundlegendes Verständnis der gängigen Angriffsvektoren erforderlich. Die häufigsten Methoden beinhalten:
- Kompromittierte Entwicklungswerkzeuge: Entwickler verwenden Tools oder CI/CD-Pipelines, die schadhaften Code einschleusen.
- Manipulierte Softwarepakete: In populäre Bibliotheken werden Trojaner oder Malware-Module eingefügt.
- Identitätsdiebstahl: Die Accounts von Maintainer:innen werden übernommen, um autorisierten Schadcode zu veröffentlichen – wie im Fall des Mailparser-Projekts 2024 auf PyPI.
- Lieferanteninfiltration: Durch den Zugriff auf Dienstleister (z. B. IT-Outsourcing, Cloud-Dienste) wird indirekt Zugriff auf Firmenressourcen erlangt.
Ein prominentes Beispiel war 2023 die kompromittierte XZ Utils-Kompression in Linux-Distributoren, bei der ein Open-Source-Maintainer über Monate hinweg schadhafte Backdoors einfließen ließ – unbemerkt von hunderttausenden Admins weltweit.
Abwehrmaßnahmen stärken: 5 Schlüsselstrategien für mehr Resilienz
Umfangreiche, strukturierte Sicherheitsmaßnahmen sind kein Luxus, sondern Grundvoraussetzung für digitale Geschäftsmodelle. Unternehmen sollten folgende Kernstrategien verfolgen:
- Software Bill of Materials (SBOMs): Eine vollständige Inventarisierung aller verwendeten Softwarekomponenten samt Versionierung schafft Transparenz und erleichtert die Bewertung von Risiken.
- Code- und Paketverifikation: Digitale Signaturen, Hash-Werte und automatische Prüfmechanismen (z. B. sigstore, SLSA Framework) helfen, Manipulationen frühzeitig zu erkennen.
- Zero-Trust-Architekturen: Vertraue keinem Paket, keiner Identität direkt – alle Aktivitäten sollten validiert und kontextbasiert menschenunabhängig überprüft werden.
- Supply Chain Risk Management (SCRM): Etablierung eines unternehmensweiten Programms zur Bewertung und Kontrolle von Risiken Dritter mit regelmäßigem Monitoring.
- Schulungen & Awareness: Entwickler:innen und IT-Teams müssen kontinuierlich in Sicherheitsthemen trainiert werden – inklusive Awareness für Open-Source-Risiken.
Ein vielversprechender Ansatz ist die Anwendung des von Google initiierten SLSA-Standards (Supply-chain Levels for Software Artifacts), der softwareseitige Prozesse über mehrere Vertrauensstufen hinweg absichert. Das Ziel: Nachvollziehbarkeit, Integrität und Authentizität bis in die tiefste Paketabhängigkeit.
Security by Design: So gelingt sichere Softwareentwicklung
Supply Chain Security beginnt nicht erst bei der Paketprüfung, sondern in der Entwicklungspipeline. Unternehmen sollten “Security by Design” und “Secure Software Development Lifecycle (SSDLC)” etablieren – also Sicherheitsmechanismen systematisch über alle Phasen der Softwareentwicklung hinweg verankern.
Zu den bewährten Methoden zählen:
- Automatisierte statische und dynamische Codeanalysen (SAST/DAST)
- Automatisches Dependency-Scanning mit Tools wie OSS Review Toolkit, DependencyTrack oder GitHub’s Dependabot
- Isolierung von Build-Umgebungen
- Rollout-überwachte Deployments mit verschlüsselter Signierung
Ein weiteres Schlüsselelement: die Zusammenarbeit mit Security-Teams von Open-Source-Projekten. Durch Bug-Bounty-Programme, Sicherheitsreviews und gemeinschaftliche Audits kann die gesamte Lieferkette robuster gemacht werden.
Best Practices für den Ernstfall: Vorbereitung und Notfallpläne
Völlige Sicherheit gibt es nicht. Deshalb ist es entscheidend, auf Vorfälle vorbereitet zu sein. Incident Response Pläne sollten auch Supply-Chain-Vorfälle einschließen und regelmäßig erprobt werden.
Drei konkrete Handlungsempfehlungen für den Ernstfall:
- Sofortige Isolierung verdächtiger Komponenten: Sicherheitslücken müssen klar gekennzeichnet und kompromittierte Bibliotheken aus dem Deployments entfernt werden.
- Kommunikationsprotokolle definieren: Interne und externe Stakeholder benötigen transparente Informationen über Umfang und Risiko eines Vorfalls.
- Forensische Nachverfolgung: Detailanalysen anhand von Logdaten, Build-Artefakten und Quellcode-Fingerabdrücken unterstützen dabei, das Einfallstor einzugrenzen.
Die ENISA empfiehlt darüber hinaus, Schwachstellen öffentlich koordiniert zu kommunizieren (Coordinated Vulnerability Disclosure), um Folgeangriffe zu reduzieren.
Fazit: Cyber-Resilienz beginnt in der Lieferkette
Supply Chain Angriffe sind nicht nur technische Herausforderungen, sondern strategische Risiken. Unternehmen müssen den Schutz ihrer digitalen Lieferketten zur Chefsache machen und sowohl technologisch als auch organisatorisch aufrüsten. Die gute Nachricht: Es gibt bereits zahlreiche bewährte Frameworks, Standards und Tools, die dabei unterstützen.
Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrem Unternehmen etabliert? Welche Tools setzen Sie zur Risikoabschätzung ein? Diskutieren Sie mit uns und der Community in den Kommentaren – denn nur gemeinsam lässt sich die Integrität moderner Lieferketten schützen.